Evolution des Lebens
Winzige Steinchen werfen ein neues Licht auf die Erdgeschichte
Winzige Eisenoxid-Steinchen sind etwas ganz Besonderes. Mit ihrer Hilfe lassen sich nämlich die Kohlenstoffvorräte im Meer vor hunderten Millionen Jahren direkt messen. Forscher der ETH Zürich haben so Erstaunliches herausgefunden.

© Nir Galili/ETH Zürich
Querschnitt durch ein eiförmiges Eisenoxid-Steinchen: Wie in einer Zeitkapsel sind darin Information über den Gehalt von organischem Kohlenstoff des Meeres vor Jahrmillionen gespeichert.
Von Markus Brauer
Erdwissenschaftler stehen bei der Erforschung der Erdgeschichte oft vor einer großen Herausforderung: Viele wichtige Ereignisse liegen so weit zurück, dass nur wenige direkte Belege existieren. Deshalb müssen die Forscher oftmals auf indirekte Hinweise oder Computermodelle zurückgreifen.
Winzige eiförmige Eisenoxid-Steinchen
Das Team um den Jordon Hemingway von der EidgenössischenTechnischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) hat nun jedoch einen einzigartigen natürlichen Zeitzeugen entdeckt: Winzige eiförmige Eisenoxid-Steinchen, über die sich die Kohlenstoffvorräte im Meer vor hunderten Millionen Jahren direkt messen lassen.
Äußerlich gleichen sie Sandkörnern, in ihrer Entstehung ähneln die sogenannten Ooide aber eher rollenden Schneebällen. Sie wachsen Schicht um Schicht, während sie von den Wellen über den Meeresboden geschoben werden. Dabei bleiben organische Partikel an ihnen kleben und werden Teil der Kristallstruktur.
1,65 Milliarden Jahre vor unserer Zeit
Anhand dieser Verunreinigungen ist es Hemingways Team gelungen, den Vorrat an organischem Kohlenstoff im Meer bis zu 1,65 Milliarden Jahre zurückzuverfolgen. In der Fachzeitschrift „Nature“ zeigen die Forscher auf, dass dieser Vorrat vor 1000 bis 541 Millionen Jahren erheblich kleiner war als bisher angenommen.
Diese Erkenntnisse widersprechen den gängigen Erklärungen wichtiger geochemischer und biologischer Ereignisse jener Zeit und lassen die Erdgeschichte in neuem Licht erscheinen.
Kohlenstoff-Bauteillager im Ozean
Wie gelangt Kohlenstoff in die Ozeane? Zum einen löst sich Kohlendoixid (CO2) aus der Luft im Meerwasser und wird über Mischprozesse und Meeresströmungen in die Tiefe transportiert und dort lange festgehalten. Zum anderen entsteht organischer Kohlenstoff nur durch photosynthesetreibende Organismen wie Phytoplankton oder bestimmte Bakterien.
Mit der Energie des Sonnenlichts und aus CO2 stellen diese mikroskopisch kleinen Organismen organische Kohlenstoffverbindungen selbst her. Sterben die Organismen ab, sinken sie als Meeresschnee langsam Richtung Meeresboden. Erreicht er den Meeresboden, ohne unterwegs von Organismen gefressen zu werden, wird der Kohlenstoff für Jahrmillionen im Meeresgrund gespeichert.
Rolle der Mikroorganismen
Doch nicht nur Phytoplankton sorgt für Nachschub an Kohlenstoffbauteilen. Die Lebensbausteine werden auch wiederverwendet: Mikroorganismen zersetzen Exkremente und tote Organismen und geben so die Bausteine wieder frei.
Diese Moleküle bilden den sogenannten gelösten organischen Kohlenstoff, der frei im Ozean umhertreibt: Ein riesiges Bauteillager, das 200-mal mehr Kohlenstoff umfasst als tatsächlich in Meereslebewesen «verbaut» ist.
Rasanter Sauerstoffanstieg änderte Spielregeln
Aufgrund von Auffälligkeiten in ozeanischen Sedimentgesteinen nahmen Forscher an, dass der im Meer gelöste Kohlenstoffvorrat vor 1000 bis 541 Millionen Jahren sehr groß gewesen sein muss. Diese Annahme diente lange Zeit als Erklärung dafür, wie zeitgleich Eiszeiten und das komplexe Leben entstanden.
