Was Menschenrechte mit Kleidung verbindet

Andreas Wenzel geht in seinem Vortrag „Textile Lieferkette vom Baumwollfeld bis zur Entsorgung“ bei der Volkshochschule auf die Probleme ein, die mit dem Geschäftsmodell Fast Fashion einhergehen, wie katastrophale Arbeitsbedingungen und Umweltverschmutzung.

Andreas Wenzel hat klare Botschaften, was die Textilherstellung anbelangt, auch in Form eines Überziehers. Im Zimmertheater der Volkshochschule in Murrhardt hat er über die Problematiken gesprochen und Kriterien für einen besseren Weg vorgestellt. Foto: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Andreas Wenzel hat klare Botschaften, was die Textilherstellung anbelangt, auch in Form eines Überziehers. Im Zimmertheater der Volkshochschule in Murrhardt hat er über die Problematiken gesprochen und Kriterien für einen besseren Weg vorgestellt. Foto: Stefan Bossow

Von Petra Neumann

Murrhardt. Schon seit Längerem ist bekannt, dass die Modebranche für manche Umweltverschmutzung und -problematik mitverantwortlich ist. Außerdem sind die Löhne der Näherinnen und Näher meist katastrophal niedrig. Trotzdem liegt Fast Fashion – das Geschäftsmodell der Bekleidungsindustrie, bei dem die Kollektionen schnell und trendbezogen designt und zu niedrigen Preisen produziert und verkauft werden – voll im Trend. In seinem Vortrag „Textile Lieferkette vom Baumwollfeld bis zur Entsorgung“ klärte Andreas Wenzel, der für seine erkrankte Mitstreiterin Dorothy Kidza-Zentler eingesprungen war, über die Probleme bei der Herstellung von Kleidung, egal ob billig oder sehr teuer, im Grabenschulhaus der Volkshochschule auf.

Durchschnittlich 61 Kleidungsstücke kauft ein Bundesbürger pro Jahr. Billigketten locken Kunden und können sich trotzdem Läden in bester Lage mieten. Das Geschäft mit der Mode boomt, Modell zu sein ist der Traum vieler junger Mädchen. Wie es aber hinter der Hochglanzglitzerwelt aussieht ist alles andere als schön, machte Andreas Wenzel deutlich: Mode wird in den ärmsten Ländern hergestellt, eine Näherin erhält für einen 13-Stunden-Job sechs Tage in der Woche gerade mal 60 Euro. Der Großteil des Gewinns geht an die Einzelhändler der westlichen Konsumländer, nämlich 59 Prozent. Im Vergleich dazu liegt der Anteil des Lohns bei 0,6 Prozent, so Wenzel. Die Fabrik erhält rund vier Prozent, zwölf Prozent sind jeweils für das Material, den Zwischenhandel und das Marketing einzurechnen und acht Prozent für den Transport. Bis ein Kleidungsstück im Laden landet, sind seine Bestandteile mehrfach von Land zu Land und von Kontinent zu Kontinent gereist – Tausende von Kilometern.

Hatte man früher zwei Hauptkollektionen pro Jahr, kommen mittlerweile alle 14 Tage neue Kollektionen heraus, sodass der Druck auf die Hersteller immens ist. Erhält ein solcher Hersteller einen Auftrag, muss er oft Zeitarbeiter einstellen oder Subunternehmen mit einbeziehen, um die gewünschte Ware in der kurzen Zeit produzieren zu können. „Die jungen Frauen in den asiatischen Ländern werden oft mit falschen Versprechungen in die Fabriken gelockt, müssen aber für Kost und Logis fast den ganzen Lohn opfern und führen das Leben von Leibeigenen“, wusste Andreas Wenzel zu berichten. Aufgrund der fehlenden Arbeitsschutzmaßnahmen leiden etwa 27 Millionen der rund 60 Millionen in der Modebranche Tätigen an gesundheitlichen Problemen. Hintergrund ist vor allem schädliche Chemie. Es gibt bis zu 20000 verschiedene Stoffe, welche die Gewässer verunreinigen, die Böden schädigen (nach Schätzungen ungefähr 85,2 Millionen Hektar weltweit), das Artensterben auf das Tausend- bis Zehntausendfache beschleunigen und einen stattlichen Ausstoß von 1200 bis 1715 Millionen Tonnen CO2 verursachen – und das alles für knallbunte Fast Fashion statt haltbare Qualitätskleidung.

Hinzu kommt, dass die Modeindustrie zehn Prozent des global industriell genutzten Wassers verschlingt (79 Milliarden Kubikmeter pro Jahr). Als Endprodukt entstehen 98 Millionen Tonnen Müll an entsorgten Kleidungsstücken, von denen nur 20 Prozent recycelt werden. Weiterer Punkt: Ein Großteil der Stoffe besteht aus Fasern, die aus Erdöl gewonnen werden, hinzu kommt der Transport. Nicht genug damit, Polyester, Acryl und Konsorten lösen sich als Mikrofasern auf, tragen also zum Problem des Mikroplastikmülls bei. „Das ist pro Woche so viel Material wie 3,3 Millionen Plastiktüten“, unterstrich der Referent.

Verwirrend ist die Anzahl der Siegel, die schwer einzuordnen sind, weil sie unterschiedliche Kriterien abdecken. Es gibt zwar ein paar gute, aber der Endverbraucher müsste sich genau informieren, was hinter solchen Siegeln steht. „Wichtig wäre eine absolute Transparenz der gesamten Lieferkette und vor allem die Einhaltung der Menschenrechte und die Vermeidung von Umweltzerstörungen“, forderte Andreas Wenzel. Damit diese Botschaft auch bei jungen Leuten ankommt, besucht er Schulen und Volkshochschulen, um dort über diese gravierenden Missstände aufzuklären.

Aber was kann der Einzelne tun? Mittlerweile gibt es die Formel der fünf Rs: reduce, also weniger kaufen, rethink, was sich mit „bewusster konsumieren“ übersetzen ließe, reuse im Sinne eines Weiterverwertens wie über Secondhandware, repair, will heißen stopfen, flicken oder umnähen, und return, also recyceln. Angesichts der raffinierten Methoden der Werbeindustrie ist das kein leichtes Unterfangen, aber jeder Beitrag und jedes Umdenken hilft.

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Erstellt:
16. Februar 2023, 06:00 Uhr

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