Harmonisch agiert, minutiös musiziert
Das Frielinghaus-Ensemble versetzt mit Streichsextetten von Antonin Dvorák und Peter Tschaikowsky bei seinem Sommerkonzert in der Stadtkirche die Zuhörer in Begeisterung.

Überzeugten durch ihr harmonisches Musizieren (von links): Gustav Frielinghaus und Leonard Fu (Violinen), Alejandro Regueira Caumel und Sào Soulez Larivière (Violen), Oliver Léonard und Jakob Schall (Violoncelli). Foto: E. Klaper
Von Elisabeth Klaper
MURRHARDT. Nach acht Monaten Zwangspause und acht ausgefallenen Konzerten startet die Konzertreihe der evangelischen Kirchenmusik 2021 in der Stadtkirche gleich mit einer Sternstunde der Kammermusik: dem Sommerkonzert des Frielinghaus-Ensembles. Es sei „ein Glücksfall“, dass es bei seiner Sommertournee auf Anfrage auch in der Walterichstadt auftritt, freut sich Kantor Gottfried Mayer. Und er trifft den Nagel auf den Kopf: Das renommierte Sextett mit Gustav Frielinghaus und Leonard Fu (Violinen), Alejandro Regueira Caumel und Sào Soulez Larivière (Violen), Oliver Léonard und Jakob Schall (Violoncelli) beschert der großen Zuhörerschar zwei unvergessliche Hörerlebnisse unter dem Motto „Souvenir de Florence“.
Dabei springt der Funke der Freude und Begeisterung sofort aufs Publikum über. Denn die jungen internationalen Profimusiker agieren unter der Regie des Namensgebers und Leiters des Sextetts mit voller Leidenschaft, Virtuosität und geradezu ekstatischer Musizierfreude. Wunderschön harmonisch, in minutiös aufeinander abgestimmter Interaktion und mit höchster Präzision, interpretieren sie zwei Streichsextette. Diese orchestralen, vor faszinierenden musikalischen Ideen und Klangkreationen nur so sprühenden Werke stellen klingende Selbstporträts ihrer Komponisten dar.
Eine Vielzahl von unterschiedlichen Emotionen, Melodien, Rhythmen.
Im Zentrum steht das atmosphärische Streichsextett d-Moll Opus 70 mit dem Beinamen „Souvenir de Florence“, 1892 komponiert von Pjotr Iljitsch Tschaikowsky in Erinnerung an einen Aufenthalt in der toskanischen Stadt 1890. Ein Werk, dessen für den russischen Komponisten ungewöhnliche Heiterkeit und positive Gedanken die Musiker wunderschön zum Strahlen bringen. Virtuos und variabel gestalten sie das fantasievolle und facettenreiche Klangmosaik. Es setzt sich zusammen aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Emotionen, Melodien, Rhythmen, innovativen und raffinierten Spieleffekten. Indes dominieren russische Stilelemente über italienisch inspirierte Motive und Figuren.
Dramatisch aufgewühlt, ja fast stürmisch beginnt der erste Satz Allegro con spirito mit kontrapunktischer Ausarbeitung der Themen, wobei die sechs Instrumente selbstständig hervortreten. Voller Charme bringen die Streicher das gesangliche, idyllisch-sentimentale Seitenthema zur Geltung, das wie eine italienische Serenade klingt. Melodisch reizvoll gestalten sie den zweiten Satz Adagio cantabile – Moderato – Tempo I mit einem „Liebesduett“ zwischen der ersten Violine und dem ersten Violoncello, das die übrigen Musiker zupfend begleiten, was an Mandolinenklänge erinnert.
Im dritten Satz Allegretto moderato arbeiten die Streicher feinsinnig ein Intermezzo über russische Volksmelodien heraus, das immer leidenschaftlichere Züge annimmt. Im Kontrast dazu steht eine Polka mit reizvollen chromatischen Licht-Klang-Effekten, detailreich vom Sextett gestaltet. Das Finale Allegro vivace beginnt als klangfarbenreich ausgeschmücktes Stück über das Thema einer Volksweise und steigert sich zu einer kunstvoll gestalteten Fuge. Bei ihrem Vortrag agieren die Musiker mit so viel Verve, dass sie ordentlich ins Schwitzen kommen.
Wie eine Reise in die an unterschiedlichen Stimmungen und Klangnuancen reiche Welt der slawischen Musik wirkt das Streichsextett A-Dur Opus 48 von Antonín Dvorák. In dem 1878 komponierten Werk demonstrieren die Musiker ihr eindrucksvoll großes Vermögen, eine Fülle verschiedenartiger melodischer Ideen sowie komplex verarbeiteter Elemente slawischer Volksweisen und Tänze zur Entfaltung zu bringen. Diese muten an wie Szenen eines Schauspiels, da die Musiker sie detailliert und abwechslungsreich mit teils innig-zärtlicher, teils temperamentvoll-impulsiver Spielweise und bezaubernden Kantilenen gestalten.
Den ersten Satz Allegro moderato dominiert ein etwas melancholisches liedhaftes Thema mit farbig kontrastierenden Klangflächen. Hinzu kommt ein lebhafteres punktiertes Motiv, und auf dem Höhepunkt einer großen Steigerung erscheint ein neuer schwärmerischer Gedanke. Der zweite Satz Dumka. Poco allegretto ist ein als Dumka bezeichneter, schwermütiger ukrainischer Tanz mit mehrfachen raschen Wechseln gegensätzlicher Teile.
In Dvoráks Komposition changiert jedoch ein sanfter, trauriger erster Teil mit einem ganz schwermütigen, langsameren zweiten, der später in ein etwas leichteres Intermezzo übergeht. In starkem Kontrast dazu steht der dritte Satz Furiant. Presto, ein vom Ensemble mit elegantem Spiel dargebotenes Scherzo voller Schwung, Tempo und lyrischem Charakter. Im Finale: Tema con variazioni. Allegretto grazioso, quasi Andantino arbeiten die Musiker nuancenreich ein langsames, ernstes Thema und dessen fünf ganz verschiedenartige Variationen mit raschen Moll-Dur-Wechseln heraus.
Dabei verwandeln sie in immer schneller werdenden Tempi das Thema in ein immer fröhlicheres, tänzerisches Scherzando. Mit tosendem Beifall danken die Zuhörer den Musikern für das wunderbare Konzert. Im Namen des Ensembles dankt Gustav Frielinghaus voller Freude für deren Kommen, und das Sextett setzt noch eine kleine, feine Zugabe als i-Tüpfelchen drauf: den charmanten, galanten Walzer aus Tschaikowskys Serenade für Streicher C-Dur Opus 48.