Weniger Waren für mehr Bedürftige
Für die Murrhardter Tafel ist es nicht die erste Herausforderung in den vergangenen Jahren, trotzdem machen die wegbrechenden Spenden dem Team zu schaffen. Im Laden heißt es, die Lebensmittel in kleineren Portionen zu verkaufen, damit sie sich möglichst gerecht verteilen lassen.

© Stefan Bossow
Ein Teil der Kundinnen und Kunden wartet draußen. Über die Einkaufsreihenfolge entscheidet das Los jedes Mal neu, um gerecht vorzugehen.
Von Christine Schick
Murrhardt. „Wenn eine Familie mit drei Kindern an die Kasse kommt und ich sagen muss, dass sie nur ein Paket Nudeln mitnehmen darf, ist das schon schwer“, erzählt Melanie Kunig. Es sei ja klar, dass die damit nicht allzu weit kommt. Zweimal in der Woche, Montag und Donnerstag, öffnet die Tafel. Aber das Team der Ehrenamtlichen ist gezwungen, den Warenverkauf in dem Murrhardter Geschäft immer mehr zu reglementieren. Gestiegene Kundenzahlen treffen auf rückläufige Warenspenden. „Die Menschen haben aber Verständnis für die Situation“, sagt die ehrenamtliche Helferin. Ein Blick aus dem Ladenfenster genüge, um zu sehen, dass viele weitere Kundinnen und Kunden darauf warten, eine Chance auf den Kauf verbilligter Lebensmittel zu bekommen. Vor dem Geschäft in der Murrhardter Weststadt stehen oder sitzen Männer und Frauen, unter ihnen sind auch einige mit Kinderwagen und Knirpsen, die beschäftigt werden wollen. Sie müssen sich gedulden, bis sie an der Reihe sind, die jedes Mal neu und per Zufall durch ein Losverfahren bestimmt wird. „Das hat sich bewährt, weil es über die Zeit gesehen eine einigermaßen gerechte Verteilung bedeutet“, sagt Berthold Müller, Vorsitzender der Tafel Murrhardt.
Es gibt nur eine Dose oder ein Paket, trotzdem hilft der Einkauf
Ein Mann erinnert sich an das erste Mal, als er eine zweite Dose Tomaten wieder abgeben musste. „Das ist nicht so toll“, wenn der Blick auf das noch gefüllte Regal falle. „Ich nehme von mir aus schon nicht so viel, weil ich ja weiß, dass noch andere einkaufen wollen“, sagt er. Eine Mutter ist mit ihren beiden kleinen Kindern gekommen und hofft, dass sie die Wartezeit mit den zwei gut überbrücken kann. Gleichwohl der Beschränkungen und geringeren Warenmenge sagt die Alleinerziehende: „Es hilft trotzdem, hier einkaufen zu dürfen. Ich hab auch Verständnis für die Einteilung, wenn ich daran denke, dass es ja auch richtig große Familien gibt.“ Ein Ukrainer – seit April in Murrhardt – ist mit einem befreundeten Ehepaar unter den Wartenden. Er kann am Nachmittag deshalb nicht in seinem Deutschkurs sein, hofft aber, etwas Wurst, Milch und Butter zu bekommen, vielleicht sogar ein paar Süßigkeiten. Die Nummer einer afghanischen Mutter, die vier Kinder hat, wird aufgerufen und sie geht ins Geschäft. Sie weiß, dass zurzeit weniger Waren da sind. „Es ist gut, dass es die Tafel gibt“, sagt eine ältere Dame. Wichtig ist ihr, dass so auch weniger Lebensmittel weggeworfen werden. Manche planen mit Einschränkungen, sparen noch mehr, manche hoffen auf Spenden von weiteren lokalen Geschäften. Auch die Angst vor weiter zunehmenden Flüchtlingszahlen wird thematisiert.
Die angespannte Lage bei der Murrhardter Tafel speist sich aus dem Mix gestiegener Kundenzahlen und wegbrechender Warenspenden vor dem Hintergrund der weltpolitischen Lage – Ukrainekrieg, Fluchtbewegungen, steigende Energiekosten und die Konsequenzen. Die Auswirkungen der aktuellen Krisen bekommen die Tafeln schnell zu spüren, auch in Murrhardt, berichtet Berthold Müller. Konkret sind über 70 neue, ukrainische Tafelkundinnen und -kunden hinzugekommen, mittlerweile hat das Team 240 Karten ausgegeben, hinter denen oft weitere Menschen stehen. Zudem ist klar, dass es bei den jetzigen Geflüchteten nicht bleiben wird. Und es sind Spender weggefallen: Eine Murrhardter Bäckerei musste schließen und ein Discounter aus der Walterichstadt hat die Belieferung eingestellt. Zum ersten Mal macht das Team die