Mannheimer Mord an Polizisten

Wo Rouven Laur weiterlebt

Zwei Polizeipräsidenten sagen im Prozess um den in Mannheim erstochenen Polizisten aus. Beide zeigen, dass der Mord sie, ihre Kollegen, die Stadt beschäftigt, bewegt, berührt.

Rouven Laur – erstochen  am 31. Mai 2024 in Mannheim.

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Rouven Laur – erstochen am 31. Mai 2024 in Mannheim.

Von Franz Feyder

Ganz plötzlich ist er wieder da. Füllt den nahezu fußballfeldgroßen Saal 1 des Stuttgarter Oberlandesgerichts aus. Mit seiner Persönlichkeit, seinem spitzbübischen Lächeln, das viele von den Fotos kennen. Er berührt die Menschen immer noch – die vielen, die ihn nicht kennen. Wie die wenigen, die ihn kannten. Bevor er am 31. Mai vergangenen Jahres ermordet wurde. Mitten auf dem Mannheimer Marktplatz: Rouven Laur.

Polizeipräsidentin Ulrike Schäfer sitzt auf dem Zeugenstuhl. Eine Frau, die als gelernte Kriminale in ihren fast 34 Jahren bei der Polizei wohl schon das meiste gesehen hat, was sich normale Menschen weder vorstellen können noch mögen. „Was war Rouven Laur für ein Mensch?“, will der Vorsitzende des 5. Strafsenats, Richter Herbert Anderer, wissen. Die sonst so redegewandte Frau sucht nach Worten. Setzt an. Bricht ab.

Will von ihrem ersten Gespräch mit dem jungen Hauptkommissar erzählen, als der die Laufbahn wechseln sollte, vom gehobenen in den höheren Dienst. „Der kam rein und hat den Raum ausgefüllt“, die Präsidentin flüstert fast. Tränen rinnen unter der braunen Hornbrille hervor. „Wir unterbrechen die Sitzung jetzt einmal bis 10.10 Uhr“, sagt Anderer leise.

Aus 10.10 Uhr wird 10.25 Uhr. Schäfer hat sich gefasst. Laur „hatte eine wahnsinnig positive Ausstrahlung. Seine Verbundenheit zur Polizei, sein Verantwortungsgefühl konnte man förmlich greifen“, beschreibt sie den 29 Jahre alten Schutzmann. „Er hatte Haltung. Von ihm könnte die Polizei mehr brauchen, besonders in Führungsfunktionen.“ Dass Rouven Laur diesen Weg in seinem Leben nicht gehen konnte, dafür macht der Generalbundesanwalt Sulaiman A. verantwortlich. Der aus Afghanistan stammende Mann stach bei einer Veranstaltung der islamkritischen Bürgerbewegung Pax Europa am 31. Mai 2024 in Mannheim scheinbar wahllos mit einem Kampfmesser auf Menschen ein, verletzte vier teilweise schwer, unter ihnen den BPE-Frontmann Michael Stürzenberger. Als der Angreifer sah, dass er den Aktivisten nur verletzt hatte, so sagte Sulaiman A. im Verfahren selbst, habe er gedacht, „einer muss sterben“. Er habe auf den mit dem mit dem Rücken zu ihm knienden Schutzmann eingestochen, der in dem ausbrechenden Chaos einen anderen Mann am Boden festhielt; ein Stich in die rechte Schulter, einen in den Kopf. Zwei Tage später, am 2. Juni, starb Rouven Laur in der Mannheimer Uniklinik.

Ein Polizistenleben in, um und für Mannheim

Sein Tod habe die Polizei, aber auch die Stadt Mannheim verändert, sagt Schäfer. Die Betroffenheit sei bei beiden „nach wie vor sehr hoch“. Völlig neue Aufgaben kamen auf Vorgesetzte und Polizeiführer zu: Raum für Trauer zu schaffen – bei Menschen, zu deren Alltag der Tod gehört: wenn sie Verkehrsunfälle aufnehmen und bei Verbrechen ermitteln. Psychosoziale Betreuung, als Gespräche mit Psychologen und Therapeuten organisieren – auch noch ein Jahr nach einer Tat wie der auf dem Marktplatz. Schäfer trägt das alles sehr sachlich vor. Fast, als wolle sie bewusst Distanz halten. Seriös rüberkommen, wie man das neudeutsch ausdrückt.

Das gilt auch für den zweiten Zeugen des Tages: Andreas Stenger, Präsident des Landeskriminalamtes (LKA). Einer, der viel und gerne lacht. Fast sein ganzes Berufs- und Privatleben hat er in und um Mannheim verbracht. Kein Zweifel: Aus dem gebürtigen Saarländer ist ein Mannheimer geworden, einer, der einen Draht zu den Kurpfälzern und ihren Marotten gefunden hat. „Hart, aber herzlich“ seien sie, die Mannheimer. „Mit ihren direkten Ansagen muss ein Polizist erst einmal umgehen lernen.“ Die Stadt müsse man nehmen können: „Hier leben Menschen aus 170 Ländern, die die Vereinten Nationen anerkannt haben. Auf kleinstem Raum sind eine katholische und eine evangelische Kirche, eine Moschee und die Synagoge. Mannheim ist bunt, und es funktioniert“, schwärmt Stenger.

„Ein Wolfsgruß – und ihnen fliegt die Lage um die Ohren“

„Und jetzt einmal der Kriminalist und nicht der Pressesprecher der Stadt“, mahnt Richter Anderer. Stenger liefert: „Mannheim und Freiburg wechseln sich ab bei den Städten mit der höchsten Kriminalitätsbelastung“, sagt er. Beschreibt die Herausforderungen für die Polizei: „Am Marktplatz, wo auch viele türkische Nationalisten ihre Geschäfte haben, reicht ein Wolfsgruß und ihnen fliegt die Lage um die Ohren.“ Der Wolfsgruß – abgespreizter Zeige- und kleiner Finger der Rechten, Mittel- und Ringfinger auf den Daumen gelegt – ist das Zeichen faschistischer und chauvinistischer Türken – auch in der Diaspora.

Stenger hat eine Anstecknadel am Revers seines taubenblauen Anzugs: Ein Polizeistern mit dem Landeswappen auf einem kleinen, silbernen Schild, ein Trauerflor in der linken oberen Ecke. Er kannte Rouven Laur – auch weil er selbst einmal Polizeipräsident von Mannheim war. Wie er Laur beschreibe? Stenger, der smarte Polizeiführer, schluckt. Weicht aus. Erzählt davon, dass der Tod Laurs vielen bewusst gemacht habe, dass dies zum Berufsbild des Polizisten gehört.

„Polizistinnen und Polizisten sind auch Menschen. Ich wünsche mir, dass auch wir eine Stimme bekommen – nicht nur, wenn so etwas Schreckliches passiert“, sagte seine Kollegin Ulrike Schäfer am Ende ihrer Befragung. Mit Tränen unter der Hornbrille.

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Erstellt:
11. Juli 2025, 14:58 Uhr
Aktualisiert:
11. Juli 2025, 17:27 Uhr

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