Vom Wunsch, die Welt zu fairändern

Seit 25 Jahren gibt es den Weltladen in Murrhardt. Die ehrenamtlich Engagierten setzen sich im Verbund mit den Läden in Backnang und Waiblingen für den fairen Handel ein und informieren über Projekte der Partnerorganisationen in Ländern des globalen Südens.

Heute befindet sich der Weltladen Murrhardt in der Sonnengasse – hier mit Silvia Kuhbach, die gerade Ladendienst hat. Foto: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Heute befindet sich der Weltladen Murrhardt in der Sonnengasse – hier mit Silvia Kuhbach, die gerade Ladendienst hat. Foto: Stefan Bossow

Von Christine Schick

Murrhardt. Margitt Ortner ist eine der rund zwölf engagierten Frauen, die im Murrhardter Weltladen Dienst tun, Waren anbieten, beraten und auch mal etwas zu den Hintergründen von Projekten und Partnern erzählen. Bei der Geburtstagsfeier zu „25 Jahre Weltladen Murrhardt“ in der Friedenskirche sagt sie augenzwinkernd: „Ich bin die Samstagsfrau.“ Einer „lieben Bekannten“ ist es zu verdanken, dass sie zum ehrenamtlichen Team stieß. Weder eine Kapriolen schlagende Kasse, die aus Versehen 22450 Euro anzeigt, noch die Tatsache, dass der Beitrag ein überschaubarer ist, halten sie seither von ihrem Engagement ab. Sie setzt auf diese kleine Hilfe für Menschen im globalen Süden über das Konzept des fairen Handels. „Das heißt für mich auch, dass ich für die Qualität einstehen kann“, sagt sie und dass die Arbeit für sie eine Horizonterweiterung bedeutet hat. Trotzdem braucht es weiterhin Engagierte – Corona brachte den Rückzug einiger Älterer des Teams mit sich – und insofern wirbt sie dafür, den Schritt zu wagen, sich zu denen zu gesellen, die „die Welt fairändern möchten“.

Eine unscheinbare Annonce, ein Initiativkreis und ein erster Standort

Die Geschichte des Weltladens in der Walterichstadt hat 1997 mit einer unscheinbaren Zeitungsannonce für ein kleines Ladengeschäft begonnen. Zu dieser Zeit war Erwin Ziegenheim Pastor in der Evangelisch-methodistischen Kirchengemeinde Murrhardt und lebte mit seiner Frau Inge in der Walterichstadt. „Gabi Ludwig war Geschäftsführerin des Backnanger Weltladens. Wir haben uns gesagt, dass es toll wäre, wenn es so ein Geschäft auch in Murrhardt geben könnte, waren also schon ein Stück weit im Gespräch“, erzählt er. Auch eine Afrikareise, bei der er und seine Frau Nigeria kennenlernen, spielt bei dem Wunsch eine Rolle, über das eigene Wohlergehen hinaus aktiv zu werden. Es folgen die Gründung eines Initiativkreises aus Mitgliedern der drei Kirchen Murrhardts, Finanzierungs- und Öffentlichkeitsarbeit, die Geschäftsräume in der Hauptstraße werden hergerichtet und am 27. September feiert der Weltladen seine Eröffnung. Ehrenamtliche sind schnell gefunden, „die Liste von damals umfasst 35 Personen“. Auch Lehrerinnen und Lehrer von Bodelschwinghschule und Herzog-Christoph-Schule unterstützen den Laden bei Aktionen mit ihren Schützlingen, verbinden den Verkauf mit ganz praktischem Lernen rund um Abrechnung und Bedienung. Im zehnten Jahr zieht der Weltladen in das hellere und größere Geschäft in die Sonnengasse 1 am Nägele-Platz um.

Mittlerweile im 25. Jahr ist es für Erwin Ziegenheim, heute Vorsitzender des gemeinsamen Trägervereins „Forum Eine Welt Backnang“, eine herausragende Geschichte, dass sich ein Laden so lange über ein ehrenamtliches Engagement tragen kann. Klar sei, dass dies auch bezahlte Hintergrundarbeit in Backnang ermöglicht, wo die Fäden für die drei Partnergeschäfte Backnang, Murrhardt und Waiblingen bei Geschäftsführerin Marta Hartusch zusammenlaufen – mit Lager, Verwaltung sowie weiteren Kräften. Marta Hartusch hält sich am Abend kurz und klar: mit einer Gedichtzeile und der Feststellung, dass das Team mit seinem großen Engagement viele Menschen im globalen Süden unterstützt hat. „Dafür danke ich euch sehr.“

„Natürlich ist es erschreckend, wie verschwindend gering der Anteil des fairen Handels am Gesamtwelthandel ist“, sagt Erwin Ziegenheim. Trotzdem hält der Abend Beispiele der Wirksamkeit von Projekten bereit. Christine Lorenz-Gräser vom Ladenteam sagt: „Ich erlebe, wie bewusst manche jungen Menschen mittlerweile einkaufen, es hat sich auch mehr getan, als wir manchmal glauben.“ Inge Ziegenheim schlägt den Bogen zum Umwelt- und Klimaschutz, dessen Dringlichkeit zwar seit dem Bericht des „Club of Rome“ bekannt sei, aber den die junge Generation mittlerweile stärker einfordere und der sich in den zentralen Kriterien des fairen Handels wiederfinde.