Erfahrung, dass der Waren- und Lagerbestand buchstäblich aufgebraucht ist. Auch eine Spendenaktion, die gemeinsam mit Rewe läuft und bei der Kundinnen und Kunden eine schon zusammengestellte Tüte kaufen und so weitergeben können, ist im Vergleich zu den Vorjahren rückläufig. „Das ist auch klar, die Leute müssen überlegen, ob das für sie möglich ist, wenn beispielsweise die Heizkosten für Gas von 100 auf 400 Euro ansteigen“, sagt Berthold Müller. Er schätzt, dass es rund 30 Prozent mehr Kundinnen und Kunden sind, der Spendenumfang um denselben Anteil gesunken ist. Anderen Tafeln geht es nicht anders. Auch über das regionale Lager des Tafelverbunds in Waiblingen ist der Rückgang spürbar.
Mittlerweile sei eine Spende der Erntedankgaben, die die evangelische Kirchengemeinde Murrhardt für die Tafel reserviert hat, ein echtes Highlight. Eine wichtige Hilfe ist auch das Modell, das das Team mit der Neuapostolischen Kirchengemeinde entwickelt hat: Die Ehrenamtlichen geben eine Liste an benötigten Waren weiter, die von den Kirchenmitgliedern zusammengetragen und weitergegeben werden. „Wenn das Auto dann mal wieder bis oben hin voll ist“, geht Müller das Herz auf. Trotzdem heißt es dranzubleiben – an Verhandlungen mit weiteren potenziellen Partnern. „Wir leben im Moment fast nur noch von dem, was wöchentlich reinkommt“, sagt Müller. Da es bereits die Situation gab, dass der Laden ausverkauft war, und sich die Lage insgesamt noch verschärfen könnte, muss sich das Team auf weitere Einschnitte vorbereiten und überlegen, wie es reagieren kann. „Wir müssen, wenn die Situation so bleibt, ab Januar kommenden Jahres den Einlass der Kunden auf einen Einkauf pro Woche beschränken“, erklärt der Vorsitzende. Da die allermeisten Kundinnen und Kunden beide Öffnungstage nutzen, wäre dies für ihn die sauberste Lösung. Er hofft, dass solch ein Einschnitt nicht schon im Dezember nötig ist.
Die Murrhardter Tafel feiert im Dezember ihren zehnten Geburtstag
In diesem Monat steht ein runder Geburtstag an: Die Tafel wird im Dezember zehn Jahre alt. Angesichts der bescheidenen Anfänge im Grabenschulhaus und der Entwicklung hin zu einer „funktionierenden und notwendigen Einrichtung für Murrhardt“, zeitweise mit einer Zweigstelle in Oberneustetten, wo 2015/16 viele Flüchtlinge untergebracht waren, haben die Helferinnen und Helfer Beachtliches geleistet. „Viele sind seit der Gründung dabei“, sagt Berthold Müller, was ihn aber zu einer weiteren Problematik bringt: dem mittlerweile hohen Alter vieler Engagierter und dem ganz akuten Bedarf beim Fahrerteam, bei dem drei Helfer aufhören mussten.
Der Vorsitzende, selbst schon 73 Jahre alt, hofft auf Menschen, die sich vorstellen können, das Team zu unterstützen. Was die mitbringen sollten? Im Zentrum stehen letztlich einfach eine gute Kommunikation und der Blick fürs Gegenüber. Berthold Müller drückt das so aus: „Entscheidend ist, miteinander zu reden und im Gespräch zu bleiben, statt aufeinander zu schimpfen.“ Eine Haltung, die mit Blick auf die Lage auch generell wertvoll ist.

© Stefan Bossow
Berthold Müller, Vorsitzender der Tafel Murrhardt (links), und Hans Wieland, der das Team der Fahrerinnen und Fahrer koordiniert, hoffen auf neue ehrenamtliche Helferinnen und Helfer.

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Die Regale sind deutlich leerer als früher. Fotos: Stefan Bossow
Unterstützung Das Fahrerinnen- und Fahrerteam des Tafelladens sucht neue Ehrenamtliche. Zweierteams kümmern sich darum, die Spenden bei den jeweiligen Partnern abzuholen. Das bedeutet, einmal alle 14 Tage für vier Stunden mit dem Kühlauto die Waren einzusammeln. Wer Interesse hat zu unterstützen, kann sich bei Hans Wieland, der das Team koordiniert, unter Telefon 07192/7105 melden. Auch ein Besuch im Laden in der Werrenstraße 3 am Montag- und Donnerstagvormittag ist möglich.
Homepage Weitere Infos zum Geschäft gibt es auf https://tafel-murrhardt.jimdo.com.