Zwischen Freiheit und Absturz

Titus Simon arbeitet in seinem jüngsten Erzählband „Extreme Fallhöhe“ seine Jugend und die Zeit der 1970er auf. Bei seiner Lesung in Murrhardt wirft er Schlaglichter auf das Leben in der Provinz, den Reisehunger und Konzerterlebnisse. Einige Bekannte hat er früh verloren.

Titus Simon blickt nach seinem Band „Wir Gassenkinder“ und den 1960ern mit „Extreme Fallhöhe“ aufs nächste Jahrzehnt. Seine Erlebnisse spiegeln die Zeit wider und stehen für eine ganze Generation. Foto: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Titus Simon blickt nach seinem Band „Wir Gassenkinder“ und den 1960ern mit „Extreme Fallhöhe“ aufs nächste Jahrzehnt. Seine Erlebnisse spiegeln die Zeit wider und stehen für eine ganze Generation. Foto: Stefan Bossow

Von Petra Neumann

Murrhardt. Mittlerweile hat Titus Simon etliche Romane, aber auch zahlreiche Sachbücher verfasst. Aus seinem neuesten autobiografischen Werk „Extreme Fallhöhe“, das im Silberburg-Verlag erschienen ist, las er anlässlich des Tags des Buches im Heinrich-von-Zügel-Saal einige Textpassagen vor und ließ vor allem für die älteren Zuhörerinnen und Zuhörer ihre Jugendzeit in den 70ern wiederauferstehen. Insofern sind seine Erinnerungen auch Zeugnisse moderner Murrhardter Stadtgeschichte. Initiiert wurde die Lesung vom BücherABC und von der Stadtbücherei Murrhardt. Natürlich kam der Autor nicht alleine, sondern hatte seine getreuen Musiker, die SHA Jazzmen mit Helmut Knupfer am Saxofon und Thomas Wedekind am Piano, bei sich, die passend zu den Texten bekannte Werke zum Beispiel von Stevie Wonder und Kurt Weill spielten.

„Wenn man sich so mit der eigenen Vergangenheit beschäftigt, dann fällt einem auch Tragisches wieder ein. So habe ich in den 70ern allein 15 Bekannte durch den Drogenkonsum oder dessen Folgen verloren“, erzählte Titus Simon. Ein bisschen verloren war die Jugend der Aussteigergeneration mit Parka, guten Ideen, aber wenig Ahnung also schon. Die Anfangszeit seiner Jugendjahre verbrachte der Autor mit seinen Freunden vor allem beim Fußballspiel. Attraktive Plätze gab es nicht, aber vor dem heutigen Kino und damaligen Feuerwehrgerätehaus ließ es sich ganz anständig bolzen. Zu den begnadetsten Spielern gehörte Titus Simon zwar nicht, schlug sich aber wohl recht wacker. Einer der Jungs aus der Clique war der Sohn des damaligen Tierarzts, auf dessen Territorium rings um das Haus man wenigstens auf einem Rasen spielen konnte.

Doch damals hatten Kinder und Jugendliche noch nicht den Stellenwert wie heute, sie mussten sich die Lizenz zum Kicken erst mit Bau- oder Gartenarbeiten erwirtschaften. „Ich gehörte zu jenen, die nichts hatten, was aber im Nachhinein mein Glück gewesen ist, denn so habe ich mich an manchen wenig glorreichen Aktionen gar nicht beteiligen können“, räumte Titus Simon ein. Wessen Herz zwar voller Fernweh war, während er jedoch mit leeren Taschen dastand, dem blieb damals nichts anderes übrig, als den Daumen in den Wind zu hängen und zu trampen. So schaffte es der junge Mann immerhin bis nach Persien. Aber auch andere Trips brannten sich in sein Gedächtnis ein. Damals gab es kaum Rockmusik im Radio zu hören, bis dann der Südwestfunk3 von 12 bis 17 Uhr den Pop Shop ins Leben rief, sodass die jungen Menschen, die sich nach richtig lauter, aufbegehrender und rebellischer Musik verzehrten, diese Sehnsucht stillen konnten. Hausaufgaben waren da wirklich nicht so wichtig und an Karriere wurde kein Gedanke verschwendet.

Die jungen Leute kamen vor allem bei Rockkonzerten und Hausfeten zusammen. In der Provinz waren die langhaarigen jungen Männer nicht gern gesehen, die Vorurteile waren zu manifest. Bei einem Trip zu einem kleinen „Rockfeschd“ kehrten Titus Simon und ein Freund in einem dörflichen Gasthof ein, um auf die Blaskapelle zu treffen, deren Mitglieder doch recht aggressiv auf die ungebetenen Gäste reagierten, die dann, um ihre Haarpracht fürchtend, durch den Hinterausgang das Weite suchten. „Das war zu meinem Bedauern das erste und einzige Mal, dass ich den Wirt um eine Zeche prellte“, bekannte der Schriftsteller.

Das beeindruckendste Rockfestival, das er damals erlebte, war das „2nd British Rock Meeting“ an Pfingsten 1972 in Germersheim, das die Gemeinde eigentlich verhindern wollte, was aber nicht gelang. Die Veranstalter hatten für das Publikum unglaublich attraktive Bands gewinnen können, was natürlich dazu führte, dass an Schlaf nicht mehr zu denken war und die körperliche Fitness abnahm. Ausnahmsweise hatte Titus Simon mit Freunden mitfahren dürfen, die sogar einen großes Zelt mit ihm teilten. Nach drei Tagen jedoch waren alle total abgerissen und groggy. Nichtsdestotrotz wurden sie von einem Onkel der Jungs, der ein sehr gutes Restaurant führte, zu einem Drei-Gänge-Dinner mit allem Drum und Dran eingeladen. Wie dann Titus Simon schließlich in den Gemeinderat gewählt wurde, lässt sich bei der weiteren Lektüre in Erfahrung bringen.

Die autobiografische Erzählung

Buch Der Erzählband „Extreme Fallhöhe“ von Titus Simon ist im Silberburg-Verlag erschienen und kostet 16,99 Euro.

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Erstellt:
26. April 2024, 06:00 Uhr

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