Vereine formieren oder gründen sich neu

Vor 75 Jahren: Erinnerungen an die Nachkriegszeit in Murrhardt (15) Mit dem Aufleben von Kulturveranstaltungen und Festen nahmen auch Gruppen wie der TVM allmählich wieder ihre Aktivitäten auf, was die US-Militärregierung genehmigen musste.

In der Murrhardter Stadthalle fanden in den ersten Nachkriegsjahren auch Tanzabende statt, bei denen so manches Band für eine spätere Ehe geknüpft werden konnte. Foto: MZ-Archiv/Digitalisierung: A. Kozlik

In der Murrhardter Stadthalle fanden in den ersten Nachkriegsjahren auch Tanzabende statt, bei denen so manches Band für eine spätere Ehe geknüpft werden konnte. Foto: MZ-Archiv/Digitalisierung: A. Kozlik

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. Nachdem im Herbst 1945 allmählich wieder die eine oder andere Kulturveranstaltung stattgefunden hatte, begannen sich auch nach dem Jahreswechsel die Vereine wieder zusammenzufinden. Eugen Gürr hat in seiner „Murrhardter Chronik 1945/46“ viele dieser Aktivitäten dokumentiert. Beispielsweise ist dort verzeichnet, dass am 7. April 1946 der Geflügelzuchtverein im Schwanensaal seine erste (Mitglieder-)Versammlung nach Kriegsende hatte. Sie wählte Bürgermeister Georg Krißler zum Vereinsvorsitzenden. Am 13. April rief der Liederkranz seine Sänger, alte und neue und junge, zu einer ersten Besprechung in die Rose. Auch die Feuerwehr formierte sich neu und suchte neue Mitglieder, Kommandant war wieder „unser alter Fritz Dolde“, so Gürr.

Am 1. Mai fand im Stadtgarten um 11 Uhr eine öffentliche Kundgebung statt, zu der die Parteien und Gewerkschaften aufgerufen hatten. Dabei hielt ein Gewerkschaftsvertreter eine Ansprache, der Liederkranz unter Dirigent Ernst Schäf sowie der Bläserchor Karl Rößle gestalteten die musikalische Umrahmung. Versammelt waren rund 300 Personen „vom Kind bis zum Großvater“, nur ein kleiner Teil waren Arbeiter.

Am 5. Mai unternahm der Schwäbische Albverein Ortsgruppe Murrhardt seine erste Wanderung nach der Kapitulation mit 25 Personen von Oberrot bis Grab. Am 26. Juni veranstaltete die Stadt einen Heimabend in der Stadthalle für die dort einquartierten „Ostflüchtlinge“. Dabei wirkten etliche Murrhardter mit, wie der Liederkranz, die Musikkapelle Dreikauß, vier Mädchen boten Tanz, Sängerin Gretel Staib trat als Solistin auf. Die Einheimischen erlebten dasselbe Programm als „Bunten Abend“ im Engelsaal.

Ein denkwürdiges, festlich begangenes Ereignis war die Wiedereröffnung der Murrbahn am 10. August. Laut Gürr war auf dem Bahnhof alles geschmückt mit Tannen und Birken, Lorbeer und Blumensträußen. Um 13.35 Uhr fuhr der erste Zug von Sulzbach an der Murr her ein, vorn eine mächtige Lokomotive, geschmückt mit Tannengirlanden und roten Schleifen, an den Waggons Dahlien. Fünf amerikanische Offiziere von der Militärregierung waren dabei, der Oberbürgermeister von Stuttgart Arnulf Klett, vom Ministerium und vom Landratsamt einige Herren sowie die Bürgermeister der Bahnorte, Firmen und Arbeiter des Bahnbaus.

