Jetzt waren auch die Katholiken präsent

Vor 75 Jahren: Erinnerungen an die Nachkriegszeit in Murrhardt (12) Die Stadt war protestantisch geprägt. Mit Ankunft der Flüchtlinge änderte sich die Lage. Unterschiede der Konfessionen sorgten für Irritationen, später entwickelte sich eine gute Ökumene.

Blick vom Friedhof auf die Murrhardter Stadtkirche in den 1950er-Jahren. Ganz zu Anfang fanden evangelische Gottesdienste mit amerikanischen Geistlichen statt. Foto: MZ-Archiv/Digitalisierung: A. Kozlik

Blick vom Friedhof auf die Murrhardter Stadtkirche in den 1950er-Jahren. Ganz zu Anfang fanden evangelische Gottesdienste mit amerikanischen Geistlichen statt. Foto: MZ-Archiv/Digitalisierung: A. Kozlik

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. In der schwierigen Situation nach Kriegsende mit einer Vielzahl von Problemen suchten auch die Einwohner und Neubürger der Walterichstadt Halt und Ermutigung im christlichen Glauben. Eine große Herausforderung stellte die starke Zunahme der Katholiken in der bislang fast komplett evangelischen Region dar. Zunächst gab es aufgrund der konfessionell-kulturellen Unterschiede anfangs Konflikte zwischen Protestanten und Katholiken. Beispiele dafür waren die verschiedenen Verhaltensformen an zwei Feiertagen: Während Katholiken den Karfreitag zum Frühjahrsputz und Wäschewaschen nutzten, begingen die Protestanten den Tag der Kreuzigung Jesu Christi streng als stillen Tag des Gebets, Gottesdienstes und Friedhofsbesuchs. Umgekehrt nutzten die Protestanten Fronleichnam für allerlei Garten- und Feldarbeiten, während die Katholiken im besten Sonntagsstaat Festgottesdienste und prächtige Prozessionen feierten. Doch schon nach wenigen Jahren überwogen Toleranz und pragmatische Unterstützung, woraus sich die bis heute gepflegte, vorbildliche ökumenische Zusammenarbeit in der Walterichstadt entwickelte.

Laut der Chronik der katholischen Kirchengemeinde wohnten vor dem Zweiten Weltkrieg etwa rund 100 Katholiken in Murrhardt, die der Pfarrer von Oppenweiler seelsorgerlich betreute. Anfangs versammelten sie sich in einem Fabrikgebäude, um Gottesdienste zu feiern, 1937 richtete man dafür eine Kapelle mit Betsaal im Musiksaal des Wohnhauses der Familie Neher in der Grabenstraße ein. Während des Zweiten Weltkriegs kamen Evakuierte aus größeren Städten nach Murrhardt, darunter zahlreiche Katholiken, deshalb fanden bereits seit 1942/43 katholische Gottesdienste in der Walterichskirche statt.

Eugen Gürr berichtet in der „Murrhardter Chronik 1945/46“, dass sämtliche Gottesdienste gut besucht waren. Kurz nach der Besetzung durch US-Truppen fanden in der Stadtkirche sogar eine Zeit lang evangelische Gottesdienste mit amerikanischen Geistlichen statt. Von Juni 1945 an erteilte der damalige Stadtvikar evangelischen Schülern Religionsunterricht in einem Schullokal, sofern eins frei war, oder in der Sakristei der Stadtkirche.

Am 1. Advent begann wieder das Kirchenjahr: „Man sieht viel mehr Adventskränze. Um 11.30 Uhr ist eine würdige, feierliche Wiederaufnahme in die evangelische Kirchengemeinde. Herr Stadtpfarrer Robert Findeisen hat dabei eine besonders herzliche, wohltuende Art. Es sind 13 Personen, dabei sind Zeugen aus dem Kirchengemeinderat, Kirchenpfleger Albert Elser und Karl Lamprecht“, schreibt Eugen Gürr. Zeitzeuge Rolf Schweizer erzählt dazu, dass es sich dabei wohl um Mitglieder der „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ handelte. Diese wollte nach Beginn der NS-Diktatur die evangelische Kirche entsprechend der NS-Ideologie umgestalten und vertrat rassistische, antisemitische und am sogenannten Führerprinzip orientierte Inhalte. Zwar ging deren Einfluss durch die sich rasch bildende innerkirchliche Opposition „Bekennende Kirche“ bereits vom Sommer 1933 an wieder zurück. Doch blieben die „Deutschen Christen“ bis zum Ende des NS-Regimes 1945 eine feste Größe in der evangelischen Kirche.

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Erstellt:
26. September 2020, 06:00 Uhr

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