Bunte Tattoos haben vorerst Pause

Die sogenannte EU-Reach-Verordnung bringt derzeit Tätowierer in ganz Europa ins Schwitzen: Sie verbietet nicht nur Konservierungsstoffe in Tattoofarben, sondern ab 2023 auch zwei wichtige Pigmente. Akteure in der Region nehmen es vergleichsweise gelassen.

Weil diverse Stoffe und Pigmente EU-weit verboten werden und die Hersteller noch keine Alternativen anbieten, stechen die Tätowierer nach dem Jahreswechsel wohl erst einmal keine Farbtattoos mehr. Foto: Adobe Stock/Nejron Photo

© Nejron Photo - stock.adobe.com

Weil diverse Stoffe und Pigmente EU-weit verboten werden und die Hersteller noch keine Alternativen anbieten, stechen die Tätowierer nach dem Jahreswechsel wohl erst einmal keine Farbtattoos mehr. Foto: Adobe Stock/Nejron Photo

Von Lorena Greppo

Backnang/Murrhardt. Tätowierungen sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Beinahe jeder fünfte Deutsche trägt ein Tattoo, etwa jeder zehnte hat sogar mehrere. Wenig verwunderlich ist es daher, dass auch die Zahl der Tattoostudios in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Nun steht der Branche aber ein harter Schlag bevor: Mit Inkrafttreten einer EU-Verordnung wird zum Jahreswechsel ein Großteil der auf dem Markt befindlichen Tattoofarben verboten.

„Es sind durchweg alle Hersteller und alle Farbtöne betroffen“, erklärt Diana Dalügge, die gemeinsam mit ihrem Mann Dirk das Studio „Dalügges Tattoo und Custompainting“ in Fornsbach betreibt. Denn darin sind Lösungs- und Konservierungsstoffe enthalten, die ab Januar nicht mehr erlaubt sind. Und damit nicht genug. Denn nur ein Jahr später, also zu Beginn des Jahres 2023, werden auch noch die Pigmente „Blue 15“ und „Green 7“ verboten.

Sie befinden sich in etwa zwei Dritteln aller Tattoofarben. Sie stehen im Verdacht, krebserregend zu sein (siehe Infobox). Bislang gebe es drei Tattoofarben auf dem Markt, die der neuen Verordnung entsprechen, führt die Tätowiererin aus: Schwarz, Grau und Weiß. „Immerhin sind wir da schon auf der sicheren Seite“, sagt sie. Farbtattoos werden allerdings erst einmal nicht möglich sein – „da bleibt uns nichts anderes übrig“.

Tobias Heusel, der Inhaber des Tattoostudios Think in Backnang, sieht den anstehenden Änderungen in der Branche recht gelassen entgegen: „Bei uns geht es nahtlos weiter“, sagt er. Der Grund: Sein Studio ist auf die sogenannte „Black and Grey“-Technik spezialisiert, Farbakzente sind in den Werken die Ausnahme. Allerdings gilt auch für ihn: Alle alten Farben kommen ab dem 4. Januar in die Tonne. Das liege an den genannten Konservierungsstoffen, die darin sind. Eine neue, Reach-konforme schwarze Tattoofarbe kommt dann künftig im Think-Tattoostudio zum Einsatz. Für die Blau- und Grünpigmente hingegen gebe es noch keinen adäquaten Ersatz, der sei noch nicht einmal in Aussicht. Heusel räumt ein: „Da haben alle zu spät reagiert, auch die Farbhersteller.“ Denn, das müsse man ehrlicherweise sagen, überraschend komme das Verbot nicht. „In der Kosmetikbranche sind sie schon länger verboten“, führt Heusel an. Auch Diana Dalügge findet: „Es ist ärgerlich, dass das so lange herausgezögert wurde.“ Ein Hersteller habe angekündigt, rechtzeitig Reach-konforme Farben auf den Markt zu bringen, sei dem aber noch nicht nachgekommen.

Ähnlich wie die beiden Tätowierer sieht es übrigens auch der Bundesverband Tattoo. In einer Stellungnahme auf deren Website heißt es: „Diese Situation – und auch das gehört zu einer ehrlichen Analyse des Status Quo dazu – kommt weder überraschend oder aus dem Nichts noch hat man sie ohne Gegenwehr auf sich zurollen lassen.“ Die Vorschriften seien allen Farbenherstellern und sonstigen Marktteilnehmern geläufig. Man habe im Vorfeld schon häufig auf die zu erwartenden Probleme für die Branche aufmerksam gemacht, heißt es weiter. Auch der Bundesverband stellt sich die Frage, wie es nun weitergeht, und kommt zum ernüchternden Schluss: „Eine wirklich einfache und problemlose Perspektive ist schwer zu vermitteln.“

An der Petition „Save the Pigments“ (Rettet die Pigmente) haben sich sowohl Heusel als auch Dalügge beteiligt. Mit dieser versucht die Branche, das Verbot der Pigmente aufgrund unzureichender Informationen zu kippen. Denn bei einigen Stoffen fehlten die Studien und Nachweise. Sie seien nicht erforscht und deshalb könne nicht gesagt werden, ob diese nun gefährlich sind oder nicht, so die Argumentation. Außerdem würde die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit europäischer Tätowierer gegenüber Anbietern außerhalb der EU nachhaltig negativ beeinträchtigt.

