Das Henderwäldler-Dreigestirn trollt sich

Das Fasnetsverbrennen hat coronagerecht als digitaler Austausch der Mitglieder inklusive Fotos und Kurzvideos stattgefunden. Ob Einzel- oder Gruppenfigur: Nun ist der – wenn überhaupt – sehr eingeschränkte Dienst beendet und das Häs wieder weggepackt.

Das Hexenturmweible mit typisch gebückter Haltung.

© Christian Goehler

Das Hexenturmweible mit typisch gebückter Haltung.

Von Christine Schick

MURRHARDT. Normalerweise ist der Dienstagabend für die Trauerarbeit reserviert. Beim traditionellen Fasnetsverbrennen treten die Murreder Henderwäldler den Rückzug an und verabschieden sich von Murrhardtern und Gästen in der Regel auch gemeinsam mit befreundeten Vereinen. Den symbolträchtigen Akt übernehmen dabei stellvertretend die drei Einzelfiguren, die ihr Häs in einer großen Holzkiste ablegen und sich anschließend in einen schwarzen Umhang mit Kapuze gehüllt von dannen machen.

Die Einzelfiguren der Henderwäldler von heute – Hexenturmweible, Nachtkrabb und Hotz – haben sich unterschiedlich stark verändert beziehungsweise weiterentwickelt. Christian Schweizer, Mitbegründer der Murrhardter Narrenzunft, erzählt, dass man ganz zu Anfang während Formation und Vereinsgründung noch Hexenturmhexen als Gruppenfiguren konzipiert hatte. Nach einigen Jahren sei aber klar geworden, dass der Verein mit Hexen nicht auf der richtigen Spur war, und dies auch der Landesverband Württembergischer Karnevalvereine so sah – aus mehreren Gründen. „Es gibt bisher keine Berichte über Hexenprozesse in Murrhardt“, sagt Schweizer, und es seien auch keine im Murrhardter Hexenturm eingesperrt gewesen. Anders gebe es beispielsweise für die Sulzbacher Stäffeleshexen klare historische Bezüge. Für Murrhardt machte etwas anderes mehr Sinn: In Überlieferungen werden Frauen beschrieben, denen man besondere Heilkräfte nachsagte, zudem wusste man von armen Bäuerinnen, die, um zum Lebensunterhalt der Familie etwas beizutragen, Kräuter, Pilze und Beeren im Wald sammelten und in der Stadt verkauften. So entstand das urige Frauenzimmer mit freundlichem, bäuerlichem Omagesicht, Rock, Ringelsocken, Strohschuhen und Korb.

Das Hexenturmweible kennt sich mit Kräutern, Pilzen und Beeren aus.

„Um in die Rolle zu schlüpfen, geh ich gebückt“, erzählt eine 25-jährige Henderwäldlerin (Namen sind nicht genannt, um das Narrengeheimnis zu wahren). Das langsame Unterwegssein hat auch den Vorteil, sich an das eingeschränktere Sichtfeld der Maske zu gewöhnen. Die junge Frau stieß vor sieben Jahren zur Zunft und bekam – wie oft bei den Einzelfiguren – zufällig Gelegenheit, in das Häs des Hexenturmweibles zu steigen. Die vorgesehene Trägerin wurde krank, und sie sprang ein. „Die Kinder haben teils schon Angst, ich versuch sie dann mit ein paar süßen Gaben zu locken.“

