Zügel’sche Schafsstudie stand Modell

Heinrich von Zügel hat schon als Hütejunge im elterlichen Murrhardter Wolkenhof viel Zeit bei den sanftmütigen Tieren verbracht, reüssierte später als Tiermaler und Hochschulprofessor. Thomas Mann hat sich für die Arbeit am Werk „Joseph und seine Brüder“ in seine Kunst vertieft.

Schafe gehörten von jeher zur alltäglichen Umgebung – Heinrich von Zügels Eltern hatten eine Schäferei auf dem Murrhardter Wolkenhof. Früh und auch später in seiner Kariere als Tiermaler hat er sie auf die Leinwand gebannt, die Aufnahme zeigt das Bild „Winterabend bei Bogenhausen“. Archivfoto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Schafe gehörten von jeher zur alltäglichen Umgebung – Heinrich von Zügels Eltern hatten eine Schäferei auf dem Murrhardter Wolkenhof. Früh und auch später in seiner Kariere als Tiermaler hat er sie auf die Leinwand gebannt, die Aufnahme zeigt das Bild „Winterabend bei Bogenhausen“. Archivfoto: J. Fiedler

Von Karin de la Roi-Frey

Murrhardt. Viele Orte und Länder stehen in Zusammenhang mit den sogenannten „Joseph-Romanen“ von Thomas Mann (1875 bis 1955), der 1929 für die „Buddenbrooks“ den Literaturnobelpreis erhielt. Er begann mit dem Schreiben der „Joseph-Romane“ in Zürich, zwei Bände erschienen dann in Berlin, einer in Wien und der letzte in Stockholm. Und auch Murrhardt steht in Beziehung zu diesem Werk.

Ludwig Zügel, Besitzer der Schäferei „Wolkenhof“, benötigte keinen Schäferhund zum Hüten der Schafe. Das übernahm nach eigenen Worten sein Sohn Heinrich von Zügel (1850 bis 1941), der bei jedem Wetter draußen war. Stets hatte er seine „Malerutensilien“ dabei: Griffel und Schiefertafel oder abgebrannte Streichhölzer und Papier. Im Alter von nur 26 Jahren verkaufte er seine Gemälde bereits an die Nationalgalerie Berlin, an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, nach Prag und an die Staatsgalerie Stuttgart. Von 1894 an unterrichtete Zügel die Tiermalerei in einem eigens für ihn errichteten Atelierhaus der Münchner Akademie. Nach wie vor wichtig und nach seiner Meinung unerlässlich: die Studien am frei lebenden Tier in der Natur – wie einst in Murrhardt als Hütejunge.

Ab 1895 fand Zügels zweieinhalb Monate dauernde Sommerschule in Wörth am Rhein statt. Gemalt wurde ausschließlich draußen in der Natur nach dem lebendigen Objekt, das heißt Tier. Pferde, Rinder, Ziegen, Schafe und sogar Geflügel wurden zum Modell der Zügel-Schüler. „Malbuben“ brachten sie zum gewünschten Platz. Es soll auch Modelle gegeben haben, die morgens ganz selbstständig auf den Malplatz trotteten, sich dort in gewünschter Richtung aufstellten, so stehen blieben, bis die Dorfuhr die Fütterung verkündete, und dann wieder den Heimweg antraten. Und wie kam der „Geflügelspezialist“ unter den Zügel-Studenten zu seinen Motiven? Er trug stets Hühnerfutter in den Hosentaschen, um das Hühnervolk ins Licht oder in den Schatten zu locken, wo er es brauchte.

Die Tage waren geprägt von intensiver, produktiver Arbeit, wobei sich das „lockere, sorglose Völkchen“ der Herren Künstler auch so manche Genussstunden der unterschiedlichsten Art verschaffte. Gefürchtet war der nächste Tag, wenn Zügel, von seinen Schülern „der Alte“ genannt, rücksichtslos mit dem Kratzmesser ihre Bilder korrigierte und die Arbeit von Tagen in Minuten verschwand. Zügel setzte dann selbst ein Detail hinzu, „das aus dem Chaos der abgekratzten Studie wie ein Juwel herausleuchtete“. Der Meister korrigierte aber auch seine eigenen Bilder mit dem Kratzmesser. Und er legte als Lehrer nicht nur die Methode seines Schaffens offen dar, er malte auch „mitten unter den Jungen“ und jeder konnte ihm über die Schulter schauen, wie er ein Bild begann oder abschloss. In Wörth entstand eines seiner bekanntesten Bilder: „Schweineherde an der Altrheinbrück“. Heute sagt man: „Mit der Auflösung der exakten Formumrisse und seiner Reduktion auf optische Reize“ gehört es zu den malerisch fortschrittlichsten Bildern, „die der deutsche Impressionismus hervorgebracht hat“, so eine fachliche Einordnung.

