Vom Abendlied zum Abendsingen

Aus einer Anregung der EKD hat sich bei der evangelischen Kirchengemeinde Murrhardt eine Gemeinschaftsaktion entwickelt. Sänger und Zuhörer verschiedener Generationen und Konfessionen treffen sich zurzeit täglich im Kreuzgarten.

Der Kreuzgarten vor der Murrhardter Stadtkirche bietet die Möglichkeit, mit gebührendem Abstand und doch gemeinsam zu singen. Die Kirchentür ist weit geöffnet, sodass die Mühleisen-Orgel von innen zu hören ist, an der Kantor Gottfried Mayer die Sänger begleitet. Foto: privat

Der Kreuzgarten vor der Murrhardter Stadtkirche bietet die Möglichkeit, mit gebührendem Abstand und doch gemeinsam zu singen. Die Kirchentür ist weit geöffnet, sodass die Mühleisen-Orgel von innen zu hören ist, an der Kantor Gottfried Mayer die Sänger begleitet. Foto: privat

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. Obwohl nun bereits einige Einschränkungen gelockert worden sind, bleiben Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten in der Coronakrise besonders wertvoll. So hat sich die Aktion Abendsingen der evangelischen Kirchengemeinde Murrhardt unter dem Motto „Singen verbindet und tröstet“ zu einer besonderen Attraktion für Gläubige und Musikfreunde entwickelt.

Da das Singen mit intensiver Tätigkeit der Atemwege wie tiefem Ein- und Ausatmen sowie der Verbreitung von Tröpfchen und Aerosolen verbunden ist, bleibt es vorerst in den Kirchen und anderen geschlossenen Räumen weiter untersagt. Stattdessen sind nun alle, die gerne selbst singen oder zuhören möchten, eingeladen, immer abends im und um den Kreuzgarten vor der Stadtkirche gemeinsam zu singen, wobei die erforderlichen Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten sind. An einem Sonntagabend haben sich auch dank des schönen sonnigen Frühlingswetters an die 30 Personen vor dem Murrhardter Gotteshaus im Freien versammelt.

Kantor Gottfried Mayer spielt auf der Mühleisen-Orgel, deren monumentaler, prachtvoller Klang aus der offenen Kirchentür erschallt, sodass die Anwesenden draußen die Musik gut hören und sich von ihr führen und begleiten lassen. Das Abendsingen beginnt jeweils um 19.30 Uhr mit dem ökumenischen Glockenläuten und endet nach etwa 20 Minuten mit dem Abendsegen, den Pfarrer Hans Joachim Stein spricht. Gesungen wird eine bunte Mischung aus 18 Melodien, darunter Abendlieder, aber auch inhaltlich zum Kirchenjahr passende Stücke, die Noten und Texte sind in einem kleinen Heft zusammengestellt. Kantor Mayer macht mit den Versammelten ein musikalisches Ratespiel. „Wir müssen jedes Lied, das wir singen, am Vorspiel erkennen“, erklärt Pfarrer Hans Joachim Stein. Dank seiner Erfahrung hört er meist als Erster, welches Lied als Nächstes drankommt, und sagt dessen Nummer im Heft an. Je nachdem, wie bekannt ein Lied ist, klingt das Singen mal eher leise, mal lauter und entfaltet sich teils sogar zu mehrstimmiger Harmonie.

Steins Idee war es, das Abendsingen mit einem festen Schlusslied abzuschließen. Dafür wählte Gottfried Mayer den ideal passenden „Abendsegen“ der Oper „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck aus, danach spricht der Pfarrer den Abendsegen. Während nun manche gleich den Heimweg antreten, verweilen andere noch, um sich miteinander zu unterhalten.

Chormitglieder, Gäste aus anderen Kirchengemeinden und der Nachbarschaft singen gemeinsam.

Unter den Singenden sind einige Chorsänger der Kantorei, des Jugend- und Kammerchors, die noch nicht proben dürfen; weiter einige Mitglieder des Kirchengemeinderats und treue Kirchgänger, aber auch Gäste von der katholischen und Evangelisch-methodistischen Kirchengemeinde sowie aus Nachbarorten wie Sulzbach an der Murr. Fast alle Generationen sind vertreten, neben Schülern und Studenten stehen Familien sowie Senioren.

