Europas rote Laterne

Als ärmster EU-Staat führt Bulgarien den Euro ein. Doch wirtschaftlich hat das Land aufgeholt.

Von Eidos Import

Eine harmonische Zeitenwende sieht anders aus. Ein überstürzter Regierungsabtritt kurz vor Beginn von Bulgariens neuer Euro-Ära, Proteste gegen Korruption, Klüngelwirtschaft und windige Schattenmänner: Ausgerechnet der am wenigsten wohlhabende EU-Staat schlittert mit ungewohnt viel Getöse als 21. Mitglied in die Euro-Zone, die doch so stark auf Stabilität bedacht ist.

Als ärmster Anwärter war Bulgarien vor 19 Jahren der Europäischen Union beigetreten. Als ärmstes EU-Land führt der Balkanstaat nun den Euro als Währung ein. Hievt Europas Wohlstandsbündnis mit Bulgarien ein rückständiges und schwachbrüstiges Problemkind in die Eurozone?

Finanzpolitisch gibt es keinerlei Anlass zur Sorge, dass der schon seit 1997 fest an den DM- und Euro-Kurs gekoppelte Balkanstaat die Stabilität der Einheitswährung gefährden könnte. Im Gegenteil. Die sogenannten Maastricht-Kriterien, die zur Euro-Einführung qualifizieren, erfüllt das Neu-Mitglied nicht nur mit einer seit Jahren eisernen Haushaltsdisziplin, sondern auch mit einer beneidenswert niedrigen Staatsverschuldung: Mit rund 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt Bulgariens Staatsschuld nicht nur deutlich unter dem EU-Mittel von 81 Prozent, sondern auch weit unter der vieler Gründungsmitglieder der Eurozone wie Griechenland (152 Prozent), Italien (137 Prozent) und Frankreich (114 Prozent).

Doch ist das Wohlstandsgefälle zwischen dem EU-Schlusslicht Bulgarien und den reichsten Mitgliedern nicht zu groß? Sicher ist jedenfalls, dass Europas Armenhaus Bulgarien enorm aufgeholt hat. Am Vorabend des EU-Beitritts 2007 lag Bulgariens Sozialprodukt pro Kopf bei 28 Prozent des EU-Mittels. Knapp zwei Jahrzehnte später beträgt dieses zwar noch immer nur ein gutes Viertel von Spitzenreiter Luxemburg, dennoch hat Europas Schlusslicht den Rückstand zu den meisten EU-Staaten ordentlich verkleinert: Bulgarien liegt nur noch knapp hinter Lettland und Griechenland.

Arbeitskräfte sind knapp geworden, der Beschäftigungsgrad und die Löhne steigen. Beim Wohlstandsbarometer des sogenannten AIC-Index des privaten Konsums der EU-Haushalte hat Bulgarien mit fast Dreiviertel des EU-Mittels bereits Lettland und das kriselnde Ungarn hinter sich gelassen.

Groß bleibt allerdings das Wohlstandsgefälle zwischen Bulgariens Rückstandsregionen und den boomenden Großstädten. Und selbst dort ist in Roma-Vierteln wie Fakulteta in Sofia oder Stoliponowo in Plowdiw Bulgariens langsamer, aber steter Aufschwung nur bedingt zu spüren: Massive Ausgrenzung, soziales Elend, mangelnde Bildung, hohe Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und Gewalt prägen das Leben hier.

Doch trotz aller Missstände kehren mittlerweile mehr Bulgaren in ihre Heimat zurück als auswandern. Zwar können weder die Europäische Union noch der Euro alle internen Probleme der Mitgliedstaaten lösen. Doch auf das Ventil der Abwanderung der Unzufriedenen können Bulgariens geschäftstüchtige Strippenzieher kaum mehr vertrauen: Selbstbewusste Bürger, die sich nicht mehr zur Flucht in die Emigration gezwungen fühlen, können Missstände wie Korruption leichter korrigieren. Sie gehen einfach auf die Straße und protestieren dagegen.

Probleme bleiben Bulgarien genug. Der positive Migrationssaldo ist jedoch ein Indikator dafür, dass die EU-Integration zumindest bei der allmählichen Angleichung der Lebensverhältnisse funktioniert: Wann Bulgarien seinen Titel als Europas Rote Laterne abgeben kann, scheint nur eine Frage der Zeit zu sein.

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Erstellt:
26. Dezember 2025, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
26. Dezember 2025, 23:59 Uhr

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