Neu im Kino
Zu viel Nähe kann tödlich enden
Im Thriller „The Negotiator“ versucht ein Unterhändler mit Vergangenheit einer Whistleblowerin in Not zu helfen – vom Telefon aus.

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Ganz Ohr: Riz Ahmed als Ash in dem Thriller „The Negatiator“.
Von Kathrin Horster
Whistleblower leben riskant, weiß man spätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen um den Überwachungsskandal der amerikanischen National Security Agency, kurz NSA. Deshalb wirkt auch die Panik der Biologin Sarah (Lily James) in David Mackenzies Spionage-Thriller „The Negotiator“ nicht übertrieben. Wegen heikler, von ihr gestohlener Papiere über die Machenschaften eines Biotech-Konzerns braucht Sarah dringend Hilfe von einem Unterhändler, der sie vor der Rache ihres Ex-Arbeitgebers beschützt.
Mackenzie zieht die Spannung gleich zu Beginn seines Films auf Anschlag, als er die aufgelöste Sarah in das Wolkenkratzerbüro eines Anwalts begleitet, der die Betreuung ihres Falls zwar hastig abweist, der bibbernden Frau aber immerhin eine Telefonnummer zusteckt; sie solle dort anrufen und Eckdaten zu ihrem Problem hinterlassen. Vielleicht rufe man sie zurück. Vielleicht auch nicht.
Das Interessante an Mackenzies Plot: Beim Telefondienst Tri-State-Relay, den Sarah kontaktieren soll, übermitteln Telefonisten Nachrichten von Gehörlosen mit Hilfe eines Computers, in den der Kunde Textbotschaften eintippt und die der Telefonist für den hörenden Gesprächsteilnehmer vorliest. In Sarahs Fall sitzt Ash (Riz Ahmed) am anderen Ende der Leitung. Sarah berichtet ihm, wie sie umweltschädliche Manipulationen am Genmaterial von Pflanzen aufdecken wollte und dafür Beweisdokumente aus ihrer Firma stahl. Aus Angst um ihr Leben will Sarah mit Ashs Hilfe die Dokumente an die Firma zurück verkaufen, um mit dem Schweigegeld neu anzufangen.
Dass Ash und Sarah nicht direkt über Handys kommunizieren, erklärt Mackenzie mit der Rückverfolgungsmöglichkeit der Geräte. Der Telefondienst fungiert als unparteiischer Knotenpunkt, was sich als reizvolle Ausgangsidee erweist. Über den Unterhändler Ash erfährt man im Verlauf des Films wesentlich mehr als über dessen verzweifelte Klientin. Als muslimischer Flüchtling erlebt Ash in den USA nach dem 11. September Ausgrenzung und Hass. Sein Job ermöglicht es ihm, aus sicherer Anonymität heraus als moderner Ritter anständigen Staatsbürgern im Kampf gegen skrupellose Großkonzerne zu helfen und sich auf diese Weise selbst als aufrechter Amerikaner zu bewähren.
Mackenzie verhandelt Themen wie Einsamkeit, Fremdheit und den Vertrauensverlust der Menschen untereinander, wie er sich seit dem 11. September 2001 in der nunmehr extrem gespaltenen US-amerikanischen Gesellschaft kontinuierlich zugespitzt hat. Permanent lotet Ash aus, wie viel Nähe er zulassen darf und wie viel Distanz er zu anderen halten muss.
Zwar bahnt Regisseur Mackenzie eine banal sentimentale Romanze für seinen Helden im nächtlichen, elegisch fotografierten New York an und konterkariert damit das hohe Spannungsniveau. Mit einer überraschenden Wende kommt er dann aber doch zum Schluss, dass zu viel Vertrauen in andere lebensgefährlich werden kann. Gerade jetzt wirkt diese Botschaft beunruhigend finster.
The Negotiator. USA 2024. Regie: David Mackenzie. Mit Riz Ahmed, Lily James. 112 Minuten. Ab 12 Jahren