Die photosynthetische Herstellung der kohlenstoffhaltigen Bauteile hängt nämlich eng mit der Entwicklung der Atmosphäre und der Entstehung von komplexeren Lebensformen zusammen. Erst durch die Photosynthese begann sich Sauerstoff in der Atmosphäre anzusammeln.
Warum der Sauerstoffgehalt im Meer anstieg
In zwei Schüben stieg der Sauerstoffgehalt auf den heutigen Wert von 21 Prozent an. Beide Ereignisse wurden von extremen Eiszeiten begleitet, die die ganze Erde in einen Schneeball verwandelten.
Trotzdem erfand sich das Leben neu: Während der ersten sprunghaften Sauerstoffanreicherung vor 2,4 bis 2,1 Milliarden Jahren entwickelten Organismen einen Stoffwechsel, der mithilfe von Sauerstoff Nahrung in Energie umwandelt. Dieser überaus effiziente Weg der Energiegewinnung ermöglichte die Entwicklung komplexerer Lebensformen.
Kohlenstoffgehalt viel kleiner als angenommen
Hemingways Team ist solchen Zusammenhängen von geochemischen und biologischen Entwicklungen auf der Spur. Und auf eine neue Fährte gestoßen sind die Forschenden dank der eiförmigen Eisenoxid-Steinchen.
Damit sie deren Geheimnis lüften können, haben die Forscher eine neue Methode entwickelt, mit der sie die Menge des Kohlenstoffs in den Ooiden bestimmen konnten und darauf basierend die Grösse des Bauteillagers im damaligen Ozean.
„Unsere Resultate stehen im Widerspruch zu sämtlichen bisherigen Annahmen“, resümiert Hemingway. Gemäß den Messungen der ETH-Forschenden enthielt der Ozean vor 1000 bis 541 Millionen Jahren nicht mehr, sondern um 90 bis 99 Prozent weniger gelösten organischen Kohlenstoff als heute. Erst nach der zweiten Sauerstoffanreicherung stiegen die Werte auf den heutigen Stand von 660 Milliarden Tonnen Kohlenstoff an.
Warum schrumpften die Kohlenstofflager im Meer?
„Wir müssen nun neue Antworten darauf finden, wie Eiszeiten, komplexes Leben und Sauerstoffanstieg zusammenhängen“, erläutert Erstautor Nir Galili. Das massive Schrumpfen des Kohlenstofflagers im Meer erklärt er sich mit dem Aufkommen größerer Lebewesen zu jener Zeit: Die einzelligen und ersten mehrzelligen Lebewesen sanken nach ihrem Ableben schneller in die Tiefe und verstärkten den marinen Schneefall.
Die Kohlenstoffteilchen konnten in den tieferen Schichten des Ozeans jedoch nicht wiederverwertet werden, da dort erst sehr wenig Sauerstoff vorhanden war. Sie lagerten sich am Meeresgrund ab, was dazu führte, dass der Vorrat an gelöstem organischem Kohlenstoff stark schwand.
Erst als sich auch in der Tiefsee Sauerstoff anreicherte, und die Wiederverwertung des Kohlenstoffs stieg, wuchs auch das Kohlenstofflager auf seine heutige Größe.
Von früher auf die Zukunft schließen
Obwohl die untersuchten Zeiträume weit zurückliegen, sind die Forschungsergebnisse für die Zukunft bedeutsam. Sie verändern unsere Sicht darauf, wie sich das Leben auf der Erde und möglicherweise auch auf Exoplaneten entwickelt haben könnte.
Zugleich helfen sie uns zu verstehen, wie die Erde auf Störungen reagiert. Eine solche Störung ist auch der Mensch: Die Erwärmung und Verschmutzung der Meere durch menschliche Aktivitäten führen dazu, dass der Sauerstoffgehalt im Meer derzeit sinkt. Es ist also nicht auszuschließen, dass sich die beschriebenen Ereignisse in ferner Zukunft wiederholen könnten.