Begrenzung auf 1,5 Grad?
Warum die Pariser Klimaziele längst gescheitert sind
Die Subventionen für fossile Energien sind gestiegen, der Kohleausstieg stockt. Drastische Schritte sind laut einer Studie nötig, um die Pariser Klimaziele doch noch zu erreichen. Doch das scheint inzwischen völlig unrealistisch.

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Russisch Roulette zu spielen, war noch nie eine gute Idee – und in Zeiten des Klimawandels erst recht nicht.
Von Markus Brauer/dpa/AFP
Bei der Weltklimakonferenz in Paris hatten die Teilnehmerstaaten im Jahr 2015 beschlossen, dass der Anstieg der durchschnittlichen Temperatur auf der Erde im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter möglichst auf 1,5 Grad, zumindest aber auf deutlich unter 2 Grad begrenzt werden soll.
Warme Worte gegen die Erderwärmung
Damals dachte man noch treuherzig, gegen die menschengemachte Erderwärmung würden warme Worte und kosmetische Korrekturen helfen. Doch die Realität hat die hehren Kämpfer gegen die drohende Heißzeit eines Besseren belehrt. Einer neuen Studie zufolge tun die Staaten weltweit viel zu wenig, um die Klimakrise auf ein – für uns Menschen – erträgliches Maß einzudämmen.
Kein einziger (!) der Indikatoren in 45 Schlüsselsektoren ist mit Blick aufs Jahr 2030 auf Kurs, um das Klimaabkommen von Paris einzuhalten, wie die neue Analyse der beden Denkfabriken Climate Analytics und World Resources Institute (WRI) zeigt.
„Alle Systeme blinken rot“, warnt Clea Schumer vom WRI, eine der Leitautorinnen des neuen Berichts „State of Climate Action 2025“. „Es bleibt einfach keine Zeit mehr für Zögern oder halbe Sachen.“ Die Ergebnisse gelten auch als Weckruf für die Weltklimakonferenz in Brasilien in knapp drei Wochen.
„Wir rasseln bei den wichtigsten Aufgaben durch“
- Alarmierend ist etwa dem Report zufolge, dass die staatlichen Subventionen für fossile Brennstoffe wie Gas, Öl und Kohle seit 2014 jährlich um durchschnittlich 75 Milliarden US-Dollar gestiegen sind – auf nun mehr als 1,5 Billionen US-Dollar im Jahr 2023.
- Auch nimmt demzufolge die Abholzung der Wälder, die klimaschädliche Treibhausgase aufnehmen, wieder zu, obwohl die Entwaldung zu Beginn des Jahrzehnts noch abgenommen hatte.
- Der Anteil der klimaschädlichen Kohle an der Stromerzeugung ist zudem in den letzten Jahren auch nur geringfügig gesunken.
„Wir fallen nicht nur zurück. Wir rasseln bei den wichtigsten Aufgaben durch“, konstatiert Sophie Boehm vom WRI.
Kohleausstieg möglichst zehnmal schneller
Den Berechnungen zufolge müsste die Welt bis 2030 Folgendes unternehmen, um die Pariser Klimaschutzziele noch einigermaßen einzuhalten:
- Mindestens zehnmal schneller aus der Kohle aussteigen: Das entspricht der Stilllegung von fast 360 Kohlekraftwerken mittlerer Größe pro Jahr und dem Stopp aller geplanten Kohle-Projekte.
- Die Abholzung von Wäldern neunmal schneller reduzieren: Das derzeitige Niveau entspricht dem Bericht zufolge in etwa dem dauerhaften Verlust von fast 22 Fußballfeldern pro Minute.
- Den Rind- und Lammfleischkonsum in Ländern mit hohem Konsum fünfmal schneller reduzieren: Das bedeutet umgerechnet, den Konsum um etwa zwei Portionen pro Woche in Nord- und Südamerika, Australien und Neuseeland zu senken.
Bill Hare, Chef von Climate Analytics, sagt, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, komme es jetzt auf nur eines an: Geschwindigkeit. Darin sei die Wissenschaft sich einig.
Gibt es auch hoffnungsvolle Entwicklungen?
Der Bericht, den unter anderem der Bezos Earth Fund und die Stiftung ClimateWorks Foundation finanziert hat, beleuchtet auch einige durchaus positive Entwicklungen. So habe sich der weltweite Anteil der Stromerzeugung aus Solar- und Windenergie seit 2015 mehr als verdreifacht, heißt es.
Im Jahr 2024 übertrafen die Investitionen in saubere Energien zudem zum zweiten Mal in Folge die Investitionen in fossile Brennstoffe.
Die Zeit drängt
In den Bestandsaufnahmen der Klimaforscher geht es um die Lücke zwischen den real zu erwartenden Emissionen von Treibhausgasen in den kommenden Jahren und den Werten, die für ein Erreichen der Pariser Klimaziele notwendig wären. Treibhausgase in der Atmosphäre, insbesondere Kohlendioxid, spielen eine zentrale Rolle beim weltweiten Temperaturanstieg.
