Blüten und bleibende Rückzugsorte

Das Interview: Harald Schäfer vom Landesverband der Gartenfreunde über Imker in der Stadt und strukturelle Hilfen

Beim Aktionstag „Spuren der Natur“ am kommenden Sonntag, 14. Juli, 14 bis 17Uhr geht es um einen Brückenschlag zwischen Kunst und Naturschutz und eine Vernetzung der Menschen, die sich im Sinne eines bedrohten Ökosystems einsetzen möchten. So sollen neben kreativen Aktionen auch gute Bedingungen für Bienen und ihre wilden Verwandten Thema sein. Harald Schäfer vom Landesverband der Gartenfreunde Baden-Württemberg, der mit Kollegen Vorträge anbietet, haben wir dazu ein paar Fragen gestellt.

Gefundenes Fressen: Eine Wildbiene steuert auf Blüten zu, die sie in einem Garten findet, der nach den Empfehlungen der Fachleute entsprechend gut ausgestattet ist. Foto: H. Schäfer

Gefundenes Fressen: Eine Wildbiene steuert auf Blüten zu, die sie in einem Garten findet, der nach den Empfehlungen der Fachleute entsprechend gut ausgestattet ist. Foto: H. Schäfer

Von Christine Schick

Das Insektensterben und mögliche Gegenmaßnahmen wie das Anlegen von Blühwiesen sind seit rund zwei Jahren verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Thema?

Ich bin Biologe. Das Studium ist zwar schon mehr als 30 Jahre vorbei, aber bereits damals ist uns aufgefallen, dass bestimmte Schmetterlingsarten wie der Schwalbenschwanz oder das Tagpfauenauge immer seltener zu sehen waren. Als Kind habe ich noch in Erinnerung, dass an Brennnesseln, die an den Äckern standen, ganze Klumpen von Tagpfauenaugenraupen hingen. Das hat sich völlig verändert. In jüngerer Zeit ist einem dann aufgefallen, dass die Windschutzscheibe am Auto seltsam leer blieb. Aber es gibt durchaus regionale Unterschiede. Im Süden und in Richtung Schwarzwald ist die Situation noch etwas besser.

Sie werden am Sonntag ja auch über Blühinseln informieren. Wie groß muss eine Blühfläche sein, damit sie den Bienen und ihren wilden Verwandten etwas bringt?

Genau genommen zählt jede Blüte. Zur Verwendung nichtheimischer Pflanzen gibt es natürlich auch verschiedene Meinungen. Ich persönlich halte nichts von einer, salopp gesagt, Käseglockenbiologie, also dem Anspruch, dass die Natur so bleiben soll, wie sie zu einer bestimmten Zeit war. Die Prozesse sind immer dynamisch, lassen sich nicht konservieren. Das würde auch bedeuten, dass man nur einheimische Gewächse duldet und Katzenminze oder Lavendel verdammen müsste. Zurück zu den Blühflächen. Da muss man zwischen Bienen und Wildbienen unterscheiden. Für Wildbienen ist ein Blühmaximum im Frühjahr und Frühsommer gut, für die überwinternden Völker der Honigbiene eine Mischung, die übers Jahr bis in den Herbst blüht.

Das heißt, die Honigbienen müssen über eine kontinuierlichere Zeit versorgt werden?

Deshalb ziehen manche Imker sogar in die Stadt. Dort gibt es teils noch relativ naturbelassene Gärten. Manche erkundigen sich auch, ob sie in Kleingartenanlagen Bienenstöcke aufstellen dürfen. Umgekehrt haben unsere Mitglieder auch immer mehr Interesse an Bienenhaltung.

Wie offen sind Mitglieder für Anliegen, beispielsweise Blühwiesen anzulegen?

Da hat sich in den letzten Jahren ein starker Wandel vollzogen. Wenn ich an die Stuttgarter Frühjahrsmesse denke, für die wir Saatgut organisiert hatten, da wurden wir regelrecht überrannt mit Nachfragen.

Was halten Sie von dem Modell, das in Bayern entstanden ist – über ein Spendenportal Landwirte zu bezahlen, damit sie nicht Mais oder Getreide anbauen, sondern Blühflächen schaffen?

Vielleicht so viel: Wildbienen brauchen nicht nur Blühflächen, sondern ein Fleckchen, wo sie ihren Nachwuchs unterbringen und dieser auch überwintern kann. Das geht auf einem Acker, der nach einem Sommer wieder umgepflügt wird, nicht. Ähnliches gilt für Blühflächen an Randstreifen. Wenn sie später wieder umgegraben werden, ist der Effekt gering. Wir brauchen wie früher zwischen den Äckern Heckenstreifen und Rückzugsgebiete, die bleibend sind, auch für andere Tiere wie Hasen oder selten gewordene Rebhühner. Das Problem ist, dass die Äcker immer größer werden, hinzu kommt der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Ebenso wichtig sind Streuobstwiesen, die eben nicht für ein Baugebiet geopfert werden. Selbst wenn man sagt, es gibt Ausgleichsflächen, muss man die auch pflegen. Es ist also ein ganzes Faktorenkonzert, das zusammenspielt. Man muss das Thema ganzheitlich sehen.

