Evolution der Lebensspanne
Warum Frauen länger Leben
Forscher haben ein seit Langem bestehendes Rätsel der Biologie entschlüsselt: Warum altern Männer und Frauen unterschiedlich?

© Imago/Frank Sorge
Eine neue Leipziger Studie liefert neue Erkenntnisse zu einem seit Langem bestehenden Rätsel der Biologie: Warum altern Männer und Frauen unterschiedlich?
Von Markus Brauer
Weltweit leben Frauen im Durchschnitt länger als Männer, ein Muster, das sich nahezu in allen Ländern der Welt und über Jahrhunderte hinweg zeigt.
Zwar hat sich der Abstand zwischen den Geschlechtern in einigen Ländern aufgrund medizinischer Fortschritte und verbesserter Lebensbedingungen verringert, doch neue Forschungsergebnisse liefern nun Hinweise darauf, warum dieser Unterschied wahrscheinlich nicht so schnell verschwinden wird: Die Ursachen sind tief in der Evolutionsgeschichte verwurzelt und bei vielen Tierarten zu beobachten.
Forscher unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben die bislang umfassendste Analyse der geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Lebensdauer von Säugetieren und Vögeln durchgeführt. Die Ergebnisse liefern neue Erkenntnisse zu einem seit Langem bestehenden Rätsel der Biologie: Warum altern Männer und Frauen unterschiedlich?
Die Studie ist im Fachjournal „Science Advances“ veröffentlicht.
Langlebigkeit: Eine Frage der Chromosomen?
Bei den meisten Säugetieren, darunter Pavianen oder Gorillas, überleben die Weibchen ihre männlichen Artgenossen. Dieses Muster gilt jedoch nicht universell: Bei vielen Vögeln, Insekten und Reptilien zeigt sich ein umgekehrtes Bild und die Männchen sind langlebiger.
Eine genetische Erklärung hierfür liefert die sogenannte heterogamete Geschlechtshypothese, die Unterschiede in den Geschlechtschromosomen berücksichtigt.
- Zur Info: Heterogametie bezeichnet die Geschlechtsbestimmung des Nachwuchses durch Bildung von zwei verschiedenen geschlechtsspezifischen Gameten (Spermien sowie Eizellen) mit unterschiedlichen Geschlechtschromosomen.
Bei Säugetieren haben Weibchen zwei X-Chromosomen, während Männchen nur ein X- und ein Y-Chromosom besitzen. Dies macht sie zum heterogametischen Geschlecht.
Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass zwei X-Chromosomen Weibchen vor schädlichen Mutationen schützen und ihnen somit einen Überlebensvorteil verschaffen. Bei Vögeln ist das System jedoch umgekehrt: Hier sind die Weibchen das heterogametische Geschlecht.
Bei den meisten Säugetieren leben Weibchen länger
Anhand von Daten zu über 1176 Säugetier- und Vogelarten in Zoos weltweit stellten die Forscher einen deutlichen Unterschied in der Lebenserwartung fest, der die heterogametische Geschlechtshypothese untermauert.
Demnach leben bei den meisten Säugetieren (72 Prozent) die Weibchen länger, im Durchschnitt um zwölf Prozent. Bei den meisten Vogelarten (68 Prozent) lebten hingegen die Männchen länger, im Durchschnitt um fünf Prozent.
Dennoch gab es auch erstaunliche Abweichungen und zahlreiche Ausnahmen. „Bei einigen Arten fanden wir das Gegenteil des erwarteten Musters”, sagt Hauptautorin Johanna Stärk. „So sind beispielsweise bei vielen Raubvögeln die Weibchen sowohl größer als auch langlebiger als die Männchen. Geschlechtschromosomen können das Phänomen also nur teilweise erklären.”
Welche Rolle die Zahl der Geschlechtspartner spielt
Neben der Genetik spielen auch Fortpflanzungsstrategien eine Rolle. Durch sexuelle Selektion entwickeln vor allem die Männchen auffällige Merkmale, wie etwa ein farbenprächtiges Gefieder, Waffen oder eine große Körpergröße, die zwar den Fortpflanzungserfolg steigern, aber die Lebensdauer verkürzen können.
Die neue Studie stützt diese Annahme: Bei polygamen Säugetieren mit mehreren Geschlechtspartnern mit starkem Wettbewerb sterben die Männchen in der Regel früher als die Weibchen. Viele Vögel hingegen sind monogam – haben also nur einen Geschlechtspartner –, wodurch der Konkurrenzdruck geringer ist und die Männchen oft länger leben.
Insgesamt waren die Unterschiede in monogamen Arten am geringsten, während Polygamie und ausgeprägte Größenunterschiede mit einem deutlicheren Vorteil für die Weibchen einhergingen.
Konkurrenz und elterlicher Fürsorge
Auch elterliche Fürsorge spielt eine Rolle. Die Forscher fanden Hinweise darauf, dass das Geschlecht, das stärker in die Aufzucht der Nachkommen investiert – bei Säugetieren sind es oft die Weibchen –, tendenziell länger lebt.
Bei langlebigen Arten wie Primaten dürfte hier ein Selektionsvorteil wirken: die Weibchen überleben solange bis die Nachkommen selbstständig oder geschlechtsreif sind.
Geschlechtsunterschiede bleiben auch im Zoo bestehen
Eine andere Erklärung sieht Umwelteinflüsse wie Raubtiere, Krankheiten oder raue klimatische Bedingungen als Ursache für geschlechtsspezifische Unterschiede. Um dies zu überprüfen, analysierten die Forscher Tierpopulationen in Zoos, wo diese Faktoren kaum eine Rolle spielen.
Demnach blieben die Unterschiede in der Lebenserwartung bestehen, wenn auch weniger ausgeprägt als in Wildpopulationen. Ähnlich wie beim Menschen verringern verbesserte Lebensbedingungen und Zugang zu Ressourcen den Unterschied zwischen den Geschlechtern, beseitigen sie jedoch nicht vollständig.
Die Ergebnisse machen deutlich, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in der Lebenserwartung tief in evolutionären Prozessen verwurzelt sind. Sie entstehen wahrscheinlich durch ein Zusammenspiel von genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen und wurden durch Selektionsdrücke geprägt um Paarungspartner und das Überleben der Nachkommen zu sichern.
Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind also nicht nur ein Produkt der Umwelt, sondern Teil unserer evolutionären Geschichte – und werden sehr wahrscheinlich auch in Zukunft bestehen bleiben.