Neue Regeln für Schiffsrecycling
Wenn für Schrott-Schiffe die Sterbeglocke läutet
Nach 30 Jahren zu See werden Schiffe ausgemustert. Viele werden in Südasien abgewrackt – unter schwierigen Bedingungen für Mensch und Umwelt. Eine neue Regelung soll das jetzt ändern.

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Auf einem sieben Kilometer langen Strandabschnitt bei Faujdarhat etwa 15 Kilometer nordwestlich von Chittagong in Bangladesch befinden sich eine der größten Abwrackwerften weltweit.
Von Markus Brauer/dpa
Schiffe dürfen künftig nur noch nach neuen, internationalen Regeln recycelt werden – zum Schutz von Mensch und Meer. Die sogenannte Hongkong-Konvention tritt nach jahrelangen Verhandlungen in Kraft. „Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung“, sagt Anja Binkofski vom Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven.
Was regelt die Hongkong-Konvention?
Die Hongkong-Konvention der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) wurde schon 2009 beschlossen. Erst nach vielen Jahren unterzeichneten genug Länder die Regelung, die nun 16 Jahre später in Kraft tritt.
Demnach brauchen alle Schiffe einen Gefahrenstoffpass. „Da sind alle Materialien aufgelistet, die in dem Schiff verbaut oder transportiert wurden und als Gefahrstoffe gelten“, erklärt Binkofski. „Dass am Ende klar ist: Was war auf dem Schiff, was ist jetzt noch auf dem Schiff? Woraus müssen wir achten, wenn es ums Recycling geht?“
Außerdem müssen die Werften künftig zertifiziert sein. „Damit verpflichten sie sich, einen gewissen Standard an Arbeits- und Umweltschutz zu haben“, erklärt die Wissenschaftlerin. Wenn Schiffe recycelt werden sollen, wird ein weiteres Zertifikat benötigt. Das Dokument regelt, welche Materialien wo verbaut sind und wie das Schiff recycelt werden soll.
Recycling an Stränden mit verheerenden Folgen
In der Europäischen Union gelten bereits strengere Regeln, mit der Konvention wird jetzt international ein Standard festgelegt. Dadurch steigt nach Auffassung der Branche die Wettbewerbsfähigkeit von Abwrackwerften in der EU.
Weltweit werden nach Angaben des Verbands der Deutschen Reeder jährlich rund 700 Seeschiffe außer Dienst gestellt. Etwa 90 Prozent dieser alten Schiffe werden bislang kostengünstig in Südasien, vor allem in Pakistan, Bangladesch und Indien, abgewrackt und recycelt.
Nach Daten der Nichtregierungsorganisation „Shipbreaking Platform“ wurden im vergangenen Jahr 409 hochseetaugliche Handelsschiffe an Abwrackwerften verkauft. Davon wurden nur 25 Schiffe in der Europäischen Union zerlegt, der größte Anteil mit 255 Schiffe an südasiatischen Stränden recycelt.
Dort schuften ungelernte Arbeiter ohne Schutzkleidung. Gasexplosionen, herabfallende Stahlteile und Stürze aus großer Höhe kosten jedes Jahr zahlreiche Menschen das Leben. Auf diese Weise starben 2024 neun Arbeiter, weitere 45 wurden nach Angaben der Organisation verletzt.
Schiffswracks als toxischer Schrott
Auch für die Umwelt hat die bisherige Praxis verheerende Folgen. „Ein Schiff hat einfach sehr, sehr viele giftige Materialien verbaut“, erläutert Binkofski. Asbest als Dämmstoff, giftige Stoffe in Kabeln oder in der Farbe. „Wenn das Schiff jetzt einfach auf dem Strand liegt und dort auseinandergenommen wird, dann fallen zum Beispiel diese kleinen Partikel von der Farbe einfach auf den Strand und bei der nächsten Flut werden sie weggeschwemmt und kommen ins Wasser.“
Welche Wirkung hat die Hongkong-Konvention?
