Vom Leben in Luxus mit Liebe und Leid

Esther Krauter gibt in ihrem Vortrag „Die Geheimrätin Martha Franck“ in Murrhardt detailreiche Einblicke in das Leben einer Dame der besten Gesellschaft während der Kaiserzeit.

Esther Krauter zeigt auf Martha Franck in dem historischen Foto mit deren Schwestern Karoline, Elisabeth und Edelgard. Foto: E. Klaper

Esther Krauter zeigt auf Martha Franck in dem historischen Foto mit deren Schwestern Karoline, Elisabeth und Edelgard. Foto: E. Klaper

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. „Martha Franck gehörte zu den bedeutendsten Damen der besten Gesellschaft des Kaiserreichs“, betont Esther Krauter, ehemalige Studentin von Professor Gerhard Fritz. Ihr Vortrag „Die Geheimrätin Martha Franck“, veranstaltet vom Geschichtsverein Murrhardt und Umgebung, findet großes Interesse. Im Saal des Gasthofs Engel zeichnet sie ein lebendiges Porträt der Persönlichkeit und des Lebens der Geheimrätin, abgeleitet vom Titel ihres Mannes „geheimer Kommerzienrat“ Robert Franck, mit einer Vielzahl faszinierender und spannender Aspekte.

Für ihre Abschlussarbeit hat Krauter das Tagebuch von Martha Franck über die Jahre 1905 und 1906 ausgewertet sowie die Geschichte der Familie Seeger, aus der sie stammte, und der Familie Franck erforscht. Martha kam am 30. August 1861 als erstes von zehn Kindern des späteren Generalarztes Albert Seeger zur Welt, der 1911 mit dem Ehrenkreuz der württembergischen Krone ausgezeichnet und dadurch in den persönlichen Adelsstand erhoben wurde. Dessen Familienvilla Flora kaufte Robert Franck 1907/08 und schenkte sie den Olgaschwestern als Erholungsheim.

Das Reisen war damals noch ein Privileg der Oberschicht

Robert Franck wurde am 16. Juli 1857 geboren und trat als 20-Jähriger ins Familienunternehmen ein, das zum marktbeherrschenden Kaffeeersatzkonzern Europas expandierte und 275 verschiedene Sorten anbot. Bei einem Maienfest 1886 lernte Robert Martha kennen, schon am 6. Oktober folgte die Verlobung und am 26. Februar 1887 die Hochzeit. Die Eheleute bekamen je zwei Söhne und Töchter, eine starb jedoch schon nach einigen Monaten. Im Leben der Francks hatte der Einsatz fürs Unternehmen oberste Priorität, doch gleich danach kam die Familie: „Robert war ein liebevoller, treu sorgender Ehegatte und Vater, er nutzte jede Gelegenheit, um sich ums Wohl seiner Familie zu kümmern. Martha prägten Liebe, Fürsorge und Sorge um die Gesundheit ihrer Familie. Sie führten eine harmonische Ehe, pflegten ihre Zweisamkeit und erhielten die Romantik durch viele gemeinsame Ausflüge und Reisen“, unterstreicht Krauter.

Der Alltag war von einer Vielzahl an Terminen und Aktivitäten aller Art geprägt und der Ablauf eines Tages straff durchgeplant, der wohl frühmorgens begann und spätabends endete. Diese enorme körperliche und nervliche Herausforderung führte zu Stress und gesundheitlichen Problemen wie „Ohrensausen“, also Tinnitus, Übersensibilität, Heiserkeit, Halsschmerzen und Rachenkatarrh. So benötigte Martha immer wieder Bettruhe und Auszeiten, unternahm ausgedehnte Spaziergänge und Wanderungen, trotzdem arbeitete sie, wenn es ihr möglich war. Zur Behandlung ihrer Beschwerden fuhr sie zur Luxuskur nach Baden-Baden, wo sie in vornehmsten Häusern verkehrte und im damals modernsten Kurbad Behandlungen mit Thermalquellenwasser bekam. Zudem machte die Familie im Sommer 1905 Urlaub in der Schweiz in einem Kurort im Simmental und im Sommer 1906 auf Sylt. Auch dort wohnte und speiste Martha Franck nur in besten Häusern. Kurz erläuterte die Referentin „die Art des Badens“ in der Nordsee während der prüden Kaiserzeit: Es gab nur getrennte Badestrände für Damen und Herren, und den Herren war es streng verboten, die Damen beim Baden zu beobachten, darum war ein neues „Familienbad“ revolutionär.

