Fotovoltaikpflicht für Neubauten abgelehnt

Murrhardter Gemeinderat folgt dem Antrag von MDAL/Die Grünen nicht – Für die Mehrheit ist der Zwang problematisch

Es ging um einen Grundsatzbeschluss: Die MDAL/Die Grünen hatten den Antrag gestellt, Bauherren zu verpflichten, Neubauten mit einer Fotovoltaikanlage auszustatten. Die Stadtverwaltung machte mit ihrer Vorlage zur Sitzung klar, dass sie diesen Vorstoß nicht unterstützt. Allerdings gab es auch aus den anderen Fraktionen des Murrhardter Gemeinderats etliche Stimmen, die eine Verpflichtung als problematisch ansahen.

Das Potenzial für Solarenergie ist für 90 Prozent der Flächen und Häuser in Murrhardt gut bis sehr gut, hat Ralf Nentwich recherchiert. Die Fraktion MDAL/Die Grünen hat bei ihrem Antrag darauf gesetzt, bei Neubauten die Installation einer Solaranlage zur Pflicht zu machen, damit der Ausbau entsprechend vorangeht und viele Dächer so aussehen wie auf diesem Beispielfoto. Foto: Adobe Stock/I. Bartussek

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Das Potenzial für Solarenergie ist für 90 Prozent der Flächen und Häuser in Murrhardt gut bis sehr gut, hat Ralf Nentwich recherchiert. Die Fraktion MDAL/Die Grünen hat bei ihrem Antrag darauf gesetzt, bei Neubauten die Installation einer Solaranlage zur Pflicht zu machen, damit der Ausbau entsprechend vorangeht und viele Dächer so aussehen wie auf diesem Beispielfoto. Foto: Adobe Stock/I. Bartussek

Von Christine Schick

MURRHARDT. Bürgermeister Armin Mößner stellte den Antrag „Klimaschutzoffensive: Verpflichtung zur Herstellung beziehungsweise Vorhaltung einer Fotovoltaikanlage bei Neubauten“ ohne weitere Erläuterungen zur Beratung. Somit ergriff Martin Stierand (MDAL/Die Grünen) die Gelegenheit, die Grundgedanken nochmals zu skizzieren. Die Argumentation der Stadtverwaltung in der Vorlage bezeichnete er als dürftig und nicht ausgewogen. In einer beigefügten Pressemitteilung des Gemeindetags wird dort Präsident Roger Kehle zitiert, der auf den Vorstoß der CDU in Baden-Württemberg pro Fotovoltaikpflicht reagiert, solch eine Verpflichtung aber nicht auf die Kommunen abgewälzt sehen möchte, und sich fragt, wie mit Blick auf die Wohnungsnot das Bauen durch immer mehr Vorschriften günstiger gemacht und beschleunigt werden solle. Die Verwaltung schließt sich dieser Einschätzung an. Die Argumente: Eine Fotovoltaikpflicht werde die Vermarktung von Grundstücken erschweren und das Bauen und somit dringend benötigten Wohnraum teurer machen. Durch andere Bedingungen in Nachbarkommunen befürchtet die Verwaltung zudem ein Ungleichgewicht und eine Wettbewerbsverzerrung, sodass sie in diesem Punkt auf die Entscheidung und Steuerung des Landes setzt, so die Vorlage.

Für Martin Stierand eine Verschiebetaktik, die der Herausforderung, dem Klimawandel zu begegnen, nicht gerecht werde. Er plädierte für einen Weg jenseits eines Greta-Thunberg-Hypes genauso wie eines aussitzenden Obrigkeitsdenkens. Auch wenn die Bauvorhaben in Murrhardt überschaubar seien, sprach sich Stierand dafür aus, hier voranzugehen im Sinne eines Vorbildcharakters. Dass die Ausstattung mit einer Fotovoltaikanlage immer mit einer Mehrbelastung einhergehe, sei nur die halbe Wahrheit. Zwar stelle sie eine höhere Investitionssumme dar, doch diese amortisiere sich über die Zeit und käme bereits nach 15 Jahren in eine Gewinnzone (Eigeneinspeisung mitgerechnet). Stierand führte zudem die Fördermöglichkeiten ins Feld und beschrieb den Antrag auch als Ermutigung. Eine Energieberatung, auf die die Verwaltung als Alternative setzt, sei zu begrüßen, aber nicht ausreichend.

Weitere Einwände der Stadt wie Einhaltung und Durchsetzung solch einer Pflicht sah er als weniger problematisch an. In einem Finanzierungskrisenfall könne man eventuell eine spätere Installation ins Auge fassen. „PV-Anlagen gehören für heutige Baumaßnahmen zum Standard, so wie Strom- und Wasseranschluss und hoffentlich demnächst Glasfaserkabel“, sagte er. Auch beim Raumvolumen könnte ein Umdenken einsetzen – weniger voluminös, dafür energetisch effektiver. Stierand betonte, dass der Antrag kein Zwangskorsett sei, sondern dem Bauherren angemessene Spielräume lasse – inklusive Abwägung je nach örtlicher Situation. Mit Blick auf die landschaftlich wertvollen künftigen Baugrundstücke in Siegelsberg-Ost könne man eine PV-Pflicht auch als eine Art Ausgleichsmaßnahme für einen Hausbau sehen.

„Wir sind da gar nicht so weit voneinander entfernt“, sagte Edgar Schäf. Der SPD-Fraktionschef machte deutlich, dass es für ihn aber einen Knackpunkt gebe, nämlich die Verpflichtung, bei der er nicht mitgehen könne. Da der Bauherr das Geld in die Hand nehme, wolle er diese Entscheidung ihm überlassen. Insofern könne er sich dem Antrag nicht anschließen.