Wegen der Erderwärmung gibt es in vielen Regionen häufiger und öfter Extremwetter - also Hitzewellen und Dürren, Stürme und Überflutungen. Dies kann ganze Regionen unbewohnbar machen, Ernten zerstören und damit regionale Hungerkrisen verschärfen. Außerdem steigt der Meeresspiegel, was Küstenregionen und kleine Inselstaaten in ihrer Existenzgrundlage bedroht.
Zwei Grad mehr: Was würde das bedeuten?
Diese Frage haben sich der Klimaforscher Taejin Park vom Ames Research Center der US-Raumfahrtbehörde Nasa und sein Team auch gestellt. „Die bei zwei Grad eintretenden Klimaveränderungen und ihre räumliche Heterogenität zu verstehen, ist wichtig, damit Entscheider entsprechende Anpassungen und Maßnahmenpläne vorbereiten können“, schreiben die Wissenschaftler in ihrem Report „Earth’s Future. What does global land climate look like at 2°C warming?” Die Studie ist im Fachmagazin „Advancing Earth and Space Scienes” erschienen.
Für ihre Prognosen verwendeten die Klimaexperten insgesamt 35 Klimamodelle des „Coupled Model Intercomparison Project“ (CMIP), um die Erderwärmung alternativ bei mäßigem und bei ungebremstem Klimawandel vorherzusagen. Zur Info: Das CMIP ist ein 1995 ins Leben gerufenes Netzwerk, das darauf abzielt, das Wissen über den Klimawandel zu verbessern.
Wie wird sich die globale Erwärmung auswirken?
Das globale Klima wird der Studie zufolge die Schwelle zu zwei Grad Erderwärmung (die meximale Obergrenze des Pariser Klimaabkommens) bereits in den 2040er Jahren überschreiten, prognostizieren die Experten. Ob der Klimaschutz optimiert wird oder nicht, spielt dabei eigentlich keine große Rolle mehr.
Selbst mit einem weltweiten Bemühen wie im Pariser Abkommen ratifiziert, die Erderwärmung zu begrenzen, würde die Zwei-Grad-Marke im Jahr 2042 erreicht – statt 2044. „Die globalen Lufttemperaturen über Land werden zu diesem Zeitpunkt schon um 2,33 beziehungsweise 2,79 Grad angestiegen sein“, schreiben die Forscher.
Einige Regionen werden sich schneller erwärmen als der Rest der Welt – nämlich auf eine Jahresmitteltemperatur von über drei Grad. Dazu zählen die Arktis und Antarktis, Grönland, Alaska und Nordasien. Im südlichen Asien, in Afrika und im südlichen Südamerika fällt die Erwärmung dagegen etwas moderater aus.
Mehr Hitzestress-Tage
Bei zwei Grad globaler Erderwärmung – regional können noch weit höhere Werte erreicht werden – werden der Mix aus Luftfeuchtigkeit und Hitze häufiger auftreten und die für Menschen noch erträgliche Grenze deutlich überschreiten.
„Dies gilt besonders stark für das westliche Nordamerika mit 27 zusätzlichen Hitzestress-Tagen, Ostafrika mit 32 Tagen mehr und die Sahelzone mit 44 zusätzlichen Hitzestress-Tagen“, berichten die Wissenschaftler. In Australien und Südamerika könnte sich der Hitzestress dagegen leicht verringern.
In Mitteleuropa werden die Sommer heißer, feuchter und schwüler. Die Sonneneinstrahlung wird intensiver und länger – vor allem im Mittelmeerraum, in Nordeuropa, im Osten Nordamerikas, in weiten Teilen Afrikas sowie in der Arktis.
Regional deutlich mehr oder weniger Regen
Die Niederschläge werden vielerorts häufiger und heftiger. Allerdings mit großen regionalen Unterschieden: In West- und Ostafrika fallen 82 und 52 Millimeter mehr Regen pro Quadratmeter und Jahr. In Südasien erhöht sich die Niederschlagsmenge um 64 Millimeter pro Jahr – vor allem in Form von Starkregen.
Weniger Regen wird es hingegen im Südwesten Nordamerikas und im Mittelmeerraum, in Australien und im Amazonas geben. Dort wird sich die jährliche Niederschlagsmenge signifikant um 98 Millimeter pro Quadratmeter und Jahr verringern.
„Das Amazonasgebiet wird schwerere Dürren, ein höheres Feuerrisiko und gefährlichen Hitzestress erleben, wenn sich die Erde weiter erwärmt“, stellen die Klimaexperten fest. Der größte Regenwald der Erde könnte sich in eine Savanne verwandeln.
Wetterextreme verstärken sich
„Es ist offensichtlich, dass sich das Ausmaß und die Richtung der Klimaveränderungen je nach Region unterscheidet“, resümieren Taejin Park und sein Team. „Dadurch sind auch die Auswirkungen sehr unterschiedlich.“ Insgesamt, so das Fazit der Wissenschaftler, würden sich die schon heute spürbaren Folgen des Klimawandels weiter verstärken.