Königin im Klangrausch

Neue Murrhardter Stadtkirchenorgel präsentiert sich beim Festgottesdienst majestätisch und mit ihrem ganzen Potenzial

Monumental und majestätisch, viel klangfarben- und obertonreicher sowie mit erheblich mehr Tiefen im Vergleich zu ihrer Vorgängerin: So hört sich die neue Mühleisen-Orgel an, deren Einweihung die evangelische Kirchengemeinde der Walterichstadt am Ostersonntag mit einem besonderen musikalischen Festgottesdienst in der voll besetzten Stadtkirche feierte.

Jede Menge zu entdecken und zu erklären: Kantor Gottfried Mayer (links) mit seinen jungen Gästen bei der Orgelführung im Anschluss an die Einweihungsfeier.

Jede Menge zu entdecken und zu erklären: Kantor Gottfried Mayer (links) mit seinen jungen Gästen bei der Orgelführung im Anschluss an die Einweihungsfeier.

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. Im Zentrum stand die Predigt von Pfarrer Hans Joachim Stein über das Osterwunder der Auferstehung Jesu Christi, erstmals gestaltet als Dialog zwischen Wort und Musik mit der Orgel, die Kantor Gottfried Mayer spielte. „Ostern ist Zukunftsmusik“, verdeutlichte Stein: Darin und auf diesem Instrument erklinge der Sieg über den Tod, ein Stück Ewigkeit in der Gegenwart, die Kraft der Verwandlung des Alten in Neues. So entstehe „eine Klangstraße“ vom jubelnden Siegeslied der gesamten Schöpfung über den Vogel, der schon singt, wenn die Nacht noch dunkel ist, bis zur anbetungsvollen Stille.

Dazu interpretierte der Organist den dritten, vierteiligen Satz „Der verborgene Gott“ aus Olivier Messiaens (1908 bis 1992) Buch vom heiligen Sakrament. Ausgehend von Anbetungshymnen des mittelalterlichen Kirchenlehrers Thomas von Aquin, die auf gregorianischen Gesängen basieren, entwickelte Messiaen eine wunderbare sinfonische Farbenmusik mit Vogelstimmen. Mayer brachte eine Vielzahl von strahlenden, vielfarbigen Ton- und Harmoniekomplexen zur Entfaltung. Sie wirkten wie gotische bunte Glasfenster und verschmolzen zu einem ätherischen, überirdisch schwebenden Klang- und Farbrausch, der Gott und die Ewigkeit versinnbildlichte.

Grandiose Hörerlebnisse waren auch zwei Werke für Chor und Orgel, in vollendeter Harmonie vorgetragen von der Sängerschar der Kantorei, des Jugend- und Kammerchors der Kirchenmusik sowie Organistin Julia Kirschbaum. In prunkvoller barocker Schönheit brachten sie das jubilierende „Hoch tut euch auf...“ aus dem Messias von Georg Friedrich Händel (1685 bis 1759) zum Ausdruck. Stimmungsvoll boten sie das melodisch eingängige „Preiset Gott“ von Christopher Tambling (1964 bis 2015) in moderner Tonsprache dar, das in der Tradition englischer Chormusik steht. Mit Johann Sebastian Bachs (1685 bis 1750) klangprächtigem Präludium in C-Dur und Louis Viernes (1870 bis 1937) triumphierendem Final aus der ersten Sinfonie umrahmte der Kantor die Liturgie, die Pfarrer Achim Bellmann und die Kirchengemeinderatsvorsitzende Inge Brehmer gestalteten.

Zahlreiche Besucher stießen beim anschließenden Stehempfang an auf die neue Orgel und alle, die auf ihr spielen. Nach fünf Jahren sei das Orgelneubauprojekt „glücklich über die Bühne gebracht“ worden: Zwar „konnte man einiges von der alten Orgel erhalten“, doch „das dunkle Ungetüm musste aufgegeben werden“, so das Fazit von Kirchenmusikdirektor Burkhart Goethe. In der langen Konzeptionsphase habe Gottfried Mayer „sehr intensiv mit dem Orgelbauerteam geplant“. Mit Erfolg: Die neue Orgel „ist ein sehr schönes Instrument geworden, das alle Wünsche der Organisten erfüllen kann, aber auch die Begleitung von Chören in unglaublich differenzierter Weise ermöglicht“, fand der Orgelsachverständige der Landeskirche.