Die nun geltenden Regeln sind auf dem Stand von 2009 und müssten dringend weiterentwickelt werden, fordert die Expertin. Das Recyceln auf Stränden sei beispielsweise weiterhin möglich und müsse untersagt werden. „Wenn man Beaching verbietet, bedeutet das, dass all diese Werften Trockendocks bauen müssten. Und das ist einfach unglaublich teuer und gar nicht richtig umzusetzen“, befürchtet die 28-Jährige.
Inwiefern die Hongkong-Konvention den Arbeits- und Umweltschutz tatsächlich verbessern wird, wird sich also erst noch zeigen. „Es ist eine Frage des Willens“, meint Binkofski. Die Branche selbst müsse Druck ausüben, damit sich wirklich etwas ändert.
Schiffsrecycling als Chance für maritime Wirtschaft
Die maritime Wirtschaft in Norddeutschland könne davon profitieren, ist Binkofski überzeugt. In der ostfriesischen Seehafenstadt Emden werden bald die ersten Schiffe in Deutschland recycelt, weitere Werften sollen folgen. „Jetzt am Anfang wird es vermutlich um eher kleinere Schiffe gehen.“
Nach und nach könnten auch Containerschiffe in Deutschland zerlegt werden. „Die Hoffnung ist natürlich, dass sich die Werftstandorte dadurch halten und ein zweites Standbein aufbauen können.“
Wenn Schiffe bald hierzulande recycelt werden, bleiben auch die Materialien in der Region. „Man kann tendenziell fast alles von so einem Schiff recyceln“, konstatiert die Forscherin. Interessant sei vor allem der Stahl, der im Anschluss wieder für neue Schiffe oder für andere Sparten wie die Autoindustrie genutzt werden könne.
Arbeit wird es mehr als genug geben, denn die Weltflotte ist veraltet. „In den nächsten Jahren werden auf jeden Fall sehr, sehr viele Schiffe auf uns zukommen, die recycelt werden müssen“, betont Anja Binkofski.
Chittagong: Ein Beispiel für Schiffsverschrottung in Bangladesch
Am Strand nördlich der Hafenstadt Chittagong in Bangladesch werden rostige Ozeanriesen zum Abwracken auf den Strand gefahren und von tausenden Arbeitern mit Schweißgeräten und Vorschlaghämmern in Handarbeit zerlegt werden.
Der Strand ist ölverseucht, Schrott und Maschinenteile liegen herum, Aufseher treiben die Arbeiter an, und im Watt ragen die Überreste von Schiffen bizarr in den Himmel.
Die Abwrackwerften befinden sich auf einem sieben Kilometer langen Strandabschnitt bei Faujdarha, etwa 15 Kilometer nordwestlich der 2,6 Millionen-Stadt im Südosten von Landes.
150.000 Menschen leben von Schiffsverschrottung.
Die Ozeanriesen werden bei Flut mit voller Geschwindigkeit auf den Strand gesetzt. 20, 30 oder mehr Schiffe liegen hier jeweils, vollständig oder nur noch in Resten. Dutzende Firmen weiden sie aus, zerlegen sie in transportable Teile. Rund 150.000 Menschen leben direkt von der Schiffsverschrottung. Derzeit werden hier circa 30 bis 40 Prozent der jährlich in aller Welt außer Dienst gestellten Hochseeschiffe zerlegt.
Die Werften liefern den Rohstoff Stahl, der sehr knapp in Bangladesch ist. Er wird eingeschmolzen und zu Baustahl verarbeitet. Auch alle Innereien der Ozeanriesen werden verwertet: Möbel, Badewannen, Lampen, Teppichböden, Uhren, Schiffsglocken, Telefone. Dies alles gibt es einige hundert Meter vom Strand entfernt an der Hauptstraße nach Chittagong zu kaufen. Hier reiht sich ein provisorischer Laden an den nächsten.