Biblische Geschichte bildlich erzählt

Kirchenführerin Angelika Szöke erläutert bei einer Kurzführung die Bildsprache und Bedeutung des Magnificat-Fensters im Altarraum der Murrhardter Walterichskirche. Es gehört zu den letzten Arbeiten Hans Gottfried von Stockhausens.

Das Magnificat-Fenster (Ausschnitt) hat Hans Gottfried von Stockhausen neben dem Tauf- und dem kleineren Vaterunser-Fenster in den Jahren 2007 bis 2009 für die Walterichskirche geschaffen. Foto: E. Klaper

Das Magnificat-Fenster (Ausschnitt) hat Hans Gottfried von Stockhausen neben dem Tauf- und dem kleineren Vaterunser-Fenster in den Jahren 2007 bis 2009 für die Walterichskirche geschaffen. Foto: E. Klaper

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. Seit 2007 leuchtet das farbenprächtige Magnificat-Fenster im dämmrigen Raum direkt hinter dem Altar der Walterichskirche. Gestaltet hat es der bekannte Glaskünstler Hans Gottfried von Stockhausen (1920 bis 2010). Es steht im Zentrum des Rundgangs mit Kirchenführerin Angelika Szöke, dem sich etwa ein Dutzend Besucher angeschlossen haben. Sie erfahren viele spannende Details über die Bedeutung der bildlichen und symbolischen Darstellungen biblischer Geschichten und Motive des Fensters, in dessen Mittelpunkt Jesus und Maria abgebildet sind.

Interaktiv arbeitet Szöke mit einigen Besuchern die wichtigsten Elemente heraus und geht auch auf von Stockhausens Interpretation, Ideen und Gedanken zum Glaskunstwerk ein. Das Fenster ist benannt nach dem Lobgesang der Maria „Magnificat anima mea Dominum – Meine Seele erhebt den Herrn“. Der Glasmaler hat es mit prächtig leuchtenden Farben gestaltet, wobei Blau, Rot, Grün und Weiß dominieren. Für das Bildprogramm ließ Stockhausen sich inspirieren von der Geschichte der Kirche und integrierte auch Bezüge zum umgebenden Friedhof.

Das Fenster in gotischer Form mit Spitzbogen besteht aus drei Teilen, die durch Balken getrennt sind. Die Kirchenführerin beschreibt die Bildelemente und deren Bedeutung von unten nach oben. Der unterste Bereich zeigt dunkles, braunes Erdreich, auf dem beigefarbene, zerbrochene Grabplatten liegen. In deren Mitte geht ein Samenkorn auf, das in den Farben Rot, Weiß und Blau leuchtet. Dies alles sind Hinweise auf das geöffnete Grab und die Auferstehung Jesu Christi. Aus dem Erdreich wachsen Blätter und Zweige vor blauem Hintergrund, an denen Rosen erblühen. Die Rose, die als Königin der Blumen gilt, ist bereits seit dem frühen Mittelalter Symbolblume für Maria, auf die man auch die Bezeichnung „Rose ohne Dornen“ aus dem Hohelied Salomos bezog.

Im Zentrum des Fensters ist Maria majestätisch wie eine Königin thronend dargestellt. Auf ihrem Schoß hält sie das Jesuskind und präsentiert es den betrachtenden Menschen. Diese Art der Madonnendarstellung geht zurück auf romanische Figuren, die wiederum nach dem Vorbild von byzantinischen Bildwerken gestaltet wurden. Das Jesuskind breitet seine Arme in einer doppeldeutigen Geste aus: Zum einen lädt sie „kommt her zu mir“ ein, zum anderen weist sie auf die Kreuzigung Jesu hin. Beide Hauptfiguren des Fensters sind umgeben von einer Mandorla, einem spitzovalen Glorienschein, den wiederum Rosenranken umrahmen.

Im oberen Teil des Fensters befindet sich in der Mitte die Taube als Symbol für den Heiligen Geist. Sie ist umgeben von einem Kranz, dessen unterer Teil in kräftigem Rot eine Dornenkrone zeigt und damit auf das Blut und den Tod Jesu Christi hinweist. Im oberen Teil des Kranzes lodern leuchtende Flammen als Zeichen für Pfingsten und das (ewige) Leben, das aus dem Tod ersteht. Ganz oben leuchtet intensives Himmelblau als Hinweis auf die Auferstehung und die ewige Herrlichkeit. Die Rosen und ein blauer Rahmen verbinden alle Bilder in der Mitte.