Auch die anderen beiden Einzelfiguren flößen Respekt ein – den kleineren Besuchern vermutlich besonders der Nachtkrabb. „Der ist ein echter Lottogewinn, die Figur hat sonst niemand mehr“, stellt Christian Schweizer fest und dass alle in diesem Sinne auch vom Landesverband geschützt sind. Vorbild für den Nachtkrabb ist der Waldrapp, der sich einst in Wäldern und auf Felshängen rund um Murrhardt fand. Als dämmerungsaktiver Vogel mit nacktem, rotem Kopf und schwarzem Gefieder wirkte er auf die Menschen unheimlich, und es entstand die Erzählung, die sich bis heute gehalten hat: Kinder, die abends nicht ins Bett wollen, werden vom Nachtkrabb geholt und verschleppt. Die Einzelfigur orientiert sich an dieser alten schwäbischen Sagengestalt genauso wie dem tierischen Vorbild – mit Holzmaske inklusive langem Schnabel, federförmig gestaltetem Filzblätzleshäs, das sich flügelartig aufspannen lässt, und Federwisch. „Schon vor über 20 Jahren, als ich einen meiner ersten Umzüge erlebt hab, hieß es, beim Nachtkrabb musst du besonders aufpassen, wo er ist“, sagt ein 33-jähriger Henderwäldler mit einem Schmunzeln. Vor drei Jahren stieg er bei der Murrhardter Narrenzunft als Wasserfratz ein. Vor dem Start zu einem Umzug war klar: Der Träger des Kinderschrecks ist ausgefallen. „Ich hab, ehrlich gesagt, immer mit der Figur geliebäugelt, es war klasse, dass ich dann die Gelegenheit bekommen habe, ins Häs zu schlüpfen.“ Er genießt den Kontakt und das Spiel mit den jungen Besuchern genauso wie Publikumsmagnet zu sein. Nur mit dem langen Schnabel heißt es freilich aufzupassen, um „niemanden zu erwischen“.

Das gilt auch für den Hotz mit seinem mächtigen Geweih, das er letztlich der Werkstatt des Carl-Schweizer-Museums und ihrer Ausstattung zu verdanken hat. Der Respekt einflößende Kerl basiert auf einer Murrhardter Sagengestalt – dem Hotzenklingenstoffel, kurz Hotz, den man in der Hotzenklinge am Riesberg beim Felsenmeer verortet hat. „Als ein dem Teufel ähnliches Wesen stellt er einen Waldgeist dar, der in gewissen Zeiten sein Unwesen mit armen Menschen getrieben haben soll“, heißt es im Narrenbuch der Henderwäldler. Alte Erzählungen schildern, wie er Kirchgängern aus Köchersberg und Westermurr auf den Rücken springt und ihnen Angst und Schrecken einjagt, als sie auf ihrem Weg durch den Wald in Richtung Gotteshaus sind. Häs und Maske zeigen ein Mischwesen aus Mensch und Tier mit besagtem Geweih, einem Bart aus Wildschweinborsten und Fellelementen. Der Hotz führt einen Wurzelspazierstock mit sich, der an den Abtsstab des ehemaligen Klosters erinnert und gleichzeitig mit seinen Fuchsschwänzen auf die verkehrte Welt der Fasnet verweist. Zu Gründungszeiten noch der Waldteufel, wurde er zum Waldschrat und 1988 schließlich zum Hotz.

Ein Henderwäldler, der bereits als Hotz Erfahrung gesammelt hat – auch hier wurde händeringend ein Springer gesucht –, sagt: „Mit Stock, Fuchsschwanz und Geweih bewegt man sich als Hotz etwas ruhiger. Ich finde, die Geschichte spielt sich da eher in den Köpfen der Zuschauer ab. Man wird beobachtet, schreitet einfach vorbei.“ Er beschreibt die Begegnungen als spannendes Spiel, bei dem er dieses Innehalten auch mal bewusst einsetzt. Möchte der 33-Jährige doch etwas mehr Interaktion, streicht er mit den Fuchsschwänzen des Stocks über die Köpfe im Publikum. Gerne auch als Abfedern des Schrecks, der einem Zuschauer noch in den Gliedern steckt, weil er ihn nicht hat kommen sehen.

Der Hotz ist ein Mischwesen aus Mensch und Tier. Fotos: Murreder Henderwäldler

© Christian Goehler

Der Hotz ist ein Mischwesen aus Mensch und Tier. Fotos: Murreder Henderwäldler

Vorbild für den Nachtkrabb ist ein realer Vogel, der Waldrapp. Die Kennzeichen: Hochroter Kopf, langer Schnabel und dunkles Federkleid.

© Christian Goehler

Vorbild für den Nachtkrabb ist ein realer Vogel, der Waldrapp. Die Kennzeichen: Hochroter Kopf, langer Schnabel und dunkles Federkleid.

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Erstellt:
18. Februar 2021, 06:00 Uhr

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