Chorgemeinschaft mit spirituellem Auftrag

Kantorei feiert ihr 125-jähriges Bestehen: Sänger der evangelischen Kirchengemeinde begleiten Gottesdienst und sind vielseitig aktiv

In 125 Jahren Kantorei stecken Geschichten und Geschichte, sie umfassen eine enorme Zeitspanne. Der Chor der evangelischen Kirchengemeinde Murrhardt hat sich natürlich auch verändert, nicht zuletzt war und ist Kantor Gottfried Mayer bestrebt, den Mitgliedern Angebote zu machen, die das Mitwirken spannend und attraktiv machen. Und doch gibt es eine zentrale Konstante – die Aufgabe. Denn der Kirchenchor begleitet den Gottesdienst und nimmt dazu seine ganz eigene Kompetenz wahr.

Auch beim Singen heißt es, sich warmzulaufen: Kantor Gottfried Mayer (vorne links) stimmt die Mitglieder der Kantorei bei ihrer Probe in der Alten Abtei mit ersten Lockerungsübungen ein. Der Chor gestaltet am Sonntag beim Festgottesdienst zum Jubiläum eine adventliche Chormusik. Fotos: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Auch beim Singen heißt es, sich warmzulaufen: Kantor Gottfried Mayer (vorne links) stimmt die Mitglieder der Kantorei bei ihrer Probe in der Alten Abtei mit ersten Lockerungsübungen ein. Der Chor gestaltet am Sonntag beim Festgottesdienst zum Jubiläum eine adventliche Chormusik. Fotos: J. Fiedler

Von Christine Schick

MURRHARDT.Es war Oberlehrer Otto Riethmüller, der den Kirchenchor der evangelischen Gemeinde im Sommer 1894 gegründet hat. Der Kirchengemeinderat wollte damals seine Unterstützung bei den Kosten für die Noten davon abhängig machen, ob denn auch die Dauerhaftigkeit des Chors gewährleistet sei.

Heute ist klar, dass die gegeben und die Investition lohnenswert war. Die ersten Choräle übten die Sänger in einem der Klassenräume des Grabenschulhauses ein, begleitet von Otto Riethmüller auf der Geige. Das erste Konzert fand dann 1896 zum Totensonntag statt. Eine Bewährungsprobe folgte 1913 mit der Einführung eines neuen Gesangbuchs, bei der die Kantorei sich als Vorsängerensemble für die Gemeinde hervortun musste. Später wurden die Proben in die Sakristei verlegt. „Der dort aufgestellte Ofen rauchte so sehr, dass oft bei geöffneter Tür gesungen werden musste“, heißt es in einem Beitrag in der Murrhardter Zeitung vor 25 Jahren. Auch die Noten waren immer noch Thema. Gastwirte und Geschäftsleute spendeten, um die Anschaffung zu ermöglichen.

Aus der Zeit des Ersten Weltkriegs gibt es wenige Aufzeichnungen – im März 1916 lud der Kirchenchor zu einem „Konzert für verstümmelte und erblindete Krieger“ ein. 1932 wagte sich der Chor an die Aufführung der „Schöpfung“ von Josef Haydn. Konzerte während des Zweiten Weltkriegs waren selten. Neben musikalischen Abendfeiern gab es im Januar 1944 ein größeres Konzert mit klassischen Werken. Auch in der Nachkriegszeit verlangten die Chorproben den Sängern einige Entbehrung ab. Mit der Pfarrscheuer als Treffpunkt war man 1949 nicht ganz glücklich, weil die Heizung die Wärme nur nach oben schickte und „die Sänger Eisbeine bekamen“, so ein Bericht.

Heide Schneider hat diese Zeit nicht mehr mitbekommen, ist etwas später eingestiegen, aber schon über 60 Jahre beim Murrhardter Kirchenchor mit von der Partie ist. Wie es dazu kam? „Ich hab schon immer gesungen, erst im Kinderchörle, später in der Kantorei.“ Nach ihrem Lehramtsstudium hat die Murrhardterin auch selbst Chöre geleitet – den Kirchen- sowie Leichenchor in Grab. Zudem hat sie sich auch bei der Kantorei Backnang eingereiht. Der Murrhardter Formation ist die 77-Jährige aber immer treu geblieben. Heide Schneider ist mit ihren über sechs Jahrzehnten im Chor – dicht gefolgt von Gudrun Gruber – die aktuell altgedienteste Sängerin. „Es hat mir einfach immer Freude gemacht und Zufriedenheit gegeben“, sagt sie.

Auch Dorothee Mauser ist treue, langjährige Mitstreiterin. Für die 64-Jährige gehörte das Singen ebenfalls noch ganz selbstverständlich zum früheren Alltags- und Familienleben dazu, ihr Religionslehrer Walter Schmid holte sie in den Jugendchor, später ging es in der Kantorei weiter. Als sie sich in jungen Jahren aber zwischen Sport und Musik entscheiden musste, gewann der Volleyball. 1992 kehrte sie dann – nach einer längeren Phase beim Liederkranz Murrhardt – zurück. Der Anlass war, dass Ursl BelzEnßle und Kurt Enßle breit für die Aufführung von Haydns Schöpfung Sänger warben. „Danach bin ich geblieben“, sagt Dorothee Mauser. Die Literatur und Musik mit spiritueller Note möchte sie einfach nicht mehr missen. Hinzu kamen die Angebote von Kantor Gottfried Mayer, beispielsweise die Möglichkeit zu Stimmbildung und Einzelunterricht.