Kurgäste gab es „ziemlich viele, manche kommen einfach angereist und wundern sich, dass kein Bett zu haben ist, (...) Omnibusse kann man am Sonntag auf dem Marktplatz halten sehen“. Eugen Gürr betätigte sich selbst auch als Fremdenführer und unternahm Besichtigungstouren durch Murrhardt. Am 22. September war Landesjugendtag im Stadtgarten „nach Vorbereitung durch die Schule, ein Gottesdienst ging voraus“. Das Programm umfasste Volksliedersingen, Reigen, Laienspiel und Fußballwettspiel. Mit Omnibussen waren dazu etliche Jungen aus Esslingen gekommen. Die Eltern schickten „in vermehrter Zahl ihre Kinder in Klavier- und Nachhilfestunde. Zum Vergnügen gibt’s Tanzstunde, Karussell, Schiffschaukel oder Zirkus ab und zu, jetzt geht man aufs Volksfest.“

Am 4. Dezember gab die „Neue Kammerbühne“ im Schwanensaal einen kulturellen Abend unter dem Motto: „Des Wortes und des Feuers Macht: Lieder, Musik, Schillers Glocke“. Wenig später organisierte der Jugend-Ortsausschuss des Gewerkschaftsbunds einen heiter-besinnlichen Abend „für und um die Jugend“. Am 21. Dezember veranstaltete die Stadt eine Weihnachtsfeier in der Stadthalle für die einquartierten Flüchtlinge und Vertriebenen mit Liedersingen, Musik und Ansprachen des Landrats, Bürgermeisters, Stadtpfarrers und Flüchtlingskommissars.

Am Heiligen Abend spielte die Kapelle Rößle Weihnachtslieder unter dem großen Lichterbaum auf dem Rathausaltan. Am Weihnachtsfest gaben die Bürger ihre Unterschriften ab mit der Bitte um Befreiung und Heimkehr der Kriegsgefangenen. Am 29. Dezember fand in der Stadthalle die erste Vereinsweihnachtsfeier nach Kriegsende statt, veranstaltet vom Sportverein, wobei die Sportler „richtigen, jungen, frohen Betrieb“ machten, schrieb der Chronist.

Laut Zeitzeugin Marianne Schurr erfolgten 1946 und 1947 viele Neu- oder Wiedergründungen der Vereine, nachdem diese die dafür erforderliche Genehmigung von der US-Militärregierung bekommen hatten. Mit als Erste begannen die Abteilungen des Turnvereins (TVM) wieder mit dem Breitensporttraining in verschiedenen Sportarten. Schon bald nach Kriegsende fanden regelmäßig Tanzabende an den Wochenenden statt, teils in der Stadthalle, teils in den größeren Gaststätten, die einen Saal hatten, auch am Waldsee. Für die Musik sorgten kleine Tanzkapellen, die auch bei Hochzeiten aufspielten.

Christian Franke erzählt, dass der Gasthof Sonne-Post selbst zahlreiche große Feste und bunte Abende zu verschiedenen Anlässen veranstaltete, „diese waren legendär“. Auch die großen Vereine veranstalteten Festlichkeiten und Jahresfeiern. Schon kurz nach Kriegsende feierten die Firmen Betriebsfeste und machten Betriebsausflüge in Kooperation mit Busunternehmen, die die Fahrten organisierten, so Franke. „Viele spätere Ehepaare lernten sich bei Tanzabenden in Gaststätten oder der Stadthalle kennen“, erinnert sich Gisela Fleschmann-Becker. „Eine wichtige Rolle spielte auch der Sport.“ So unterrichtete der legendäre Turner und Trainer Heinrich Fuchs die Jugend an diversen Turngeräten, zudem motivierte er viele dazu, Sport zu treiben.

Zum Artikel

Erstellt:
10. Oktober 2020, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!

Murrhardt und Umgebung

Mit Tanz und Musik begrüßt Murrhardt den Mai

Das zweitägige Maibaumfest der Narrenzunft Murreder Henderwäldler und des Liederkranzes ist ein Besuchermagnet. Höhepunkte sind die Vorführung eines Volkstanzmedleys sowie Auftritte von drei Guggen und der Band „The Bang Bags“.

Murrhardt und Umgebung

Gefahrstreckenentschärfung verzögert sich

Der Murrhardter Gemeinderat hebt die Ausschreibung zur Verbesserung der Zufahrt zum Wohnplatz Vögelesreute auf, da die Kosten der Gebote weit über der Planung liegen. Es wird ein neues Paket geschnürt – inklusive der Belagssanierung eines Teilabschnitts der Landesstraße 1150.