Wo bleiben die Reformen?

Die Politik der Regierung Merz hält mit der eigenen Rhetorik nicht Schritt. Das ist fatal für das Land.

Von Eidos Import

Nach dem Stadtbild erscheint es an der Zeit, das Erscheinungsbild der aktuellen Bundesregierung einer kritischen Revision zu unterziehen. Sie wird den Ansprüchen nicht gerecht, die sich aus der miserablen Wirtschaftslage ablesen lassen. Am Donnerstag treffen sich die führenden Köpfe der Koalition – letzte Gelegenheit den Eindruck der Saumseligkeit zu korrigieren.

Der „Herbst der Reformen“, den Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Aussicht gestellt hatte, ist bislang nicht mehr als ein Herbst der Ankündigungen. Damit er nicht zum Herbst der Versäumnisse wird, braucht es mehr als folgenlose Reformappelle und einschlägiges Wortgeklingel wie die aufgeblasene Phrase von einer „Modernisierungsagenda“, die beim letzten Koalitionsgipfel im Oktober ausgerufen wurde. Es bleibt eine enorme Kluft zwischen jener Agenda und dem, was an Reformen bewältigt werden müsste. Auch das umetikettierte Bürgergeld reicht bei weitem nicht aus, Zweifel am tatsächlichen Reformeifer der schwarz-roten Bundesregierung zu zerstreuen.

Der Handlungsbedarf ist immens: Die Wirtschaft in Deutschland ist seit 2019 allenfalls in mikroskopischer Dimension gewachsen – in den Vereinigten Staaten hingegen um zwölf, in China gar um 30 Prozent. Deutschland droht, international abgehängt zu werden. Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche mahnte jüngst: „Wir müssen um unseren Wohlstand kämpfen.“ Solche Alarmsignale aus den eigenen Reihen müssten einem wirtschaftsaffinen Kanzler wie Merz in den Ohren klingeln.

Mit Krisengipfeln wie zuletzt für die Auto- und die Stahlindustrie werden die multiplen Probleme nicht zu bewältigen sein. Selbst Bundespräsident Frank Walter Steinmeier fühlt sich bemüßigt, konkrete Beschlüsse anzumahnen. In der Partei, der er entstammt, entdecken manche ein lange verleugnetes Vorbild neu, an dessen reformpolitischer Courage sich auch Friedrich Merz ein Beispiel nehmen könnte. Der SPD-Kanzler Gerhard Schröder verkündete vor einem Vierteljahrhundert seine Agenda 2010 und predigte: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern.“ Das wären die richtigen Stichworte für eine Agenda 2030.

Damit sollte sich die aktuelle Regierung nicht noch länger Zeit lassen. Sonst wird aus dem „Herbst der Reformen“ ein Winter des Verdrusses. Wo Regelungsbedarf herrscht, liegt auf der Hand: Der Sozialstaat benötigt eine Flurbereinigung. Auch der sozialdemokratisch sozialisierte Bundespräsident sieht Einsparpotenzial bei einem Wildwuchs von Sozialbehörden, Mehrfachstrukturen und allzu komplizierten Antragsverfahren.

Wozu es noch eine Rentenkommission brauchte, ist schleierhaft. Die Stellschrauben für Korrekturen sind bekannt. Was fehlt, ist der Mut, daran zu drehen: etwa den vorzeitigen Ausstieg aus dem Berufsleben zu drosseln und das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung anzupassen.

Es reicht auch nicht, von Bürokratieabbau immer nur zu reden, sich dann aber im Gestrüpp der eigenen Vorschriften zu verheddern. Sinnvoll wäre es zudem, die unzähligen Rinnsaale an Subventionen zu kanalisieren und damit ausschließlich innovative, wachstumsfördernde Vorhaben zu bewässern.

Die Liste ließe sich noch um einiges verlängern. Offenkundig gäbe es viel zu tun. Das hatte der Kanzler selbst wortreich angemahnt, als er noch Wahlkämpfer war. Und in einer seiner Regierungserklärungen machte er deutlich: Es gehe „um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft unseres Landes“. Wann handelt seine Regierung endlich danach?

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Erstellt:
11. November 2025, 22:10 Uhr
Aktualisiert:
12. November 2025, 21:55 Uhr

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