Kommunalwahl in England

Aufwind für Farage: Britisches Zwei-Parteien-System bröckelt

Etwa 100 Jahre lang wurde die Parteienlandschaft in Großbritannien von zwei Parteien dominiert: Labour und den Tories. Doch nun gerät das System ins Wanken. Dahinter steht vor allem ein Mann.

Nigel Farage trieb einst den Brexit voran, den EU-Austritt Großbritanniens.

© Peter Byrne/PA/AP/dpa

Nigel Farage trieb einst den Brexit voran, den EU-Austritt Großbritanniens.

Von Von Christoph Meyer und Julia Kilian, dpa

London - Die Kameras richten sich auf ihn. Nigel Farage trieb einst den Brexit voran - nun ist er nach Meinung des Magazins "The Economist" ein Mann, den "Großbritannien nicht ignorieren kann". 

Mit seiner rechtspopulistischen Partei Reform UK setzte er bei Wahlen in England nicht nur den konservativen Tories zu. Auch der Labour-Partei von Premierminister Keir Starmer fügte er eine schwere Schlappe zu. Nach Ansicht vieler Kommentatoren gerät das britische Zwei-Parteien-System dadurch ernsthaft ins Wanken.

Reform gewinnt mit nur sechs Stimmen Vorsprung

Gewählt wurden nicht nur mehrere Gemeindevertretungen und regionale Bürgermeister, sondern auch ein Abgeordnetenmandat für das britische Parlament wurde neu vergeben. 

Im vergangenen Jahr gewannen die Sozialdemokraten von Labour den Wahlkreis Runcorn and Helsby nahe Liverpool noch mit mehr als 14.000 Stimmen Vorsprung. Doch jetzt setzte sich Farages Kandidatin durch - wenn auch nur hauchdünn mit sechs Stimmen Abstand. 

In der Region Greater Lincolnshire wurde die Reform-Kandidatin Andrea Jenkyns mit großem Abstand vor den Konservativen zur Regional-Bürgermeisterin gewählt.

"Es war eine große Nacht für uns", sagt Farage der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge und erklärt seine Partei mal eben kurzerhand zur wichtigsten Oppositionspartei im Land. 

Farage als Totengräber der Tories?

Es ist vor allem die konservative Tory-Partei, die so berühmte Regierungschefs wie Kriegspremier Winston Churchill und die "Eiserne Lady" Margaret Thatcher hervorgebracht hat, die bangen muss. Farage - nächster Premierminister und Totengräber der Tories? Das ist sein erklärtes Ziel, wie er im vergangenen Jahr im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur deutlich machte.

Noch unter Ex-Premier Boris Johnson hatten die Tories bei den Kommunalwahlen 2021 in etwa denselben Bezirken, in denen nun gewählt wurde, einen Kantersieg errungen. Befürchtet wird, dass sie rund die Hälfte ihrer knapp 1.000 Gemeinderatssitze verlieren werden - viele davon an Farages Partei Reform UK. Die Auszählung dauerte am Mittag noch an.

Lange konnten die Konservativen Farage auf Abstand halten, der ihnen in verschiedenen Partei-Inkarnationen wie Ukip, der Brexit-Partei und zuletzt Reform UK von rechts Konkurrenz machte. EU-Austritt, Bootsflüchtlinge, der Kampf gegen "wokes" Gedankengut: Worauf auch immer Farage sein Augenmerk legte, waren die Tories bald zur Stelle und machten sich seine Ansichten zu eigen.

Reform UK liegt in Umfragen an der Spitze

Doch der Abstand schrumpfte zuletzt deutlich. Ähnlich wie die AfD in Deutschland hat auch die Farage-Partei nach der jüngsten Parlamentswahl in Umfragen noch einmal kräftig zugelegt. Mit 25 Prozent liegt sie im Schnitt der jüngsten Umfragen sogar vor der Regierungspartei Labour (23 Prozent) und den Tories (21 Prozent). Zudem gilt die derzeitige konservative Parteichefin Kemi Badenoch als schwach.

Stünde jetzt eine Parlamentswahl an, könnte es laut Schätzungen dazu kommen, dass Reform zur größten Fraktion im britischen Parlament wird. Das wäre ein Schock, denn bislang sorgte das britische Mehrheitswahlrecht meist zuverlässig dafür, dass entweder die Konservativen oder Labour ein klares Regierungsmandat erhielten. Obschon nicht offiziell, war Großbritannien damit ein Zwei-Parteien-System. Dass Reform die guten Umfragewerte in Wahlergebnisse umsetzen kann, beweist der Erfolg in Runcorn and Helsby.

Liebäugeln mit Pakt oder Koalition

Alptraum der Tories ist, dass dieses System dauerhaft gestört sein könnte. Denn anders als Labour hätten die weit nach rechts gerückten Konservativen keine Option für Koalitionspartner außer Reform. Bei den Konservativen wird daher bereits diskutiert, ob es besser wäre, einen Pakt mit Farage zu schließen, bevor es zu spät ist. Badenoch schließt das bislang aus und auch Farage erteilte dem eine Absage.

Labour hat "Paranoia" vor Reform

Die nächste Parlamentswahl steht zwar erst im Jahr 2029 an, und lokale Wahlergebnisse gelten nur eingeschränkt aussagekräftig für nationale Trends, doch auch in der regierenden Labour-Partei ist die Angst vor Farage groß.

LSE-Politikprofessorin Sara Hobolt spricht gar von einer "Paranoia". Hintergrund ist, dass sich viele traditionelle Labour-Wähler aus der Arbeiterschicht, vor allem im Norden des Landes, beim Brexit-Referendum für den EU-Austritt ausgesprochen hatten. Bei ihnen dürften Farages Botschaften auf fruchtbaren Boden stoßen. 

Dass diese Sorge nicht unbegründet ist, zeigen die jüngsten Wahlergebnisse. Premierminister Keir Starmer beteuerte nach der Schlappe in Runcorn and Helsby, er habe verstanden. Doch ein wirksames Mittel gegen den Erfolg von Reform UK scheint er noch nicht gefunden zu haben.

Der Chef der rechtspopulistischen Partei Reform UK träumt bereits vom Schlüssel zum Regierungssitz 10 Downing Street. (Archivbild)

© Joe Giddens/PA Wire/dpa

Der Chef der rechtspopulistischen Partei Reform UK träumt bereits vom Schlüssel zum Regierungssitz 10 Downing Street. (Archivbild)

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Erstellt:
2. Mai 2025, 08:06 Uhr
Aktualisiert:
2. Mai 2025, 14:07 Uhr

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