„Diese Klangqualität und Möglichkeiten wären ohne Kantor Mayer nicht möglich gewesen. Die neue Königin der Instrumente überzeugt auch optisch, da sie sich in eleganter Bescheidenheit zurücknimmt und Licht, Fenstermaßwerk und Gewölbe des Kirchenraums wirken lässt“, hob Dekan Wilfried Braun hervor.

„Diese Klangqualität und Möglichkeiten wären ohne Kantor Mayer nicht möglich gewesen“

„Der Kirchenbezirk hilft mit einer symbolischen Gabe, dieses Instrument und seinen wunderbaren Klang zu erhalten“, betonte er. „Kein Instrument vermag so viele Töne zu einem Klangbild zu vereinen wie die Orgel als Mittlerin zwischen Himmel und Erde, deren wunderbarer Klang das Herz jedes musikalischen Menschen höherschlagen lässt“, sagte Bürgermeister Armin Mößner.

In dreifacher Weise, als Zuhörerin, Chorsängerin und Organistin, „freue ich mich, dass die neue Orgel endlich in voller Pracht zu hören ist“: Deren klangliche Vollkommenheit und Fülle habe sie gehört und gespürt, erklärte Gisela Jakubek als Vertreterin der in der Kirchenmusik Aktiven. „Es wird eine neue Herausforderung und spannend, die vielen Klangmöglichkeiten zu erkunden.“ Die Redner dankten allen Beteiligten, wie Kantor, Orgelbauer, Mitarbeitern sowie Förderern, die den Orgelneubau ermöglichten.

„Die Orgel ist eine unheimlich komplizierte Maschine und stellt viele unterschiedliche Klangfarben in verschiedenen Tonhöhen zur Verfügung“, die miteinander kombinierbar sind, wobei der Tonumfang fast bis an die Grenzen des menschlichen Hörvermögens reiche. So brachte Kantor Gottfried Mayer, spürbar glücklich über das gelungene Projekt, bei der Orgelführung zur Einweihung mit etlichen Interessierten auf den Punkt, wie viel Arbeit in diesem technisch-musikalischen Wunderwerk steckt. „Die neue Orgel hat viel mehr Klangfarben und Tiefen als die alte, sie kann sehr kraftvoll, aber auch ganz leise spielen, und der Klang kann sich jetzt viel besser im Kirchenraum entfalten“, hob er hervor. Dies sei dem Aufbau mit mehreren Werken und Zwischenräumen zu verdanken, wofür man den Platz im Westchor optimal genutzt habe. So sei das neue Instrument vier Meter weiter nach vorne gerückt.

Kurz erklärte Mayer Aufbau und Technik, stellte die Typen und Varianten der 3741 Pfeifen vor und erläuterte die Klangfarbensystematik mit 52 verschiedenen Registern, die sieben Familien bilden. Sie umfassen ein außerordentlich breites Spektrum unterschiedlichster Klangnuancen und erinnern teils an Streich-, Holz- oder Blechblasinstrumente. Eine Besonderheit sind drei neue, frei verfügbare Soloregister, wie die zuletzt eingebaute Klarinette mit feiner Akkordeonnote. Über einen eigenen Motor, dessen Drehzahl veränderbar ist, werde die Windzufuhr reguliert: Je langsamer er läuft, desto leiser erklingen die Töne.

Eine „tolle Möglichkeit“ sei auch die sogenannte Walze, die per Fuß betätigt wird: Damit lasse sich ein Crescendo, also ansteigende Lautstärke, programmieren. Abschließend bekamen einige Besucher, darunter auch Kinder, mit Kantor Mayer und Orgelbaumeister Karl-Martin Haap spannende Einblicke ins Innenleben der Königin der Instrumente.

Premiere: Kantorei, Jugend- und Kammerchor der Kirchenmusik bei der Einweihung der neuen Königin der Instrumente. Fotos: E. Klaper

Premiere: Kantorei, Jugend- und Kammerchor der Kirchenmusik bei der Einweihung der neuen Königin der Instrumente. Fotos: E. Klaper

Info
Festschrift zur Orgel

Viele weitere Detailinfos bietet die Festschrift „Stadtkirche Murrhardt: Die Mühleisen-Orgel“. Sie ist für fünf Euro noch das ganze Jahr über erhältlich bei den Gottesdiensten, Konzerten und im Gemeindebüro der evangelischen Kirchengemeinde, in der Buchhandlung BücherABC sowie im Naturparkzentrum.

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Erstellt:
23. April 2019, 06:00 Uhr

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