Man – Frauen waren nicht zugelassen – lernte ungeheuer viel bei Zügel und die Sommermalschule in Wörth war ein Höhepunkt des Jahres. Einer der Teilnehmer in den Jahren 1898 bis 1903 war Paul Ehrenberg (1876 bis 1949), der wie viele Studenten von Zügel zu den Besuchern des „gastfreien Hauses der Frau Senator Mann“ gehörte, einem „Sammelpunkt lebensfroher, künstlerisch interessierter Jugend“. Thomas Mann, der Sohn von „Frau Senator Mann“, und Paul Ehrenberg mit seiner „raubeinigen Männlichkeit“ verstanden sich auf Anhieb gut. Thomas Mann sprach später von der „Auferstehung meiner Empfindungen“, die er einst für einen jungen Lübecker gehabt hatte. Zügels Wörther Malschule bedingte Ehrenbergs Abwesenheit und führte Thomas Mann andererseits zu den Werken Zügels. Für die detaillierte, lebensnahe Beschreibung von Jakobs Schafen in seinem Werk „Joseph und seine Brüder“ genügten ihm die notgedrungen eher oberflächlichen Worte seines eigenen Kenntnisstandes nicht. Thomas Mann vertiefte sich in eine Schafsstudie von Zügel und nahm sie zum Vorbild, um Zügels bildliche Darstellung in seine wörtliche Beschreibung von Josephs Schafen zu transferieren.

Das mehrbändige Werk war schon einige Jahre abgeschlossen, als Thomas Mann die Nachricht vom Tod des Zügel-Schülers Paul Ehrenberg erhielt und in seinem Tagebuch vermerkte: „Erinnerungsvoll bewegt.“

Thomas Mann arbeitete 16 Jahre an dem vierteiligen Romanwerk

Thomas Manns Tetralogie „Joseph und seine Brüder“, dessen Teile im Zeitraum von 1933 und 1943 nach und nach veröffentlicht wurden, ist das umfangreichste Werk von Thomas Mann und umfasst vier Romane. Inspiriert durch eine Palästinareise im Jahr 1925 begann der Autor 1926 in München mit der Niederschrift, so die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Die ersten beiden Bände erschienen noch beim S.-Fischer-Verlag in Berlin. Abgeschlossen wurde der Roman 16 Jahre später, 1943, im kalifornischen Exil. Die Tetralogie besteht aus den Romanen „Die Geschichten Jaakobs“, „Der junge Joseph“, „Joseph in Ägypten“ und „Joseph, der Ernährer“. Die wenig gelesenen Josephs-Bände gelten namhaften Thomas-Mann-Forschern als dessen Hauptwerk.

Der Tiermaler Heinrich von Zügel gehört mit Lovis Corinth, Max Liebermann und Max Slevogt zu den bedeutenden deutschen Impressionisten. Als Gründungsmitglied der Münchner Sezession setzte er sich für eine Erneuerung des Ausstellungsbetriebs ein. Über 25 Jahre lang wirkte er als Professor und zeitweiliger Rektor der Münchner Akademie, erinnert die Stadt Murrhardt in einem Abriss auf der Homepage. Zügels frühe Gemälde, meist Bilder von Schafen, sind mit großem technischen Können bis ins Detail naturgetreu ausgeführt. Die Malerei des jungen Künstlers vollendet den zeitgenössischen sogenannten Münchner Realismus. Später wurde die atmosphärische Wiedergabe der Tiere in Luft und Licht, das Erfassen der Reflexionen von Sonne und Wasser, das Spiel von Licht und Schatten zum künstlerischen Anliegen. Dabei ordnet er die Details immer stärker dem Gesamteindruck unter.

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Erstellt:
18. Januar 2022, 06:00 Uhr

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