„Dann passiert das Leben“

Ein Glücksfall im deutschen Kino – So gut ist „Dann passiert das Leben“

Der Titel von Neele Vollmars Eheporträt klingt nach typisch deutscher TV-Filmware. Doch das ist „Dann passiert das Leben“ keineswegs. Anke Engelke und Ulrich Tukur spielen großartig.

Im Ehe-Unglück harmonisch vereint: Hans (Ulrich Tukur) und Rita (Anke Engelke) in „Dann passiert das Leben“

© Daniel Gottschalk/Majestic/dpa

Im Ehe-Unglück harmonisch vereint: Hans (Ulrich Tukur) und Rita (Anke Engelke) in „Dann passiert das Leben“

Von Kathrin Horster

Erst sind es bloß die Kacheln im Bad. Rita (Anke Engelke) will blaue, Hans (Ulrich Tukur) friert allein beim Anblick der Farbe und votiert für Rosa. Rita wird grantig, weil Hans auch noch Kaffee und Kekse beim Bad-Einrichter verlangt. Außerdem geht ihr der Berater mit seinem blöden, schlecht sitzenden Anzug auf die Nerven und den noch dämlicheren Kommentaren. Ohne die Musterfliesen mitzunehmen, verlässt Rita fluchtartig den Laden, allerdings nicht, ohne dem schnöseligen Verkäufer noch einen fiesen Spruch zu dessen auffallend kurzen Beinen aufgedrückt zu haben.

Regisseurin Neele Vollmar geht ans Eingemachte in „Dann passiert das Leben“

Rita, Anfang sechzig, erlebt man in den ersten, noch gallig lustigen Minuten von Neele Vollmars außergewöhnlichem Eheporträt mit dem allerdings seicht anmutenden Titel „Dann passiert das Leben“ wie auf Nadeln gespießt. Dass der Verleih bei der Vermarktung des Films auf den Weichspüleffekt setzt, beweist auch der von besinnlich-putzigem Klaviergeklimper untermalte Trailer. Davon sollte man sich nicht täuschen lassen; die an der Filmakademie Ludwigsburg ausgebildete Neele Vollmar geht ans Eingemachte, hält drauf, wo andere abblenden, um das Publikum ja nicht mit zu viel Realität zu behelligen.

Der Alltag von Rita und Hans ist typisch öde, wie von so vielen Otto-Normal-Verbrauchern. Hans steht kurz vor seiner Pensionierung als Gymnasialdirektor, Rita schuftet als Pflegekraft. Tom (Lukas Rüppel), der gemeinsame Sohn der beiden, ist längst ausgezogen und nur noch selten zu Besuch. Auch bei ihm bahnt sich bereits eine schwierige Beziehungskarriere an.

Neele Vollmar verortet das Ehepaar in einem frei stehenden Einfamilienhaus, das viel zu alt zu sein scheint für seine Bewohner, als lebten Rita und Hans im Vorgestern ihrer eigenen Eltern, mit abgeschabtem Mobiliar und altertümlichen Karotapeten, überfordert vom relativ modernen Fernseher, den die beiden nicht immer zum Laufen bringen. Zu ihren morgendlichen Schwimmrunden im Hallenbad zieht Rita eine altmodische weiße Badekappe mit schwarzem Mittelstreifen übers Haar, gleitet ins Becken, und streift im Wasser die Träger ihres Badeanzugs über die Schultern, sodass niemand sieht, wie sie oben ohne schwimmt.

Es sind diese Details, individuelle Manierismen, die Rita und Hans jenseits platter Rollenkonventionen zu Menschen aus Fleisch und Blut werden lassen. Neben der überraschend ernsthaften Anke Engelke, die hier ihr ungeahntes Potenzial als Charakterschauspielerin jenseits der überdrehten Ulknudel voll ausschöpfen kann, agiert Ulrich Tukur zurückgenommen an ihrer Seite als Mann, der sich schwer tut, von seiner Rolle als Direktor Abschied zu nehmen.

Offenbar hat Hans seine Zeit lieber mit seinen Schülern und dem Kollegium verbracht, als bei seiner von Frust und Traurigkeit zerfressenen Frau, die eigene Ambitionen wie ein Medizinstudium zugunsten ihrer Mutterschaft und später aufgrund ihrer Feigheit aufgegeben hat, wie sie bekennt. Doch nicht nur Hans’ nahender Ruhestand und die damit einhergehende Neuordnung des Alltags belastet diese bloß noch auf Gewohnheiten und Bequemlichkeit gebaute Ehe. Als Rita in einer regennassen Nacht und während eines Streits mit Hans einen Mann überfährt, gerät der fragile Status quo aus den Fugen.

In „Dann passiert das Leben“ steht Rita im Fokus

Es ist erstaunlich, wie gut Neele Vollmar die ohnehin schon dichte Darstellung eines von bürgerlichen Normen, verpassten Chancen und der unerbittlichen Wirkung der Zeit ersticktes Eheleben noch mit der Katastrophe eines Unfalls zusammen bringt, ohne den Plot zu überfrachten – obwohl es diese Volte nicht unbedingt gebraucht hätte, um die Erzählung auf Spannung zu halten.

Auch wenn Vollmar beide Partner in den Blick nimmt, liegt der Fokus auf Rita, die durch den Unfall aus der fatalistischen Akzeptanz ihres chronischen Lebensüberdrusses in einen Strudel aus Selbsthass, Zwangsgedanken und übermächtiger Traurigkeit gerät, aus dem sie sich selbst kaum noch retten kann. Hans steht hilflos daneben, auch, weil er schon vor Jahren nach einem Seitensprung mit einer Kollegin den emotionalen Kontakt zu Rita verloren hat.

Diese Härten filmisch zu beschreiben, ohne das Publikum zu vergrätzen, es mit dieser grimmigen Geschichte sogar zu unterhalten, ist schwer. Neele Vollmar gelingt das wegen ihres aufrichtigen Interesses an ihren Figuren, denen sie mit Hilfe ihrer brillanten Darsteller und eines vor sozialen Details überquellenden Set- und Kostümdesigns ein Leben jenseits der Drehbuchseiten schenkt. Und weil sie Mut zur Traurigkeit besitzt, dem seichten Titel ihres Films und der betulichen Vermarktung zum Trotz. Ein seltener Glücksfall im deutschen Kino.

Dann passiert das Leben. Deutschland, Österreich 2025. Regie: Neele Vollmar. Mit Anke Engelke, Ulrich Tukur. 122 Minuten. Ab 6 Jahren.

Preisgekrönte Filmemacherin und Darsteller

Regisseurin Neele Vollmar, geboren 1978 in Bremen, studierte von 2000 bis 2005 an Filmakademie in Ludwigsburg. Ihr erster Kurzfilm „Meine Eltern“ lief erfolgreich auf Festivals und wurde mehrfach ausgezeichnet. 2009 adaptierte sie Jan Weilers Bestseller „Maria, ihm schmeckts nicht“. Mit dem Kinderfilm „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ gewann sie 2015 den Deutschen Filmpreis. Seit 2020 lehrt sie an der Filmakademie Ludwigsburg, sie lebt in München.

SchauspielAnke Engelke, 1965 im kanadischen Montreal geboren, ist vor allem als Entertainerin, Moderatorin und Sängerin der Gruppe Fred Kellner und die famosen Soulsisters berühmt. Als Rita beweist sie ihr Talent im ernsten Charakterfach.

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Erstellt:
4. November 2025, 17:10 Uhr

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