Die Arbeit mit Gescheiterten gab ihm viel

Katholischer Theologe und ehemaliger Gefängnisseelsorger Petrus Ceelen zu Gast im Murrhardter Begegnungscafé

Petrus Ceelen hat seine Erlebnisse aufgeschrieben, im Begegnungscafé der Kirche vor Ort erzählt er aber vor allem frei. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Petrus Ceelen hat seine Erlebnisse aufgeschrieben, im Begegnungscafé der Kirche vor Ort erzählt er aber vor allem frei. Foto: J. Fiedler

Von Hans-Christoph Werner

MURRHARDT. Er hat sich in die Ecke an der Straßenseite gesetzt. So kann er den abgewinkelten Raum des Begegnungscafés gut überblicken. Und die zwei Dutzend Zuhörer sehen ihn ebenfalls. Mit seinem Namen fängt er an: Petrus Ceelen. Wobei in Deutschland aus dem Petrus gern ein Peter gemacht wird. Aber Petrus, so wie der Apostel, ist richtig. Wenn wir schon bei Namen sind: Anfangs wurde er Paul genannt. Diesen Namen hatten sich seine Eltern ausgedacht. Als dann sein Vater, so erzählt Petrus Ceelen, nach seiner Geburt auf dem Weg zum Standesamt mehrmals einkehrte, ist ihm der ausgemachte Name entfallen. Erst Jahre später entdeckte die Mutter mehr zufällig auf der Geburtsurkunde den amtlich eingetragenen. Der 29. Juni, das Peter-und-Paul-Fest, bemerkt der katholische Theologe schmunzelnd, sei sein Tag. Da kämen seine Namen zur Geltung: der angebliche und der wahre.

Mittlerweile ist Petrus Ceelen 76 Jahre alt. Sein Leben, so sagt er, neigt sich dem Ende zu. Auch dazu hat er vieles aufgeschrieben. Ein schmales Bändchen mit der Überschrift „Nur der Titel fehlt noch – mein letztes Buch?“. Wie er überhaupt in den letzten Jahren viel aufgeschrieben hat. Das rührt, so sagt Petrus Ceelen, von seiner früheren Berufstätigkeit her.

16 Jahre war er Gefängnisseelsorger im Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg. Anschließend 13 Jahre Seelsorger für Aidskranke und HIV-Infizierte in Stuttgart. In all den Jahren haben ihm seine Schützlinge viel erzählt. Im Vertrauen darauf, dass er nichts weiterträgt. Petrus Ceelen hat sich daran gehalten, selbst seiner Frau nichts anvertraut. Das sei auf die Dauer belastend gewesen. Deshalb habe er in den letzten Jahren viel aufgeschrieben, sich Dinge von der Seele geschrieben.

Allgemeine Erfahrungen sind es, Reminiszenzen, Meditationen. Manchmal sind auch einfache Gedichte daraus geworden. Einiges davon will er nun im Begegnungscafé wieder loswerden. Aber Petrus Ceelen greift nach keinem der vier Heftchen, die vor ihm auf dem Tisch liegen. Er liest nicht vor, er erzählt. Und es sind dann nach der Namensgeschichte eher die schweren Erfahrungen, von denen er spricht.

Er habe, so sagt der Seelsorger, im Gefängnis und auf der Straße oft Menschen getroffen, die von sich hätten sagen können: „Ich weiß zwar, wie Liebe geschrieben wird, habe sie aber nie erfahren.“ Während seines Theologiestudiums habe er einmal in der Psychiatrie gearbeitet. Und fühlte sich sofort hingezogen zu den Menschen, die dort behandelt wurden. Er habe immer einen „Zug nach unten gespürt, gewusst, dass dies sein Platz“ sei. „Durch die Arbeit mit Gescheiterten“ sei er Jesus nähergekommen als durch sein Theologiestudium. Deprimierend sei es gewesen, die Insassen des Hohenaspergs zu erleben. Gefangen und dann auch noch krank, krank in der Seele. Zugleich habe er erfahren, wie wichtig es war, dass er zur Verfügung stand. Er sei ja als Gefängnisseelsorger keine Amtsperson gewesen, sondern ein Zuhörer, ein verschwiegener Zuhörer.

Jeder braucht jemand, der ihn in den Arm nimmt, sagt Petrus Ceelen

Die Gefängnisinsassen hätten sich bei ihm ausgeweint, mitunter auch ausgekotzt. „Letztlich geht es um Zuwendung“, sagt Petrus Ceelen, „jeder braucht einen anderen, der ihn in den Arm nimmt.“ Auch der Verbrecher sei wie ein Mensch zu behandeln. Er habe dadurch, so der Theologe, „einen anderen Blickwinkel aufs Leben gewonnen“. Wir hätten doch allen Grund, dankbar zu sein. „Keiner wird als Mörder geboren.“ Im Gefängnis habe er gelernt, zu was Menschen fähig sind. Tötungsdelikte kämen in den besten Familien vor. Aber er habe auch mitbekommen, so der Seelsorger, was manche Menschen bereits als Kinder erlitten haben. Und dann spricht Petrus Ceelen kurz über seine, die katholische Kirche. Die Zahl hat er genau im Kopf. 3677 Kinder seien von katholischen Priestern missbraucht worden. Über Entschädigungen werde jetzt beraten. Aber mit Geld sei das nicht wiedergutzumachen.

Wenn Gefangene starben und er sich mit den Angehörigen in Verbindung setzte, habe er auch erlebt, dass diese leugneten, in dem Verstorbenen Vater, Bruder oder Sohn gehabt zu haben. Das sei der Tod vor dem Tod gewesen, der soziale Tod.

Dadurch angestoßen nimmt das Thema Lebensende, auch durch Nachfragen der Zuhörer, einen breiten Raum ein. „Wenn wir ehrlich sind“, sagt Petrus Ceelen, „haben wir alle Angst vor dem Sterben.“ Wenn das Leben durch eine Krankheit oder eine andere Beeinträchtigung stark eingeschränkt werde, würden manche über ein selbst gesetztes Ende nachdenken. Wenn solche Wünsche geäußert werden, dürfe man sich nicht darüber entrüsten, sondern müsse sich bemühen, das zu verstehen. Ferner dürften wir nicht Herr über Leben und Tod spielen. Und dennoch: Ist der Tod immer nur ein Feind? Ist er nicht manchmal auch Erlösung?

In Mathematik sei er, so Petrus Ceelen, immer schlecht gewesen. Wenn er heute nach seinem Alter gefragt werde, müsse er immer rechnen. Und wundere sich darüber, dass er jedes Jahr auf das richtige Ergebnis komme. „Das Alter ist zwar nur eine Zahl, aber sie zählt.“ Es sei schade, wenn Menschen nicht zu ihrem Alter stehen könnten.

Wie im Fluge ist über dem Erzählen von viel Traurigem, aber auch einigem Amüsanten die Zeit vergangen. Petrus Ceelen weist noch auf die von ihm verfassten Geschichten-Bändchen hin. Sie sind käuflich zu erwerben. Gerne schreibe er auch eine Widmung hinein. Aber um 20.20 Uhr gehe sein Zug. Den wolle er auf alle Fälle erreichen.

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Erstellt:
27. November 2019, 06:00 Uhr

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