Kurz geht Angelika Szöke auf die Marienverehrung ein, die sich seit dem Frühmittelalter entwickelte und eine bedeutende Rolle in Klöstern spielte. Etwa ab dem Spätmittelalter kam es zu einer bald überhandnehmenden Marienverehrung durch das Volk der Gläubigen. Sie riefen die Gottesmutter als Mittlerin zwischen den Menschen und Jesus Christus an. Bis heute beten Katholiken zu Maria, damit sie für die armen Sünder bei ihrem Sohn bittet. Aber auch für Protestanten ist Maria eine bedeutende Persönlichkeit der biblisch-christlichen Frohen Botschaft, betont die Kirchenführerin.

Darum schrieb der Reformator Martin Luther, der sich gegen das Übermaß der Marienverehrung wandte, 1521 eine Erläuterung zum Magnificat. Darin verdeutlicht er, Maria sei die zarte Gottesmutter, die ein vorbildliches, demütiges und gottgefälliges christliches Leben geführt habe. „Luther war ein Fan von Maria“, brachte dies die Theologin Margot Käßmann auf den Punkt.

Kurz informiert Szöke auch über die Geschichte der Walterichskirche: Schon in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts stand an derselben Stelle die erste, der Gottesmutter Maria geweihte und aus Holz erbaute kleine Urkirche. Der heutige Kirchenbau stammt vom Ende des 15. Jahrhunderts. Nach der Reformation im 16. Jahrhundert benannte man sie in Walterichskirche um – zur Erinnerung an Walterich, Gründer und erster Abt des einstigen Benediktinerklosters. Er wurde hoch verehrt als Wunderheiler, und Scharen von Gläubigen pilgerten bei der Walterichswallfahrt zu seiner Grabstätte, an die eine in den Boden eingelassene Platte im freien Bereich vor dem Altarraum erinnert.

Das Magnificat-Fenster, das Tauffenster und das kleine Vaterunser-Fenster im Altarraum der Walterichskirche gehören zu den letzten Werken Hans Gottfried von Stockhausens. Sie sind Stiftungen der Unternehmerfamilie Schweizer, in deren Auftrag er die Fenster zwischen 2007 und 2009 gestaltete. Kurz umreißt die Kirchenführerin das Lebenswerk Stockhausens, der an der Kunstakademie in Stuttgart studierte und dort von 1970 bis 1985 Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Glasmalerei war. Ins Zentrum seines Hochschulunterrichts stellte er das von ihm entwickelte freie farbige Glasbild, welches er in ein Bildmedium mit meditativer Hintergründigkeit verwandelte. Der Künstler bewahrte die figürliche Darstellung und Gegenständlichkeit, belebte alte handwerkliche Techniken wieder und entwickelte neue. Inhaltlich stellen seine Bilder häufig biblische Geschichten und Themen dar, wobei Stockhausen für ihn wichtige Inhalte in eine heute verständliche Sprache umsetzte.

Führung in der Stadtkirche

Eine weitere Führung zu Stockhausenfenstern steht am Sonntag, 9. August, um 15 Uhr in der Stadtkirche Murrhardt auf dem Programm. In der Vorschau heißt es: Ob groß, klein, einfarbig oder bunt – Kirchenfenster sind ein Lichtspender und lassen im Laufe des Tages durch ihr buntes Lichtspiel verschiedene Stimmungen im Kirchenraum entstehen. Die zwei Kirchenfenster des Künstlers Gottfried von Stockhausen in der Stadtkirche wollen allerdings mehr. Sie erzählen nicht nur biblischer Geschichten, sondern regen auch zum Nachdenken an. Kirchenführerin Elke Deininger lädt zur gemeinsamen Betrachtung ein. Die Teilnahme an der rund 45-minütigen Führung kostet vier Euro. Die Anmeldung beim evangelischen Kirchengemeindebüro, Telefon 07192/ 931 97-0, bis Freitag, 7. August, ist nicht verpflichtend, jedoch hilfreich.

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Erstellt:
7. August 2020, 06:00 Uhr

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