Aussicht, Ruhe, edle Tropfen

Weingüter als Geheimtipp für Wohnmobilisten

In Frankreich gibt es das schon lange, doch auch in Württemberg sind Weingüter mit Wohnmobilstellplatz im Kommen. Der Deal lautet: kostenlos übernachten, dafür Wein kaufen.

Für Christine und Reinhard Baumgärtner empfangen gerne Wohnmobilisten auf ihrem Weingut.

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Für Christine und Reinhard Baumgärtner empfangen gerne Wohnmobilisten auf ihrem Weingut.

Von Eberhard Wein

Nein, diesen Platz muss man sich nicht schön trinken – obwohl man es könnte. Susanne und Reinhard Dettling stehen mit ihrem Wohnmobil am Panoramaweingut Baumgärtner am Hohenhaslacher Kirchberg bei Sachsenheim (Kreis Ludwigsburg). Über die Rebhänge geht der Blick hinunter ins 80 Meter tiefer liegende Tal. Zu sehen sind Bietigheim-Bissingen und der Hohenasperg. In der Ferne grüßt schon die Schwäbische Alb mit der Burg Teck, links daneben der Hohenneuffen. Und natürlich ragt auch der Stuttgarter Fernsehturm aus dem Abenddunst. „Gerade hat man ihn sogar noch etwas besser gesehen“, sagt Dettling.

Der 66-Jährige aus Reutlingen nippt an einem Glas Weißherbst. „Meine Frau trinkt überhaupt keinen Wein“, er nicht viel. Trotzdem lieben es die Beiden, an Weingütern zu campen – vor allem wenn man eine solch grandiose Aussicht hat. Der Stellplatz ist für eine Nacht kostenlos oder für kleines Geld zu haben. Dafür deckt man sich im Hofladen mit einer Kiste Wein ein. „Das ist der Deal“, sagt Dettling. Er hat nur eine Flasche abnehmen können, dafür aber noch ein feines Öl mitgenommen und ordentlich Trinkgeld gegeben. „Das ist eben ein Geben und Nehmen.“

Hoffnung auf neue Käuferschichten

Die Baumgärtners bauen auf 13 Hektar die württembergischen Klassiker Trollinger und Lemberger aus, aber auch Spitzenweine wie Malbec und Syrah. Schon 2012 legten sie die drei Wohnmobilstellplätze vor ihrem Haus an. Ein befreundeter Marketingfachmann hatte die Idee aus Frankreich mitgebracht. „Da machen das alle Weingüter“, habe er gesagt. Weil man nicht noch Auto fahren müsse, könne man ohne Reue auch ein Glas mehr trinken.

Die Baumgärtners installierten eine Steckdose, die Parkbucht hatten sie vorher schon für Reisebusse angelegt. „Das kostete uns eigentlich fast nichts“, sagt die Chefin Christine Baumgärtner. Dann meldeten sie ihre Stellplätze bei verschiedenen Portalen an, die „Landvergnügen“ oder „Bauernhofcamping“ heißen. Längst sind die Wohnmobilisten für den Betrieb zu einem weiteren kleinen Standbein geworden. „Das wird immer wichtiger. Die Leute trinken weniger Wein, also brauchen wir mehr Käufer“, sagt Christine Baumgärtner.

Seit Corona boomt das Geschäftsfeld

Auch die Genossenschaftskellerei Heilbronn entschied sich dafür, beim Neubau ihrer Zentrale vier Wohnmobilstellplätze anzulegen, dort sogar mit Strom- und Wasseranschluss. Umgeben von herrlicher Reblandschaft und vor den Toren einer Großstadt lässt sich dort günstig campen. „Das hilft uns beim Weinverkauf“, sagt der Geschäftsführer Daniel Drautz. „Wir sind sehr froh, dass wir uns damals dafür entschieden haben.“ Mit Corona habe der Boom so richtig eingesetzt. Inzwischen erkundigten sich immer wieder Kollegen nach dem Konzept. Mindestens 33 Weingüter im gesamten Land bieten bereits Stellplätze, allein sechs gibt es im Heilbronner Land, weitere sechs im Bereich Kraichgau-Stromberg-Heuchelberg.

Sogar im Winter werde das Angebot angenommen, hat Drautz beobachtet. Mit einem Mann aus München habe er sich schon fast angefreundet. Alle ein bis zwei Wochen sei er vorbeigekommen. „Mal war er auf Sylt, dann in Italien. Wir waren seine Homebase“, sagt Drautz. „Homeoffice macht es möglich.“ Allerdings seien auch viele Rentner, so genannte Bestager, unter den Nutzern. „Im Sommer sind wir eigentlich dauerhaft belegt und wochenends auch immer voll“, sagt Drautz. Die Nacht kostet sieben Euro, für Strom und Wasser sind noch einmal drei und zwei Euro fällig. Wer allerdings für 50 Euro im Verkaufsladen einkauft, kann sich diese Beträge sparen.

Recht spartanisch geht es bei den Marbacher Weingärtnern zu. Lediglich ein kleines Hinweisschild zeigt an, dass Wohnmobilisten willkommen sind. Unter einem Baum an der Wand der Kellereihalle dürfen zwei Fahrzeuge parken. Wasser und Strom gibt es nicht, dafür ist der Stellplatz generell kostenlos. Nicht regelmäßig, aber immer wieder werde das Angebot genutzt, sagt eine Mitarbeiterin. Bis zur Schillerhöhe und in die Altstadt sind es schon ein paar Schritte. Doch in der Vinothek und an einem Automaten können sich die Reisenden mit Wein eindecken – und mit Blick zum Feldrand den Sonnenuntergang genießen.

Bei den Baumgärtners in Hohenhaslach geht ebenfalls die Sonne langsam unter. Stephanie und Johannes Pickmann machen sich eine Flasche Weißen auf. Am Morgen waren sie noch am Bodensee, zuvor in Apulien. Jetzt müssen sie zurück nach Kevelaer-Kervenheim im Kreis Kleve, wo sie Roboterrasenmäher verkaufen. Nein, Weinkenner seien sie gewiss nicht. „Wir merken nur, wenn uns ein Wein schmeckt“, sagt Stephanie Pickmann (55). Seit sie bei Weingütern übernachten, kaufen sie sich dort gerne mal eine Kiste. „Bei einem Weingut in der Pfalz haben wir sogar eine nachbestellt.“ Von Supermarkt-Weinen sind sie gänzlich abgekommen.

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Erstellt:
29. Mai 2025, 10:16 Uhr

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