Mumie eines Pfarrers aus Oberösterreich
Warum der „Lederne Franzl“ nach 300 Jahren noch so gut erhalten ist
Forscher haben das Geheimnis einer österreichischen Mumie aus dem 18. Jahrhundert gelüftet, die außergewöhnlich gut erhalten ist. Ihre besondere Konservierung geht demnach auf eine bislang unbekannte Einbalsamierungsmethode mithilfe von Holzspänen, Zweigen, Stoff und Zinkchlorid zurück.

© Imago/Michael Westermann
Die Mumie des „Luftg’selchten Pfarrern“
Von Markus Brauer/dpa
Viele Kulturen haben ihre Toten einbalsamiert, um deren Körper zu konservieren – teils aus praktischen, aber oft aus religiösen Gründen. Die Methoden für die Einbalsamierung unterscheiden sich je nach Glauben und Region.
Die Ägypter nutzten beispielsweise Salze, um den Körper zu trocknen, sowie duftende und antimikrobiell wirkende Essenzen und Öle.
Die Bewohner der Anden hingegen trockneten die Körper ihrer Toten mit Feuer und heißer Asche und füllten sie dann mit Lehm, Wolle, Stroh und Asche.
Pfarrvikar Franz Xaver Sidler von Rosenegg † 1746
Aber nicht alle Mumifizierungstechniken sind so gut analysiert und bekannt. So ranken sich um die Mumie des „Luftg’selchten Pfarrers“ (luftgetrockneter Pfarrer) aus Oberösterreich zahlreiche Mythen.
Nun hat ein internationales Forscherteam herausgefunden, warum der Leichnam von Pfarrvikar Franz Xaver Sidler von Rosenegg, der 1746 starb, bis heute so außergewöhnlich gut erhalten ist: Eine bislang unbekannte Einbalsamierungsmethode dürfte der Grund sein.
„Unsere Untersuchung hat ergeben, dass der hervorragende Erhaltungszustand auf eine ungewöhnliche Art der Einbalsamierung zurückzuführen ist, bei der der Unterleib durch den Rektalkanal mit Holzspänen, Zweigen und Stoffen gestopft und Zinkchlorid zur inneren Trocknung hinzugefügt wurde“, erklärt Andreas Nerlich von der Ludwig-Maximilians-Universität München, Erstautor der im Fachjournal „Frontiers in Medicine“ veröffentlichten Studie.
The mystery of the “air-dried chaplain” solved: the life and “afterlife” of an unusual human mummy from eighteenth century Austriahttps://t.co/rxbEVuCpJs — Clarismelda Aquino (@Clarismelda) May 2, 2025
Luftgetrocknet wie Fleisch- und Wurstspezialitäten aus der Region
Die Mumie befindet sich in der Gruft der Pfarrkirche von St. Thomas am Blasenstein, einem Ort im oberösterreichischen Bezirk Perg. Dort ist sie seit Jahrhunderten ausgestellt und wird von Einheimischen wegen ihrer auffallend trockenen Erhaltung auch liebevoll als „Luftg’selchter Pfarrer“ bezeichnet – in Anspielung auf die luftgetrockneten Fleisch- und Wurstspezialitäten der Region.
Daneben ist sie auch als „Heiliger Leib“ oder „Lederner Franzl“ bekannt. Lange war ihre Identität unklar, doch nach den Ergebnissen mehrerer Analyseverfahren ist sich Pathologe Nerlich sicher, dass es sich wie seit Jahren vermutet um Vikar Sidler (1709-1746) handelt.
Naturstoffe absorbieren Flüssigkeit in der Bauchhöhle
Die Forscher führten unter anderem CT-Scans, Radiokarbondatierungen und toxikologische Analysen der Mumie durch. Auffällig war dabei, dass der Oberkörper komplett intakt war, während die unteren Extremitäten erhebliche Verwesungen aufwiesen.
Das Ergebnis: Der Bauchraum war mit einer Mischung aus natürlichen Materialien wie Tannen- und Fichtenspänen, kleinen Zweigen sowie Textilien aus Leinen, Hanf und Flachs ausgestopft . Alles Stoffe, die im 18. Jahrhundert in der Region gut verfügbar waren.
„Die Holzspäne, Zweige und trockenen Stoffe haben eindeutig einen Großteil der Flüssigkeit in der Bauchhöhle absorbiert“, schreibt Pathologe Nerlich. Zusätzlich fanden sich Spuren von Zinkchlorid, einer Substanz mit stark austrocknender Wirkung.
Über den Anus wurde das Einbalsamierungsmaterial eingeführt
Die Einbalsamierungsmethode unterscheidet sich deutlich von bekannteren Techniken, bei denen der Körper geöffnet wird, um Organe zu entnehmen oder Konservierungsmittel einzubringen. Stattdessen wurde hier offenbar über den Rektalkanal gearbeitet. Eine Technik, die bislang kaum dokumentiert ist.
Diese Technik unterscheidet sich deutlich von den bekannteren Methoden, bei denen der Körper durch einen Schnitt in der Bauchdecke geöffnet wird, um die Einbalsamierungsmaterialien einzubringen.
Das heißt jedoch nicht zwangsläufig, dass die Methode, die bei dem österreichischen Kaplan angewandt wurde, damals in Europa unüblich war. Möglicherweise wurde sie bisher nur bei Mumien in schlechterem Zustand nicht erkannt.
„Diese Art der Konservierung war möglicherweise viel weiter verbreitet, aber unerkannt in Fällen, in denen laufende postmortale Zerfallsprozesse die Körperwand beschädigt haben könnten, so dass die Manipulationen nicht erkannt wurden“, betont Nerlich.
Gut genährt, gesunde Zähne - und Raucher
Die Studie bestätigte auch Ergebnisse früherer Untersuchungen: So war Sidler laut Analyse bei seinem Tod zwischen 35 und 45 Jahre alt. Er hatte keine Karies, wie Abbildungen seiner erstaunlich gesunden Zähne zeigen, und offenbar Zugang zu guter Nahrung: Getreide, tierische Produkte, darunter möglicherweise auch Süßwasserfisch.
Allerdings deuten die Daten auf eine vorübergehende Hungerphase gegen Ende seines Lebens hin. Diese könnte mit dem Österreichischen Erbfolgekrieg (1740-1748) zusammenhängen, der zu jener Zeit die Region prägte.
Spuren an Lunge und Knochen lassen zudem vermuten, dass der Geistliche zum Zeitpunkt seines Todes an Tuberkulose litt und gerne zur Pfeife griff. Das Skelett zeigt keine Hinweise auf harte körperliche Arbeit, was gut zum Leben eines Pfarrvikars passt.
Glaskugel mit Löchern an beiden Enden im Bauchraum
Ein kurioses Detail entdeckte das Forschungsteam ebenfalls: eine kleine Glaskugel mit Löchern an beiden Enden im Bauchraum der Mumie. Möglicherweise gehörte sie zu einem religiösen Kleidungsstück oder war Teil eines Rituals. Ihre genaue Bedeutung bleibt offen.
Warum Sidler überhaupt einbalsamiert wurde, ist nicht abschließend geklärt. „Wir haben einige schriftliche Hinweise darauf, dass Leichname für den Transport oder eine verlängerte Aufbahrung der Toten ‚präpariert’ wurden, auch wenn kein Bericht eine genaue Beschreibung liefert“, erläutert Nerlich.
Möglicherweise sei der Vikar für eine Überführung in seine Heimatabtei vorgesehen gewesen, die aus unbekannten Gründen scheiterte. Und so blieb Sidler dort, wo er bis heute liegt.