Alter Erzählkunst eine neue Bühne

Theatergruppe der Volkshochschule mit Rezitationsprojekt am Start: Balladen von den Königs- bis zu den Schmuddelkindern

„Wann haben Sie das letzte Mal eine Ballade gelesen oder gehört?“, fragt Detlef Neumann mit einem Grinsen. Bei den meisten dürfte das in der Schulzeit gewesen sein, in der sie eines der Werke mehr oder weniger „zähnefletschend auswendig gelernt haben“. Dass diese alte Form der Erzählung aber auch inspirierend und anziehend sein kann, davon zeugt das jüngste Projekt der VHS-Theatergruppe „Theatelier fabula et cetera“.

Von Christine Schick



MURRHARDT. Die Krux an alten Balladenerinnerungen aus der Schulzeit liegt für Detlef Neumann auch darin, dass man sich in der Regel nur aufs Auswendiglernen konzentriert und wenig Wert auf die Gestaltung des Textes gelegt hat. „Aber Balladen sind was sehr Schönes“, sagt der Leiter der VHS-Theatergruppe „Theatelier fabula et cetera“ und erinnert daran, dass die Form in der Tradition der Troubadoure steht, sprich Dichter, Komponisten und Sänger höfischer mittelalterlicher Lieder. Damals war sie noch sehr eng mit dem Gesang verbunden, im Zentrum steht für Neumann aber vor allem auch die Erzählung.

Ob es die eigene Faszination oder die Offenheit und der Kulturhunger seiner Gruppe war, sei einmal dahingestellt, aber die Idee, sich einmal mit Rezitation von Balladen zu befassen, stieß auf eine Begeisterung, die selbst ihn überrascht hat. Da nicht alle Mitglieder beim Stück „Schwester George muss sterben“, das gerade fleißig einstudiert wird, mitmachen beziehungsweise mit Rollen versorgt werden konnten, hatte Neumann das Projekt als eine Art Trainingsidee angeboten. Die Mitstreiter hätten aber richtig Lust bekommen, sich da reinzuvertiefen, erzählt er.

Als er sich in den eigenen Bücherregalen sowie online umgesehen hat, stieß Neumann auf frühe mittelalterliche Werke ohne Autorenzuordnung genauso wie auf zeitgenössische Vertreter wie Liedermacher Franz Josef Degenhardt. Diese Vorauswahl des Leiters ist subjektiv gefärbt, wenn auch nicht unbegründet. Friedrich Schillers „Bürgschaft“ beispielsweise hat es nicht in seine Top 30 geschafft, weil sie sehr lang und mit Blick auf den schnellen Wechsel von Feind- zu Freundschaft unglaubwürdig ist, erklärt er. Dafür sind auch sogenannte Bänkellieder (Hintergrund: Der Vortragende stellte sich an einem zentralen Platz auf eine Holzbank, um Moritaten, Balladen und Lieder vorzutragen) und Texte von Liedermachern eingeflossen. Was Detlef Neumann auch bei den älteren Stücken feststellt: „Es hat mich erstaunt, wie aktuell manche Themen und Erzählungen sind.“ Als Beispiele nennt er Theodor Fontanes Ballade „Die Brück’ am Tay“ oder Heinrich Heines Szenerie in „Das Sklavenschiff“. Greifen Dichter zu dieser Zeit teils auf historische Vorlagen beziehungsweise Ereignisse zurück, erfährt die Form später auch einen besonderen ironisch-verschmitzten Grundtenor, der beispielsweise bei Wilhelm Busch und Joachim Ringelnatz zur Hochform aufläuft.

Als Detlef Neumann dann mit seinem Grundstock an 30 Balladen dastand und gemeinsam in der Gruppe eine Auswahl getroffen werden sollte, weil auch ein Rezitationsabend in Planung war, bekam er Gegenwind. Die vier Mitglieder wollten alle Balladen lesen. „Für ein stimmliches Training ist das natürlich klasse“, sagt Neumann. Allerdings war auch klar, dass das Gesamtpaket nicht an einem Abend zu schaffen ist. „Wir wollen die Stücke zumindest noch ein wenig einbetten, ein paar Hintergrundinformationen zu Dichter und Zeit liefern.“

Also hat sich die Gruppe nun ein Wochenende ausgeguckt, an dem sie das Programm im Zimmertheater der Volkshochschule präsentiert. Die Stücke, die sie dem Publikum vorstellt, decken einen großen Zeitraum ab – er reicht vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Bei allen kommt auch der Reim als Form zum Tragen. Das Argument, dass dieser zu altmodisch und zu gezwungen ist, lässt Detlef Neumann nicht gelten. Er sei einfach ein Formelement, das sich auch bewusst nutzen lässt. Bei der Gestaltung kann so beispielsweise der Inhalt der Geschichte ganz bewusst zum Rhythmus kontrapunktisch eingesetzt werden, um eine spezifische Botschaft zu platzieren.

Die Entdeckung dieses neuen, spannenden Terrains hat „Theatelier fabula et cetera“ übrigens noch ein weiteres Projekt im Rahmen des neuen VHS-Schwerpunkts „Polen“ eingebracht. So werden die Mitglieder eine Lesung bestreiten, bei der sie Gedichte polnischer Autoren vorstellen. Flankiert wird der Abend im Mai von einer Einführung in den polnischen Jazz, die Kuratorin Gabriele Rösch übernimmt – die Ankündigung des Schwerpunkts folgt.

„Die Mitglieder haben richtig Lust bekommen, sich da reinzuvertiefen.“Detlef NeumannLeiter der VHS-Theatergruppe „Theatelier fabula et cetera“

© Jörg Fiedler

„Die Mitglieder haben richtig Lust bekommen, sich da reinzuvertiefen.“ Detlef Neumann Leiter der VHS-Theatergruppe „Theatelier fabula et cetera“

Info
Rezitationswochenende

Die Theatergruppe der Volkshochschule Murrhardt „Theatelier fabula et cetera“ lädt am übernächsten Wochenende zu den zwei Rezitationsabenden ein. Sie finden beide im Zimmertheater des Grabenschulhauses, Obere Schulgasse 6, statt. Gestartet wird am Samstag, 18. Januar, um 19 Uhr. Der zweite Teil erwartet das Publikum dann am Sonntag, 19. Januar, ab 16 Uhr. Der Eintritt ist frei, die Gruppe freut sich aber über eine Spende.

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Erstellt:
9. Januar 2020, 06:00 Uhr

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