Zukunft für Kleinbauern und Lebensmittel aus urbar gemachter Wüste

Davon, wie Hilfe und Partnerprojekte konkret aussehen können, berichtet Eberhard Proissl. Er engagiert sich für die Genossenschaft Oikocredit, die Kredite vergibt. Sein erstes Beispiel ist Norandino in Peru, ebenfalls eine Genossenschaft, hinter der heute rund 7000 Kleinbauern mit ihren Familien stehen. Die Entscheidung der Pioniere, trotz ihrer katastrophalen Lage in den 1990er-Jahren – „Der Weltmarktpreis für Kaffee war am Boden, es gab keine Perspektive und in den Familien waren Alkoholismus und Gewalt Thema“ – in den fairen Handel einzusteigen, erweist sich als richtig und ermöglicht eine beachtliche Entwicklung. Die Erfolgskriterien: der Zusammenschluss Einzelner in einer Genossenschaft mit demokratischen Entscheidungsstrukturen, die Unterstützung durch den fairen Handel und einer verlässlichen Partnerschaft, die Investitionen in Anbauflächen, Ausrüstung und gezielte Weiterbildung erlauben. Die Tatsache, dass mittlerweile auch Zuckerrohr und Kakao angebaut werden, „macht sie nicht so abhängig, falls die Preise eines Produkts mal in den Keller rauschen“.

Ebenfalls beeindruckend: das ägyptische Projekt Sekem bei Kairo. Dort, wo früher nichts als Wüste war, werden heute Biolebensmittel nach Demeter-Richtlinien und Heilpflanzen angebaut, erläutert Eberhard Proissl, beispielsweise Tee, Datteln und Gewürze. Im Zentrum stehen der Aufbau eines ertragsfähigen Humusbodens und Tröpfchenbewässerung, neben den ökologischen Zielen waren aber auch beachtliche soziale Entwicklungen möglich wie der Aufbau einer Universität, einer Schule und eines Krankenhauses. Proissl appelliert an die Verantwortung der Verbraucherinnen und Verbraucher. So gelte es, zu überlegen und kritisch zu bewerten, unter welchen Bedingungen Produkte hergestellt werden.

Bürgermeister Armin Mößner macht in seinem Gratulationsbeitrag deutlich, wie sich der Weltladen in Murrhardt etabliert hat. Mittlerweile sei er fester Bestandteil der Innenstadtgeschäfte, was sich auch ganz konkret in einer Mitgliedschaft beim Stadtmarketingverein sowie in einem Anschluss beim Online-Marktplatz widerspiegele. Er würdigte das Engagement, das vom Wunsch getragen sei, über das Sortiment und den Verkauf Menschen in ärmeren Ländern zu unterstützen und zu einer nachhaltigeren Entwicklung beizutragen. Denn die Erzeugnisse müssten auch die Chance erhalten, überhaupt erst in die Vermarktung zu kommen. Im Anschluss ist Zeit, Kostproben einzelner Produkte zu genießen, und junge Musikerinnen und Musiker der Riebesam-Stiftung – Amelie Hann, Lea-Maria Gunther und Noel Lehar – sorgen für eine stimmungsvolle musikalische Umrahmung.

Eine Aufnahme von der Eröffnungsfeier am 27. September 1997. Damals hatte der Weltladen noch sein Geschäft in der Murrhardter Hauptstraße. Foto: privat

Eine Aufnahme von der Eröffnungsfeier am 27. September 1997. Damals hatte der Weltladen noch sein Geschäft in der Murrhardter Hauptstraße. Foto: privat

Team sucht Unterstützung

Mitarbeit Wer Interesse hat, das ehrenamtliche Team des Weltladens Murrhardt zu unterstützen, kann sich unter Telefon 07191/84486 (Weltladen Backnang) melden, wo die Fäden für die Arbeit zusammenlaufen. Natürlich lässt sich auch im Geschäft in der Sonnengasse 1 vorbeischauen, um sich zu informieren. Weitere Infos unter https://weltladen-backnang.de.

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Erstellt:
7. Oktober 2022, 06:00 Uhr

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