„Für die Tiere würde ich’s immer wieder tun“

Visnja Lamp und ihre Familie haben nach der Übernahme des Gnadenhofs Murrquelle in Vorderwestermurr samt Heustüble und Heuhotel seit etwas mehr als anderthalb Jahren mit der nicht einfachen Situation rund um Corona zu kämpfen. Entmutigen lassen sie sich trotzdem nicht.

Visnja Lamp lässt Joy am Fallobst des Geländes schnuppern, geben kann sie es ihm aber nicht, weil die Säure für die Zähne schädlich ist.

© Jörg Fiedler

Visnja Lamp lässt Joy am Fallobst des Geländes schnuppern, geben kann sie es ihm aber nicht, weil die Säure für die Zähne schädlich ist.

Von Christine Schick

Murrhardt. Feini stromert durch die große Scheune des Heuhotels, kommt zu Visnja Lamp und mauzt. Zwar muss sie ihre Samtpfote daran erinnern, dass sie nicht auf dem Holztisch herumscharwenzeln darf, dann bekommt sie aber ein paar Streicheleinheiten und ein Lob, das genau genommen die gesamte 15-köpfige Katzenwohngemeinschaft betrifft. „Anfangs haben hier die Mäuse gewuselt, mittlerweile sehe ich keine einzige mehr“, sagt sie.

Die Feriensaison ist schon wieder einige Zeit vorbei, trotzdem ist die Familie froh, dass sie den Gnadenhof und das Heustüble am Wochenende weiterhin öffnen kann. „Das hat mir so leidgetan, als Familien kamen, die Kinder dann geweint haben, weil ich sie nicht zu den Tieren lassen konnte.“ Wenn sie gewusst hätte, was da auch mit einer langen Durststrecke in Bezug auf die Gastronomie wegen Corona auf sie zukam, würde die Entscheidung heute vielleicht anders aussehen? Die 62-Jährige schüttelt den Kopf. Natürlich hätten Hof, Heustüble und Heuhotel nicht mehr viel länger zubleiben dürfen, aber „für die Tiere würde ich’s immer wieder tun“.

Visnja Lamp hat zuvor selbst als Ehrenamtliche bei Vorbesitzerin Martina Theurer auf dem Gnadenhof mitgearbeitet, bis diese sich entschloss, nach Schweden auszuwandern und zu verkaufen. Weil sich kein anderer Interessent fand, schlug schließlich sie ein. Somit ging es auch für die über 80 Tiere weiter. Die haben seit rund einem Monat einen neuen Ansprechpartner: Max Schmidt macht sein Freiwilliges Ökologisches Jahr auf dem Gnadenhof Murrquelle. Nachdem eine Freundin erzählte, wie gut ihr die Arbeit auf solch einem Alterssitz für Tiere gefällt, begann der 19-Jährige aus Wüstenrot zu suchen, und nach einem Probeeinsatz wurden Nägel mit Köpfen gemacht. „Max hat sich superschnell eingearbeitet“, sagt Visnja Lamp. Auf dem Arbeitsplan stehen füttern, Ställe misten, kleinere Reparaturarbeiten und Geländepflege. Manche Tiere bekommen auch Medikamente.

Dominik Weber schaut bei seiner Abendrunde nach den Tieren

Den einen oder anderen Tipp hat da auch Dominik Weber vom Förderverein Gnadenhof Murrquelle parat. Der 26-Jährige wohnt ganz in der Nähe, kennt die Tiere schon länger und bestreitet in der Regel die Abendrunde, sprich schaut zu späterer Stunde nochmals nach dem Rechten – ob alle Gatter geschlossen sind, die Batterie für den Elektrozaun grün leuchtet und legt eine Decke über den Vogelkäfig, damit die Piepmätze sich zur Ruhe betten können. Wenn jetzt noch eine neue Kraft für die dritte gute Seele gefunden wäre, wäre Visnja Lamp absolut froh. Eine Mitarbeiterin, die halbtags im Gnadenhof angestellt war, ist weggezogen und nun suchen sie nach Ersatz.

Bei über 80 Tieren sind zudem ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sehr willkommen. Gerade am Wochenende, wenn Besucher kommen und die Chefin mit dem Versorgen ihrer Gäste im Heustüble beschäftigt ist. Susanne Danese ist genau in dieser Mission vor Ort. Sie hat sich schon im Erlacher und Winnender Tierheim engagiert und schaut sich nun auf dem Gnadenhof um. Sie beehrt das Ziegentrio Sancho, Emil und Willy, macht das Gelände etwas sauber, genießt es, bei der Arbeit draußen zu sein und schon erste Kontakte zu knüpfen. „Emil ist ein richtiger Schmuser“, stellt sie fest und grinst.