Neben dem musikalischen Anspruch ist die Hauptaufgabe des Chors, den Gottesdienst zu bereichern und sich eng mit der Predigt zu verzahnen. Je besser die beiden Parts aufeinander abgestimmt sind, desto größer auch der Gewinn für beide Seiten beziehungsweise die Gemeinde, sagt Gottfried Mayer. Die Qualität der Predigt sei insofern auch für den Chor von Bedeutung. Bei der liturgischen Mitgestaltung sei es deshalb nicht verpönt, auch mal einstimmig zu singen, um in der Gestaltung des Textes mehr Flexibilität zu haben und ihm besondere Authentizität verleihen zu können.

„Was man manchmal noch hört, ist, dass der Chor eine Art Ausschmückungsfunktion hat. Das stimmt nicht, in der Musik liegt ja auch eine inhaltliche Botschaft“, erläutert Gottfried Mayer. „Die Stadtkirche ist ein attraktiver Raum, das Singen dort atmosphärisch und akustisch etwas Besonderes.“

Um den Mitgliedern darüber hinaus größere, musikalische Erlebnisse zu ermöglichen, plant der Kantor regelmäßig Kooperationsprojekte – seien es solche mit eigenen Partnern wie dem evangelischen Kammerchor oder ökumenische mit anderen Kirchenchören. Seit Längerem geht es auch darum, die Kantorei zusammenzuhalten und zu erhalten. Wie andere Gruppen, Initiativen und Vereine spürt der Kirchenchor die in der Alltags- und Berufswelt geforderte Flexibilität bei gleichzeitiger Angebotsüberflutung im Freizeitbereich. Auch wenn die Gesamtsituation nicht ganz einfach ist, „bin ich froh, dass es den Chor in dieser Stärke und Qualität noch gibt“, so Mayer.

Das Alter der rund 35 Mitglieder bewegt sich zwischen 30 und 80 Jahren, wobei die Älteren – 60 bis 80 Jahre – die stärkste Fraktion bilden und Männer mit acht Sängern wie oft bei Chören in der Minderheit sind. „Mütter dürfen sich bei der Probe pro Kind um zehn Minuten verspäten“, erzählt Dorothee Mauser. Die Rahmenbedingungen setzen sich fort – Gottfried Mayer muss in kurzen Abständen entscheiden, wie welche Beiträge umgesetzt werden können, weil sich die Zusammensetzung und Präsenz der Sänger von Sonntag zu Sonntag ändern kann. „Damit muss man kreativ umgehen, jammern hilft nicht.“ Die musikalische Spanne bei den Projekten reicht von Stücken aus der Renaissance bis hin zu zeitgenössischen Beiträgen.

Beim Festgottesdienst zum Jubiläum am kommenden Sonntag führt die Kantorei eine adventliche Chormusik auf, bei der sie vom Ludwigsburger Blechbläserquintett unterstützt wird. Die Stücke, das Lied im Wechsel mit der Gemeinde und die Verbindung bei der Liturgie sollen beispielhaft dafür stehen, wie ein Kirchenchor seine Aufgabe optimal wahrnehmen kann.

Einerseits stellt sich die Kantorei in den Dienst der Gemeinde, andererseits ist Gottfried Mayer davon überzeugt, dass das Singen auch für jeden Einzelnen eine Bereicherung darstellt. „Singen heißt, bei sich zu sein, und ist für Körper und Geist förderlich.“ Dorothee Mauser nickt. Oft genug hat sie erlebt, dass sie, wenn sie sich trotz eines langen Arbeitstages noch zur Probe aufraffte, es nicht bereut hat. „Gekommen bin ich abgeschafft, gegangen total gelöst.“

Chorgemeinschaft mit spirituellem Auftrag

© Jörg Fiedler

Info
Festgottesdienst

Beim Festgottesdienst zum Jubiläum am Sonntag, 1. Dezember, 10.30 Uhr in der Murrhardter Stadtkirche führt die Kantorei eine adventliche Chormusik auf. Mitwirken wird das Ludwigsburger Blechbläserquintett. Auf dem Programm stehen unter anderem „Machet die Tore weit“ von Andreas Hammerschmidt, „Gloria: Ehre sei Gott in der Höhe“ von Felix Mendelssohn Bartholdy sowie ein Wechsel aus Chorstücken und Schriftlesung inklusive eines Lieds im Wechsel mit der Gemeinde. Die Leitung hat Kantor Gottfried Mayer. An den Gottesdienst schließt sich ein Stehempfang mit Grußworten an.

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Erstellt:
28. November 2019, 06:00 Uhr

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