Kunst des Bierbrauens
Warum der Schaum auf belgischen Bieren so lange hält
Wie kommt die Schaumkrone aufs Bier? Warum hält sie bei einigen Varianten des Gerstensafts länger als bei anderen? Forscher haben sich auch mit diesen Fragen beschäftigt.

© Robert Michael/dpa
Auch deutsches Bier besticht durch eine schöne Schaumkrone.
Von Markus Brauer
Sommerzeit ist Bierzeit. Und nichts geht dem Bierliebhaber über eine Schaumkrone, die auf dem goldenen, perlenden Gerstensaft sitzt. Doch bei vielen Bieren platzt dieser Traum schnell, und der Schaum fällt in sich zusammen, bevor man den ersten Schluck nehmen kann. Allerdings gibt es auch Biersorten, bei denen die Schaumkrone lange hält.
Schaumkrone im Glas
Weshalb das so ist, haben Forscher der ETH Zürich um Jan Vermant, Professor für Weiche Materialien, nun herausgefunden. Ihre Studie ist in der Fachzeitschrift „Physics of Fluids“ veröffentlicht.
Sieben Jahre haben der Belgier und seine Mitarbeitenden daran gearbeitet. Alles begann mit einer einfachen Frage an einen belgischen Brauer: „Wie kontrollierst du die Fermentierung?“ – „Indem ich den Schaum beobachte“, lautete die Antwort.
Heute kennen die ETH-Wissenschaftler die Mechanismen hinter dem perfekten Bierschaum. Und vielleicht können Biertrinker künftig die Schaumkrone im Glas etwas länger bewundern, ehe sie ihren Durst löschen.
Lagerbiere haben vergänglichsten Schaum
In dieser Studie zeigen die Materialkundler auf: Belgische Biere, die dreifach vergoren wurden, haben den stabilsten Schaum, dicht gefolgt von doppelt vergorenen Bieren. Am wenigsten stabil ist die Schaumkrone dagegen bei einfach vergorenen Lagerbieren.
Zu den dreifach vergorenen Bieren gehören etwa Trappistenbiere, eine Spezialität des gleichnamigen Mönchsordens.
Bisher nahmen die Forscher an, dass die Stabilität des Bierschaums vor allem von proteinreichen Schichten an der Oberfläche der Bläschen abhängt. Proteine stammen aus dem Gerstenmalz und beeinflussen die Oberflächenviskosität, also deren Klebrigkeit, sowie die Oberflächenspannung.
Oberflächenspannungen statt Zähflüssigkeit
Doch die neuen Experimente zeigen, dass der entscheidende Mechanismus komplexer ist komplexer und stark von der Biersorte abhängt.
Bei einfach vergorenen Lagerbieren ist die Oberflächen-Viskosität ausschlaggebend. Sie wird beeinflusst durch die im Bier vorhandenen Proteine beeinflusst. Je mehr Proteine im Bier vorhanden sind, desto zähflüssiger wird der Film um die Bläschen und desto stabiler wird der Schaum.
Anders bei den mehrfach vergorenen Trappistenbieren. Hier ist die Oberflächenviskosität minimal. Die Stabilität entsteht durch so genannte Marangoni-Spannungen. Das sind Kräfte, die durch Unterschiede in der Oberflächenspannung entstehen.
Beobachten lässt sich dieser Effekt, indem man zerstossene Teeblättchen auf eine Wasseroberfläche gibt. Die Bruchstücke verteilen sich zunächst gleichmäßig. Gibt man einen Tropfen Seife dazu, werden die Teeblättchen schlagartig an den Rand gezogen. Dabei treten Strömungen auf, die auf der Oberfläche zirkulieren. Halten solche Strömungen lange an, stabilisieren sie die Bläschen im Bierschaum.
Protein entscheidet über Schaumqualität
Eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung des Bierschaumes spielt das Protein LTP1 (Lipid transfer protein 1):
In einfach vergorenen Bieren, wie den Lagerbieren, sind die LPT1-Proteine in ihrer ursprünglichen Form vorhanden. Sie wirken wie kleine, kugelförmige Teilchen, die sich dicht gepackt auf der Oberfläche der Bläschen anordnen. Das entspricht einer zweidimensionalen Suspension: Also einem Stoffgemisch aus einer Flüssigkeit und fein verteilten Festkörpern, welche wiederum diese Blasen stabilisiert.
Bei der zweiten Gärung werden die Proteine durch die Hefezellen etwas denaturiert, das heisst ihre natürliche Struktur wird leicht verändert. Sie bilden dann eine netzartige Struktur, eine Art Membran, welche die Bläschen noch stabiler macht.
Bei der dritten Gärung werden die bereits veränderten LPT1-Proteine so stark denaturiert, dass es Bruchstücke mit einem wasserabstossenden und einem „wasserliebenden“ Ende gibt. Diese Bruchstücke verringern die Grenz- und Oberflächenspannungen und stabilisieren die Bläschen maximal. „Diese Proteinteile funktionieren wie Tenside, die in vielen Alltagsanwendungen wie Waschmitteln Schäume stabilisieren“, erklärt Vermant.
Zusammenspiel vieler Faktoren
„Die Stabilität des Schaums hängt nicht linear von einzelnen Faktoren ab. Man kann nicht einfach ‘etwas’ ändern und es ‘richtig’ einstellen“, erklärt Vermant.
Wird die Viskosität durch zusätzliche Tenside erhöht, könne das den Schaum sogar instabiler machen, weil man damit die Marangoni-Effekte zu stark verlangsame. „Entscheidend ist, gezielt an einem Mechanismus zu arbeiten – nicht an mehreren gleichzeitig. Bier macht das offensichtlich von Natur aus gut.“
Für belgische Bierkonsumenten sei der Schaum wichtig, wegen des Geschmacks und als „Teil der Experience“, wie der Materialforscher erläutert. „Aber nicht überall, wo Bier getrunken wird, ist der Schaum so wichtig. Das ist etwas Kulturelles.“
Anwendungen auch in Technik und Umwelt möglich
Die Erkenntnisse aus der Bierschaum-Forschung haben auch außerhalb der Braukunst Bedeutung. In Elektrofahrzeugen etwa können Schmiermittel schäumen – ein gefährliches Problem.
Ein weiteres Ziel ist die Entwicklung nachhaltiger Tenside, die auf Fluor oder Silizium verzichten.