Damit die Damen vor neugierigen Blicken geschützt baden konnten, bestiegen sie von Pferden ins Wasser gezogene Badekarren. Darin legten sie ihre Straßenkleidung ab und eins der damals vorgeschriebenen, den Körper vollständig bedeckenden und hochgeschlossenen Badekostüme in dunklen Farben an. Dann stiegen sie in die Wellen, wobei sie sich an Leinen festhielten, denn die meisten konnten nicht schwimmen. Nach dem Bad lief alles in umgekehrter Reihenfolge ab, und die Damen verließen die Badekarren wieder in ihrer Straßenkleidung.

Das Reisen war damals noch ein Privileg der Oberschicht, für weite Strecken nutzte die Familie die Eisenbahn, sonst auch noch Pferdekutschen. Zudem kaufte Robert Franck, der mit der Familie Daimler befreundet war, 1905 ein Auto für über 20000 Goldmark, das wären heute über 100000 Euro. Und das „auteln“, wie Martha Franck das Autofahren nannte, machte ihr großen Spaß. Die Medizin machte damals enorme Fortschritte, trotzdem überforderten manche Krankheiten und Unfälle die Möglichkeiten der Ärzte. Nicht immer waren die Behandlungen erfolgreich, und Röntgenaufnahmen konnten sie noch nicht korrekt interpretieren, verdeutlicht Esther Krauter.

Esther Krauter ist Referendarin an der Schlossrealschule in Gaildorf

Die Familie Franck war sehr gläubig, dem Pietismus verbunden und engagierte sich vielfältig sozial in Wohltätigkeitsorganisationen. Zudem organisierte Martha eine Näh- und Kochschule in der Firma Franck für junge Mädchen. Einerseits spielte die Fürsorge für Arme und Notleidende eine wichtige Rolle, andererseits war es selbstverständlich, Bedienstete zu haben. Die Familie unterhielt vielfältige Kontakte und Beziehungen zur Spitze der Gesellschaft inklusive der Königsfamilie und des Hochadels. Auch die Zugehörigkeit zum Militär hatte Tradition und große Bedeutung, darum besuchte die Familie dessen Veranstaltungen wie Bälle.

Überdies wirkte Martha 1905 mit bei einem Kostümfest zum 100. Todestag des damals nationalistisch interpretierten Dichters Friedrich Schiller, bei dem Personen des Groß- und Bildungsbürgertums Szenen aus dessen Dramen darstellten. „Martha Franck war eine selbstbewusste, energische und gebildete Frau, geprägt von Pflicht, Treue, Fleiß und Liebe, die einerseits ein luxuriöses Leben führte und Einfluss im Unternehmen hatte, andererseits sich aus sozialem Verantwortungsgefühl heraus für Hilfsbedürftige engagierte.“ Aber: „Politische Ereignisse erwähnte sie nicht, da die Politik außerhalb ihres Interessenbereichs lag“, so Esther Krauters Fazit.

Zurzeit ist sie Referendarin an der Schlossrealschule in Gaildorf. Doch das Thema hat sie so fasziniert, dass sie vorhat, auf Basis des erhalten gebliebenen, riesigen „Schatzes“ von Schrift- und anderen Quellen eine Dissertation auszuarbeiten. Im Zentrum der Untersuchung soll das umfangreiche familiäre und freundschaftliche Beziehungsgeflecht stehen, ebenso die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten, die eine Dame in einer Position wie Martha Franck in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg hatte.

Veröffentlichter Beitrag Esther Krauters Zulassungsarbeit ist veröffentlicht in dem Buch „Mikrohistorische Studien aus einem halben Jahrtausend. Untersuchungen aus Krieg und Frieden vom 16. bis zum 20. Jahrhundert“ Historegio Band 11, zugleich Schriftenreihe des Instituts für Gesellschaftswissenschaften der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, im Verlag Manfred Hennecke, Remshalden 2020. ISBN: 978-3-948138-03-5; 22,80 Euro.

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Erstellt:
29. November 2021, 06:00 Uhr

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