Was sie dazu motiviert, abends nochmals aus dem Haus zu gehen, in den Kreuzgarten zu kommen und gemeinsam mit anderen zu singen, bringt Student Max Gruber stimmig auf den Punkt: „Das Abendsingen rundet den Tag ab, es vermittelt Gemeinsamkeit und Zusammengehörigkeitsgefühl, was man jetzt sonst sehr vermisst.“ Auch eine ältere Dame findet, diese Aktion sei ein schöner Abschluss des Tages. Bei anderen spielt der Wunsch mit, mal wieder Orgelmusik und Gesang live und nicht nur aus der Anlage zu hören.

Hans Joachim Stein erzählt, wie alles anfing: „Als die Coronapandemie begann und Mitte März die strengen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus kamen, hat meine Frau, Pfarrerin Frauke Stein, eine Aktion der Evangelischen Kirche in Deutschland entdeckt. Diese lud die Gläubigen dazu ein, während der Zeit, in der keine Gottesdienste gefeiert werden konnten, sonntagabends auf dem Balkon oder am offenen Fenster das bekannte Abendlied ‚Der Mond ist aufgegangen‘ zu singen. Meine Frau hatte die Idee, dass Gottfried Mayer auf der Stadtkirchenorgel die Melodie spielt, und wir haben die Murrhardter dazu eingeladen, auf dem Balkon oder am offenen Fenster mitzusingen. Daran hat sich auch unsere Familie beteiligt, und dabei sahen wir einige Spaziergänger im Stadtgarten, die ebenfalls mitsangen. Daraus hat sich in den vergangenen Wochen das Abendsingen entwickelt.“

Vor zwei Monaten, am 18. März, „haben wir die Aktion der Evangelischen Kirche aufgegriffen und erweitert auf andere Abendlieder, dann kamen immer mehr dazu“, erinnert sich Kantor Gottfried Mayer. „Ab Ostern haben wir zudem inhaltlich zum Kirchenjahr passende Lieder ins Programm aufgenommen, und jetzt auch aktuelle Wochenlieder. Das Abendsingen zeigt, wie wichtig das Singen für uns ist. Es bietet zugleich eine gute Möglichkeit der Begegnung mit Abstand in einem geschützten und stimmungsvollen Rahmen, denn der Kreuzgarten ist ein besonderer Ort“, verdeutlicht Mayer. „Wir hoffen, dass im Juni Orgelkonzerte wieder möglich sind, auch da für den 21. Juni eins geplant ist“, beantwortet er die Frage, wann voraussichtlich das Programm der evangelischen Kirchenmusik wieder aufgenommen werden kann.

„Wir warten noch auf Vorgaben des Kultusministeriums, aber wenn Gottesdienste in der Stadtkirche unter Beachtung der geltenden Regeln möglich sind, müsste dies auch für Konzerte gelten“, zeigt sich der Kantor optimistisch. „Bisher haben wir noch keine offiziellen Informationen zur Kirchenmusik erhalten. Aber da nun die Kommunen zuständig sind, um über Veranstaltungen in kleinem Rahmen zu entscheiden, werden wir uns dazu bei Kulturamtsleiter Uwe Matti von der Stadtverwaltung Murrhardt erkundigen“, kündigt Pfarrer Stein an.

Künftige Termine

Das Abendsingen im Kreuzgarten zwischen Alter Abtei (Gemeindehaus) und Stadtkirche findet noch bis zum Pfingstsonntag, 31. Mai, täglich immer um 19.30 Uhr statt. Dann macht die evangelische Kirchengemeinde Murrhardt eine Pause.

Nach den Pfingstferien wird das Treffen und gemeinsame Anstimmen der Lieder fortgesetzt bis zu den Sommerferien und zwar dreimal wöchentlich – immer dienstags, freitags und sonntags – ebenfalls um 19.30 Uhr vor der Stadtkirche.

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Erstellt:
25. Mai 2020, 06:00 Uhr

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