Mit Visnja Lamp, Max Schmidt, Dominik Weber geht es zur Eselfraktion. Dream, Joy und Angel sind zugewandt und neugierig. „Als Angel auf den Hof kam, wusste keiner, dass sie schwanger war. Hope und Joy sind ihre beiden Kinder“, erzählt Lamp. Allerdings ist die gestandene Mutter auch ein wenig Sorgenkind. Aufgrund falscher, zu obstlastiger Ernährung hat sie wiederkehrende Zahnprobleme und schon die dritte Operation hinter sich. „Der musste gezogen werden“, sagt die 62-Jährige und zeigt das Exemplar im Tütchen. Auf dem Hof bekommt Angel Stroh, Heu und Wasser. „Wenn man sie verwöhnen möchte, gibt es eingeweichte Heukops und Hagebutten“, sagt Dominik Weber. Ein Gnadenhof wäre keiner, wenn die Tiere dort nicht alt werden könnten, und das bringt auch Krankheiten mit sich. Bei den Schweinen sind es Gelenk- und Herzprobleme, und das artgerechte Füttern bleibt für alle wichtig. Visnja Lamp erinnert sich noch gut daran, als Kinder den Ziegen Willy und Emil aus Versehen Schokobons gegeben hatten. „Der Tierarzt musste kommen, weil sie eine Kolik hatten.“ Schilder weisen nun darauf hin, dass die Tiere nicht gefüttert werden dürfen.

Das heißt aber nicht, dass es nur bierernst zugeht. Salopp könnte man sagen, bei diesen vielen verschiedenen Tieren – Schafe, Ziegen, Esel, Vögel, Katzen, Hasen, Gänse, Warzenenten und Schweine – bleiben die WG-Abenteuer nicht aus. Eine besondere Konstellation gibt es beispielsweise unterhalb der Eselkoppel. Als die Ziegen Emma und Liesel ausgebüxt sind und den Schafen einen Besuch abgestattet haben, „hat sich Toni verliebt“, erzählt Lamp. Das stattliche Schaf hat sie prompt gegen die nicht erfreuten Ziegenböcke Willy und Emil verteidigt. Die beiden durften bei ihrem neuen Kavalier bleiben. Ganz durchhalten lässt sich Trennung eh nicht. „Mal sind die Gänse bei den Schafen, mal die Schafe bei den Gänsen, die Ziegen bei den Schafen und die Schafe bei den Eseln. Falls jemand die Langeweile plagt, soll er sich eine Ziege anschaffen“, sagt die 62-Jährige und lacht. Jetzt hofft sie, den Herbst noch lange auskosten und das Heustüble am Wochenende auflassen zu können. Sollte es im Winter sehr kalt werden, muss die Familie über eine Pause nachdenken, weil die Heizkosten für die Gastroinfrastruktur sehr hoch sind.

Ziegenbock Emil ist ein echter Schmuser. Fotos: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Ziegenbock Emil ist ein echter Schmuser. Fotos: J. Fiedler

Dominik Weber (links) und Max Schmidt mit Dream und Joy.

© Jörg Fiedler

Dominik Weber (links) und Max Schmidt mit Dream und Joy.

Hilfsmöglichkeiten

Unterstützung Ziel des Fördervereins Gnadenhof Murrquelle ist die finanzielle Hilfe für die Tiere. Es gibt verschiedene Wege: Neben Geld-, Sach- und Futterspenden sind Patenschaften für einzelne Tiere sowie eine Mitgliedschaft im Verein möglich. Zurzeit sind es 36 Mitglieder, aber durch Wegzüge wird sich die Zahl reduzieren. Die Geldspenden fließen in Futter- und Tierarztkosten sowie Medikamente. Wunschprojekte wären auch Reparaturen und bauliche Verbesserungen an den Unterkünften. Mit einer einmaligen Förderung des Vereins von 2000 Euro durch die Stadt konnte eine neue Pumpenanlage für die Wasserversorgung der Tiere finanziert werden, der Rest fließt in Zaunanlagen und Futter. Weitere Infos: https://heuhotelmurrquelle.de/foerderverein-gnadenhof

Mitarbeit Wer Interesse hat, auf dem Gnadenhof ehrenamtlich mitzuhelfen, kann sich bei Familie und Team via E-Mail melden: kontakt@heuhotelmurrquelle.de

Besuch Gnadenhof Murrquelle und Heustüble können am Wochenende besucht werden, samstags und sonntags von 11 bis 20 Uhr. Infos: https://heuhotelmurrquelle.de

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Erstellt:
8. Oktober 2021, 06:00 Uhr

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