Was sind dann sinnvolle Maßnahmen, auch in einem privaten Garten?

Blühflächen sind ein richtiger Schritt, der zweite wäre, feste Strukturen zu schaffen wie Doldenblütler und Stauden, die über den Winter stehen bleiben und die Insekten als Niströhren verwenden können, sowie keine Insektizide mehr zu verwenden.

Was sagen Sie, wenn Landwirte, Kommunen oder Mitglieder Unkrautvernichtungsmittel einsetzen?

Bei den Landwirten ist das ein schwieriges Thema, weil ich nicht in das allgemeine Bauern-Bashing einsteigen will. Sie sind so stark im Korsett gefangen, das Brüssel ihnen mit der Industrialisierung der Landwirtschaft angelegt hat. Für mich ist auch das Gesamtsystem falsch, das Erzeugerpreise immer weiter nach unten drückt, billige Lebensmittel auf den Markt wirft, um dann über Steuern wieder Ausgleichsmaßnahmen zu finanzieren. Im Privatgarten haben Unkrautvernichtungsmittel überhaupt nichts zu suchen und in den Gartenordnungen der meisten Kleingartenanlagen sind sie ebenfalls verboten. Salopp gesagt, ist der Ärger mit Spontanvegetation einfach ein Zeichen dafür, dass der Gärtner sich nicht die Natur als Vorbild nimmt und den Boden unbedeckt daliegen lässt. Da nackter Boden seine Fruchtbarkeit verliert, alarmiert Mutter Natur ihre grüne Feuerwehr, die Samenwildkräuter. Im Gemüsegarten kann man Bodenbedeckung entweder mit Mischkulturen erreichen oder durch Mulchen, im Ziergarten durch die Verwendung von flächig wachsenden Stauden.

Wenn es jetzt um den ganz praktischen Schritt für einen Gartenbesitzer geht, eine Blühwiese zu säen, woran erkennt er, ob die Samenmischung auch gut ist?

Je vielfältiger sie zusammengesetzt ist, desto besser. Also je länger die Liste der Blumenarten, desto idealer. Eine echte Wildblumenwiese anzulegen, ist schwer. Man sollte sie idealerweise nicht groß betreten und dann erst nach der Blüte mit der Sense mähen. Aber es gibt noch andere Möglichkeiten wie zum Beispiel eine Staudenpflanzung kombiniert mit Bodendeckern. Genaueres erläutern wir auch am Sonntag.

An den Wabenbeeten vor der Kunstsammlung werden Gespräche stattfinden. Foto: C. Schick

An den Wabenbeeten vor der Kunstsammlung werden Gespräche stattfinden. Foto: C. Schick

Info
Samentüten, Fachvorträge und Kreativangebote beim Aktionstag am Sonntag

Der Aktionstag „Spuren der Natur“ am kommenden Sonntag, 14. Juli, 14 bis 17 Uhr ist Teil, Fort- und Weiterführung der Thematik rund um die aktuelle LandartAusstellung in der städtischen Galerie Murrhardt. Dort zeigt Margit Körner unter demselben Motto ihre Bilder und Installationen – noch bis zum 29. September.

Fachvorträge: Beim Aktionstag werden Samentüten verteilt und der Landesverband der Gartenfreunde Baden-Württemberg bietet Fachvorträge an: „Ein Leben für Bienen“ (14.30 Uhr), „Lebenswerte Vorgärten, Ökologie und Optik“ (15.30 Uhr), „Blüteninseln im Garten“ (16.30 Uhr). Dies übernehmen Jörg Gensicke sowie Franziska und Harald Schäfer. Zudem stehen Gespräche und Beratungen an den Wabenbeeten vor der Kunstsammlung auf dem Programm.

Für Kinder ab sechs Jahren gibt es kreative Aktionen der Stadtbücherei zum Thema Natur (14 bis 17 Uhr).

Noch mehr Kunst: Zudem gibt es eine Ausstellung Kinderkunst der Riebesam-Stiftung zu den Ausstellungen „Spuren der Natur“ (Kunstsammlung) und „Reanimation“ (Wolkenhof). Die Kinder haben sich durch sie anregen lassen.

Der Bezirkszüchterverein Murrhardt zeigt in einer Ausstellung, wie die Imker arbeiten. Sie ist im Lesegarten der Stadtbücherei zu sehen.

Die Musikschule Schwäbischer Wald/ Limpurger Land hat einen musikalischen Beitrag zum Thema „Blühen, Blumen, Natur“ im Gepäck, der in Auseinandersetzung mit der Schau entstanden ist.

Das Carl-Schweizer-Museum bietet um 14.30 Uhr eine Sonderführung zu Sing- und Gartenvögeln mit vogelkundlicher Exkursion in den Stadtpark an.

Alle Gäste haben am Tag freien Eintritt. Kinder sind eingeladen, in der Galerie zu malen und zu zeichnen. Die Städtische Kunstsammlung Murrhardt findet sich in der Oetingerstraße 1, ebenso wie die Stadtbücherei. Weitere Infos unter www.murrhardt.de.

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Erstellt:
13. Juli 2019, 06:00 Uhr

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