Wo Engel auf Donald Trump treffen

Die Murrhardter Künstlerin Gretel Doderer hat sich mit ihren Coudragen – textile Malerei- und Collagearbeiten – einen Namen gemacht. Als eine Art Beifang entstehen aus Schwemmhölzchen und Fadenrollen kleine Figuren. Eine Auswahl hat nun in einer Schau im Begegnungscafé ihren Auftritt.

Gretel Doderer hat für die Ausstellung auch ein Foto von den Schwemmhölzchen sowie ein Körbchen mit Fadenrollen mitgebracht.

© Stefan Bossow

Gretel Doderer hat für die Ausstellung auch ein Foto von den Schwemmhölzchen sowie ein Körbchen mit Fadenrollen mitgebracht.

Von Christine Schick

Murrhardt. Der Titel der Ausstellung „Abgespult und angeschwemmt – kleine (Welt-)Theater“ gibt schon ganz entscheidende Stichworte zur Ausstellung von Gretel Doderer im Begegnungscafé Murrhardt. Als Künstlerin, die weniger mit Farbe und Pinsel, sondern schwerpunktmäßig mit Nadel und Faden an ihren Coudragen – Textilbildern und -collagen – arbeitet, gehören Garnrollen sozusagen zur technischen Grundausstattung. Wer die dreidimensionalen Kompositionen kennt, weiß, dass unterschiedlichste Materialien in die Arbeiten einfließen. Und für die hat die Künstlerin einen ganz besonderen Blick.

Insofern wundert es auch nicht, dass ihr schon vor Jahren – um 2008 – bei einem Ausflug zum Genfer See die kleinen Schwemmhölzchen am Ufer auffallen. Von der Reise in Pulk und Wasser unterschiedlich geprägt beziehungsweise mitgenommen, regen sie Gretel Doderers Fantasie an. Da tauchen „Köpfe mit Nasen und Ohren auf“, erzählt sie. Manchmal scheint auch noch das erste Leben des Hölzchens durch und Gretel Doderer erkennt zum Beispiel Dornen, die eine Chance auf eine neue Geschichte bekommen. Die meist schmalen Hölzchen passen nämlich in die Löcher ihrer Fadenrollen und so lässt sich an ihrem besonderen Auftritt und Charakter arbeiten. Mit Teilen von Streichhölzern und Holzpaste schafft sie Verbindungen zu weiteren Körperteilen und Kleidung. „Mal entsteht ein Vogel Strauß, mal ein Donald Trump“, sagt sie, „das heißt, manchmal ähneln die Figürchen Leuten, die man kennt, manchmal aber auch nicht.“

Aus Fellresten werden Haare, aus Stoffelementen Schlagarme für ein Holzkörperchen, das wie ein Engel anmutet. Das Anziehen bedeutet filigrane Aufbauarbeit – „da entsteht auch die Gefahr, dass das zu realistisch wird“ – und mit dem wachsenden Personal entsteht die Frage einer möglichen Interaktion. Wer könnte hier zusammenpassen und in welchem Rahmen interagieren? Gretel Doderer gibt mit Zigarrenkistchen die Bühne vor, auf der sich ihre Figürchen präsentieren. Die Arbeit, bei der Schwemmhölzchen auf Fadenrollen zu erzählenden Wesen werden, hat für sie vor allem etwas Entspannendes. „Ich kann einfach spielerisch drangehen, ohne groß überlegen zu müssen, in welche Richtung es jetzt gehen soll“, sagt sie. Von diesen konkreten kleinen (Welt-)Theaterarbeiten kann sie wieder in ganz andere, beispielsweise abstrakte Themen hineinfinden und umgekehrt.

