Von Familienstreit und Machtkämpfen

Historiker Ortwin Köhler zeichnet in seinem Volkshochschulvortrag über die Karolinger ein facettenreiches Bild von der Politik, den Lebens-, Sozial- und Gesellschaftsverhältnissen im frühmittelalterlichen West- und Mitteleuropa.

Eine Münze aus jener Zeit mit einem idealisierten Bildnis Karls des Großen. Foto: privat

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Eine Münze aus jener Zeit mit einem idealisierten Bildnis Karls des Großen. Foto: privat

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Die Geschichte des Frühmittelalters vom 6. bis 11. Jahrhundert ist komplex, denn: „Familiengeschichte war Stammesgeschichte und Politik“, erklärt Historiker Ortwin Köhler in seinem Vortrag über die Karolinger an der Murrhardter Volkshochschule vor etlichen Interessierten im Zimmertheater. Damals lebten in West- und Mitteleuropa erst etwa zehn Millionen Menschen, die schon 14-jährig erwachsen waren. Die Lebenserwartung betrug nur etwa 35 Jahre wegen hoher Kindersterblichkeit, zudem kamen viele Menschen in Kriegen und Familienkonflikten um.

Aus dieser Epoche gibt es nur wenige, teils „verfälschte“ schriftliche Informationen: „Sieger schreiben die Geschichte“ und „Urkunden lügen wie gedruckt“, denn meist sei das Gegenteil dessen wahr, was darin geschrieben steht, so Köhler. Bedeutende Personen verzeichneten als Gedächtnisstütze, was geschah, aber gefärbt durch Sympathien für oder Antipathien gegen die Herrscher und deren Familienmitglieder. Bekannte Epen wie das Nibelungen- oder Rolandslied wurden mündlich überliefert und erst Jahrhunderte nach den Ereignissen aufgeschrieben.

Insofern stellt die Geschichtswissenschaft heute kritisch infrage, was früher als sicher galt, wobei die Historikerinnen und Historiker sich teils uneins sind. Die Familie der Karolinger begann mit Pippin dem Älteren, der im 7. Jahrhundert das zweithöchste Amt im Frankenreich innehatte: Er war Hausmeier, sprich Verwalter, unter drei Merowingerkönigen. Führende Adelsfamilien benötigten möglichst viele Befreundete, die sie unterstützten, daher betrieben sie Heiratspolitik und führten Eroberungskriege, um ihre Macht zu sichern und zu erweitern. Sie sahen aber auch familiäre Konflikte als Chance und ermordeten Verwandte, um Nachfolgeprobleme zu lösen.

Zu Zeiten Karl Martells wirktMissionar Pirmin in und um Murrhardt

Zwar herrschten die Männer, doch „adelige Frauen konnten viel bewegen“ und für ihre Nachkommen regieren, wie beispielsweise Brunichild, Gemahlin und Witwe des Merowingerkönigs Sigibert I., im 6. Jahrhundert. Der Aufstieg der Karolinger begann nach dem Tod des letzten mächtigen Merowingerkönigs Dagobert I. Klug und schrittweise mehrte Hausmeier Pippin der Mittlere seine Macht: Er heiratete in die im Westfrankenreich mächtige Hugobertiner-Familie ein, die den Fortbestand der Karolingerdynastie sicherte.

Pippins Sohn Karl Martell (zu Deutsch: Hammer) war Namensgeber der Karolinger: In der Schlacht bei Poitiers 732 besiegte er ein Heer von Arabern, die damals Spanien und angrenzende Gebiete eroberten. In jener Zeit wirkte Missionar Pirmin im fränkischen Grenzgebiet in und um Murrhardt. Karls Sohn Pippin der Jüngere oder auch der Kleine setzte 751 in einem Staatsstreich den letzten Merowingerkönig Childerich III. ab und bestieg den Thron. Zuvor hatte sein Vertrauter, der angelsächsische Geistliche Burkhard, mit einer Delegation das Einverständnis des Papstes eingeholt. Dieser erhielt als Dank die Pippin’sche Schenkung, umfangreichen Landbesitz in Italien und Basis für den späteren Kirchenstaat, Burkhard den fränkischen Herrenhof in Murrhardt.

Ein geschickter Feldherr war Pippins Sohn Karl der Große, an Weihnachten 800 zum Kaiser gekrönt: Er reorganisierte die Reichsverwaltung, förderte Kirche und Bildung. Dessen Sohn Ludwig hieß der Fromme, da er sich für die Kirche einsetzte, die ihre weltliche Macht ausbaute. 816/17 gründete er das Kloster Murrhardt. Gegen seine Erbregelung und Reichsteilung in ein West-, Mittel- und Ostreich rebellierten seine Söhne, unterstützt von führenden Adeligen. 833 kam es auf dem Colmarer Lügenfeld indes nicht zur Schlacht, sondern die Gefolgsleute straften den Eid Lügen, den sie Ludwig geschworen hatten, und setzten ihn ab. Später versöhnten sich der Kaiser und seine Söhne wieder: Durch den Reichsteilungsvertrag 843 entstand die „Trias“ der späteren Staaten Frankreich im Westen, Deutschland im Osten und Italien im Süden. Die Karolingerdynastie endete um die Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert, sie leben jedoch in den folgenden Adelsgeschlechtern weiter.

Abschließend informiert der Historiker über neue Erkenntnisse zu Walterich: Er entstammte einer burgundischen Hausmeier- und Herzogsfamilie mit altrömischen Wurzeln aus dem Raum Besançon. Sein Name war laut dem Historiker wohl keine Amtsbezeichnung, sondern Familienleitname. Walterich war Günstling des Missionars und Kirchenreformers Bonifatius und kam 796 nach Murrhardt. Doch sei unsicher, ob dies Folge eines Streits mit Karl dem Großen wegen des sogenannten Blutgerichts von Verden war. Laut den Reichsannalen sollen dort 4500 Sachsen enthauptet worden sein, was aber einige Historiker infrage stellen und vielmehr von einem Übersetzungsfehler ausgehen: Sie könnten auch umgesiedelt worden sein, so Ortwin Köhler.

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Erstellt:
7. Februar 2023, 06:00 Uhr

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