Man habe durch die Petition bei der EU zumindest einen Fuß in die Tür bekommen, zeigt sich der Bundesverband Tattoo erfreut. Weder Tobias Heusel noch Diana Dalügge glauben jedoch daran, dass das Verbot jetzt noch gekippt werden kann. „Ich habe keine großen Hoffnungen, dass die Petition viel bewirkt“, so Dalügge.

Die Fornsbacher Tätowiererin ist dennoch recht optimistisch, was die Zukunft ihres Studios angeht: „Wir können das wahrscheinlich verkraften.“ Schließlich sind Dalügges schon über 20 Jahre im Geschäft. Auch der Großteil der Tattoos, die bei ihnen in Fornsbach gestochen werden, sind schwarz-grau angelegt, nur in etwa 20 Prozent der Fälle kommt Farbe mit ins Spiel. Diesbezüglich komme es ihnen entgegen, in einer ländlicheren Region ansässig zu sein, führt die Murrhardterin aus: Wo es nicht an jeder Straßenecke ein Studio gibt, müsse man ein großes Repertoire anbieten. In den Großstädten hingegen gebe es auf besondere Stile spezialisierte Tattoostudios, die auf bestimmte Farben angewiesen seien: „Die trifft es härter.“ Dalügges ziehen in Betracht, etwas kürzer zu treten, sollte das Geschäft weniger werden.

Momentan kann davon aber keine Rede sein, denn das Gegenteil ist der Fall: „Wir sind gerade ganz schön im Stress“, sagt Diana Dalügge. Im Wissen, dass es im kommenden Jahr schwierig werden könnte, versuchen viele Tattoofans, noch vor dem Jahreswechsel einen Termin zu bekommen. „Vor allem bei angefangenen Farbtattoos schauen die Kunden danach, dass sie es jetzt noch fertig bekommen.“

Diana Dalügge (Tätowierin),
zu den Einwendungen des Bundesverbands „Ich habe keine großen Hoffnungen, dass die Petition viel bewirkt“
Die EU-Reach-Verordnung und ihre Auswirkungen

Die Verordnung Die Reach-Verordnung der Europäischen Union wurde 2007 erlassen. Reach steht für „Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“ (Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe).

Die Ziele Die Reach-Verordnung soll den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor den Risiken, die durch Chemikalien entstehen können, verbessern und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Industrie der EU erhöhen.

Die Vorgaben Im Rahmen von Reach tragen die Unternehmen die Beweislast. Zur Erfüllung der Verordnung müssen die Unternehmen die Risiken, die mit den von ihnen in der EU hergestellten und in Verkehr gebrachten Stoffen verbunden sind, identifizieren und beherrschen. Sie müssen gegenüber der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) aufzeigen, wie der Stoff sicher verwendet werden kann, und sie müssen Informationen über Risikomanagementmaßnahmen bereitstellen.

Die Auswirkungen Ab dem 4. Januar 2022 sind somit einige Stoffe, die derzeit noch in Tattoofarben enthalten sind, in der EU verboten. Das trifft beispielsweise auf Konservierungsstoffe zu. Ab 2023 darf außerdem nicht mehr mit den Pigmenten Blue 15 und Green 7 gestochen werden. Sie stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Die Pigmente sind derzeit in rund zwei Dritteln aller Tattoofarben enthalten.

Die Petition Es regt sich Widerstand. Unter dem Namen „Save the Pigments“ wurde eine Kampagne gestartet, die verbunden mit einer Petition gegen diese zusätzliche Einschränkung kämpft. Die Initiatoren kritisieren etwa, dass keine Langzeitstudien über Gesundheitsschädigungen durch diese Farben vorliegen. Sie befürchten zudem, dass die Leute fürs Tattoo in das außereuropäischen Ausland reisen.

Zum Artikel

Erstellt:
18. November 2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!

Murrhardt und Umgebung

Die „Stadtpolizei“ erhält Verstärkung

Geschlossen stimmt der Murrhardter Gemeinderat zu, den Stellenschlüssel für den städtischen Vollzugsdienst (SVD) von zwei auf drei Vollzeitkräfte zu erhöhen. Dafür fällt eine von zwei Minijobkräften weg. Das Aufgabenspektrum wird ständig größer.

Murrhardt und Umgebung

Seine Bilder sind wie gemalte Feuerwerke

40 Gemälde, die bisher noch nicht dem breiten Publikum gezeigt worden sind, umfasst die gestern eröffnete Sonderausstellung „Heiner Lucas – Malerei“ zum 80. Geburtstag des Kunstmalers in der städtischen Kunstsammlung Murrhardt.

Murrhardt und Umgebung

Dreierteam unterstützt Geflüchtete in Murrhardt

Fachleiterin Monika Miller, Integrationssozialarbeiterin Tanja Meeraus und Flüchtlingssozialarbeiter Reinhard Heider von der Caritas Ludwigsburg-Waiblingen-Enz informieren den Murrhardter Gemeinderat über das Integrationsmanagement.