Die Einzelbühnen sind wie kleine Landschaften komponiert. Zwei Hühner bekommen ein schmuckes Stopfei an die Seite gestellt, die „wilde Hilde“ beeindruckt durch ihr bewegtes Kleid, hat sie sich doch schon 100-mal im Wind gedreht, oder einer der zwei Engel verfügt über einen größeren Körper, der aus einem massiven Handpinsel besteht und über dem eine Trennscheibe wie ein Heiligenschein schwebt, dem anderen hat die Künstlerin auch Joch und Leiden (Blutspur als roter Faden) mitgegeben.

Je stärker man sich vertieft, desto mehr Einzelelemente werden sichtbar, die vom beachtlichen Fundus an ganz unterschiedlichen Materialien zeugen. „Klar, ich hab meine Augen überall, wo ich unterwegs bin“, sagt die Künstlerin. Mal sind es Kronkorken, die beim Vorbeigehen eingesammelt werden, mal ein Tropffänger für die Tee- oder Kaffeekanne aus Stoff oder besagte Fellreste, die als Haartracht von Donald Trump dienen.

Gretel Doderer ist immer wieder fasziniert von dem, was sie findet und was sich ganz neu verwenden lässt. Das kann ein Zwetschgenkern sein, der seinen lilafarbenen Teint behalten hat, nachdem das Fruchtfleisch den Weg des Irdischen gegangen ist, oder ein Schrumpfschlauch, der zu einem perfekten Anzug für einen Shakespeare-Darsteller in „Zettels Traum“ wird. Ihre Schätze hat sie „in transparenten Kästen, Einmachgläser wären vielleicht noch besser“. In der Inszenierung der Figuren stecken auch soziale Themen, viel Humor und genreübergreifende Begegnungen. Als Beispiele in dieser Hinsicht dienen können Donald und Ivanka Trump, die als Cheerleader daherkommen, die „lustige Witwe“, die sich auch klar farblich von den Kolleginnen absetzt, oder das Treffen von Robin (Hood) und Mickey (Mouse). „Wem sie ähneln oder was sie da treiben, bleibt der Fantasie des Betrachters überlassen“, so Gretel Doderer. Sie alle rahmen ein Bildobjekt, entstanden im Coronajahr 2021 zu einem Gedicht von Peter Rühmkorf, das sie zitiert: „Eingekastelt hab ich mir ein Heim erbastelt, in dem nur poetisch behauchte Gestalten gelegentlich freien Eintritt erhalten.“

Donald und Ivanka (Trump) – als Cheerleader.

© Stefan Bossow

Donald und Ivanka (Trump) – als Cheerleader.

Die „lustige Witwe“ oder: Eine will anders sein. Fotos: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Die „lustige Witwe“ oder: Eine will anders sein. Fotos: Stefan Bossow

Beim Verkauf einzelner Arbeiten geht die Hälfte des Erlöses als Spende ans Murrhardter Begegnungscafé

Öffnungszeiten Die Ausstellung „Abgespult und angeschwemmt – kleine (Welt-)Theater“ von Gretel Doderer läuft bis Ende März im Begegnungscafé, Fornsbacher Straße 3, in Murrhardt. Die Schau ist zu folgenden Öffnungszeiten des Cafés zu sehen: Montag bis Samstag von 9 bis 12.30 Uhr und Dienstag, Donnerstag und Freitag von 14.30 bis 18 Uhr. Die Arbeiten können erworben werden. Die Hälfte des Verkaufserlöses geht als Spende ans Begegnungscafé der Kirche vor Ort.

Textilkunst Gretel Doderer hat stoffliche Materialien früh für sich entdeckt. Schon im Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart bei Professor Gottfried Stockhausen und Horst Bachmayer hat sich abgezeichnet, dass sie weiter in Richtung Textilkunst gehen würde. Nach ihrem Staatsexamen begann sie 1984 mit ihren Ausstellungen von Coudragen („coudre“ heißt im Französischen „nähen“). Gretel Doderer, 1954 in Schorndorf geboren, lebt seit 1975 in Murrhardt.

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Erstellt:
17. Januar 2023, 06:00 Uhr

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