Die Mehrheit will den Bauherrn durch die Regelungen nicht zu sehr einschränken

Ähnlich sah das CDU-FWV-Fraktionsvorsitzender Andreas Winkle. Es sei vorstellbar, dass manche Bauprojekte von der Finanzierung her scheitern könnten. Zwar sei es keine Frage, dass man die Energiewende schaffen müsse, aber dabei sieht er die Verantwortung noch auf vielen weiteren Ebenen. Den Bauherren solle man nicht zu sehr einschränken, möglicherweise wolle der auch auf Geothermie setzen vor dem Hintergrund einer spezifischen Dachsituation. Er könne sich viel vorstellen – Empfehlungen zur Ausrichtung bis hin zu einem Solaratlas für Murrhardt –, aber keine PV-Pflicht für den Bauherrn.

Wolfgang Hess (UL) schloss sich den beiden Vorrednern an. Auch er wolle keine Verpflichtung für einen bauwilligen Bürger. Man müsse das Geld für eine Fotovoltaikanlage haben und ein Projekt könne an dieser Hürde scheitern. Für sinnvoll halte er aber den Vorschlag der Verwaltung, Grundstückskäufern einen Gutschein für ein Beratungsgespräch bei der Energieagentur anzubieten.

Ralf Nentwich (MDAL/Die Grünen) legte dann noch mal mit einem ausführlichen Statement nach. „Leider ist das Thema Klimaschutz kein Thema, mit dem Murrhardt wirklich punkten kann. Andere Gemeinden und Städte um uns herum sind da schon wesentlich weiter“, sagte er. Es müsse eigentlich zur Chefsache gemacht werden. Eine Fotovoltaikpflicht sei ein einfacher, aber wirkungsvoller Bestandteil auf dem noch langen Weg hin zu klimafreundlichen Baugebieten und einer klimafreundlichen Kommune. Der Klimaschutz habe sich zu einer Überlebensfrage entwickelt, bei der es um die Zukunft für kommende Generationen und die Folgen gehe – Flucht, Armut, Naturkatastrophen und neuartige Kriege. „Nach Angaben des Weltklimarats sind wir weniger als zwölf Jahre von dem Punkt entfernt, an dem unsere Fehler nicht mehr rückgängig zu machen sind.“ Gleichzeitig bescheinige die Landesanstalt für Umwelt Murrhardt ein enormes Potenzial für Fotovoltaik – etwa 90 Prozent aller Flächen und Häuser fallen in die Kategorie gut und sehr gut. „Übrigens auch Ihr Haus, Herr Mößner“, das die Anstalt mit einem sehr guten Potenzial eingestuft habe, sagte Nentwich. Zurzeit gebe es etwa 311 PV-Anlagen in Murrhardt. Auch beim Jugendforum sei das Thema bestimmend gewesen, weshalb der Rat die Jugend ernst nehmen solle. Zur ökonomischen Seite sagte er: Eine durchschnittliche Anlage koste etwa 10000 Euro. Kombiniert mit KfW-Förderungen und möglicherweise noch einem Familien- oder Kinderbonus dürfte dies ein Bauvorhaben auch einkommensschwächerer Familien nicht behindern. Bauplätze sollten zudem auch nicht zu billig veräußert, „verramscht“, werden, meinte Nentwich. Auch wenn der Antrag nur ein kleiner Baustein für den Klimaschutz sei, bat er den Gemeinderat, mutig in der Sache voranzuschreiten. Bürgermeister Armin Mößner ging in der Diskussion auf den Punkt der Durchsetzung solch einer Pflicht ein. Für ihn sei problematisch, dass beispielsweise bei einer Festschreibung im Bebauungsplan dies die Stadt in Zugzwang bringe. Kommt ein Bauherr dem nicht nach, müsse man tätig werden, die Anlage womöglich selbst installieren und sich das Geld zurückholen. Auch eine Vertragsstrafe sah er als nicht zielführend an. Man wolle diese Verpflichtung für den Bauherren nicht. Einen Beratungsgutschein für die Energieagentur sieht er als besseres Mittel an, zumal man so auch auf die Förderung aufmerksam machen könne.

Nach einer Reihe weiterer Beiträge hob Klaus Lang (CDU-FWV) aufs Atmosphärische ab. Er legte Ralf Nentwich nahe, weniger vorwurfsvoll und wertend zu diskutieren und stärker das interfraktionelle Gespräch zu suchen. Markus Blank (UL) brach die Lanze für den einzelnen Bauherrn, der sicher auch abwäge. Dabei spielten eventuell auch Überlegungen wie Brandgefahr einer PV-Anlage eine Rolle. Er sprach sich dafür aus, nochmals gemeinsam nach Möglichkeiten zu suchen, wie man unabhängig von einer Pflicht den Ausbau von PV-Anlagen fördern und voranbringen könne, auch für bereits bestehende Häuser. Stierand unterstrich zum Abschluss nochmals das Abwägungsgebot des Antrags, sprich, dass in spezifischen Fällen anders entschieden werden könne. Für Mario Brenner (CDU-FWV) war allerdings genau dies ein kritischer Punkt des Antrags. Es sei nicht nachvollziehbar, wer dann nach welchen Kriterien entscheidet, ob jemand noch zu einer Anlageninstallation verpflichtet werden solle oder nicht.

In der Diskussion hatte sich die Tendenz schon herauskristallisiert: Der Antrag der Fraktion MDAL/Die Grünen wurde mit zwölf versus vier Stimmen abgelehnt.

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Erstellt:
25. Januar 2020, 06:00 Uhr

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