Was ist dran an Markus Söders Warnung?
Merz scheitert bei Kanzlerwahl: Sind das die „Vorboten von Weimar“?
Es war eine schwere Last. Die Weimarer Republik wurde zunehmend in die Zange genommen von Rechts- und Linksextremisten, um dann zerrieben zu werden. Wie stabil ist die Demokratie heute?

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Der SPD-Politiker Philipp Scheidemann ruft am 9. November 1918 vom Reichstagsgebäude die Republik aus.
Von Markus Brauer/dpa
Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst der Weimarer Republik. So könnte man in Anlehnung an den Eingangssatz des „Kommunistischen Manifests“ von Karl Marx und Friedrich Engels aus dem Jahr 1848 Markus Söders Warnung deuten.
Die „höhnischen Kommentare der AfD“ zeigten, die Gefahr eines Scheiterns der neuen Regierung „kannein Vorbote von Weimar sein, denn die Folgen sind unabsehbar“, kommentiert der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident das Scheitern von CDU-Chef Friedrich Merz im ersten Wahlgang der Kanzlerwahl im Deutschen Bundestag.
Söder warnt vor den vor unkalkulierbaren Folgen für Deutschland und die Demokratie. „Der heutige Vormittag zeigt, dass wir in einer ernsten Lage sind. Eine ernste Lage für unser Land, aber auch für die Demokratie. Wir brauchen Stabilität wie nie und konnten es heute nicht erzielen.“
Furcht vor den „Weimarer Verhältnissen“
Lange Zeit schien sie fast vergessen: die Furcht vor den „Weimarer Verhältnissen“. Die Radikalisierung der politischen Kräfte am rechten und linken Rand führte zu Beginn der 1930er Jahre zur Destabilisierung der ersten Demokratie auf deutschem Boden und schließlich in die NS-Diktatur.
Die Weimarer Republik ist vor allem an den extremen politischen Gegensätzen zerbrochen. Seit einigen Jahren erstarkt vor allem der Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Deutschland wieder. Gibt es Parallelen zwischen der Weimarer und Berliner Republik, wie Söder meint?
Kriegstrauma und „Dolchstoß-Legende“
Ein Rückblick: 1918 und in den folgenden Jahren befeuern das traumatische Kriegsende und die von Nationalisten in die Welt gesetzte „Dolchstoß-Legende“ über die angebliche Schuld der zivilen Führung an der deutschen Niederlage eine politische Radikalisierung in der Weimarer Republik.
Linke Gruppen wollen ein Rätesystem nach sowjetischem Vorbild errichten. Der Versailler Vertrag mit seinen aus Sicht vieler Menschen harten Bedingungen wird zu einer schweren Hypothek für die junge Republik. Vor allem Rechtsextremisten haben zahlreiche politische Morde zu verantworten. Am Kampf gegen die Republik aber beteiligen sich Rechts- wie Linksintellektuelle.
Ende der Republik: Hitlers „Machtergreifung“
Illegale paramilitärische Formationen bilden sich, es kommt zu Putschversuchen wie dem Hitlerputsch im November 1923. Dazu kommen Hyperinflation, später Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit. Vor allem in der Endphase der Weimarer Republik liefern sich Nationalsozialisten und Kommunisten blutige Straßenkämpfe.
Schließlich kommt es im Januar 1933 zur Machtübertragung von Reichspräsident Paul von Hindenburg an die Nationalsozialisten unter ihrem „Führer“ Adolf Hitler. Die Nazis errichten in nur kurzer Zeit ein totalitäres Regime, das in der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und im Holocaust mündet.
„Revolution wurde in ihrer politischen Legitimität nie richtig anerkannt“
Doch nicht die Stärke des Extremismus sei das Kernproblem der Weimarer Republik gewesen, schreibt der Politikwissenschaftler Hans-Helmuth Knütter. „Das Problem ist, dass die Revolution von 1918 von einem Großteil des Bürgertums nicht anerkannt wurde“, ergänzt der Historiker Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München. „Die Revolution wurde in ihrer politischen Legitimität nie richtig anerkannt.“
Auf der linken Seite sei die Radikalisierung schon vor dem November 1918 angelegt gewesen, erklärt Wirsching. „Die Sozialdemokratie, die Arbeiterbewegung spaltet sich. Es gibt eine radikale Linke, das ist der Spartakusbund, die spätere KPD. Es gibt aber auch einen Riss durch die Sozialdemokratie, seit der Zustimmung der Mehrheit der Sozialdemokratie zu den Kriegskrediten im August 1914.“
Revolution und Radikalisierung
Über die Unabhängige Sozialdemokratische Partei habe es eine Tendenz nach links innerhalb der Arbeiterbewegung gegeben, die dann 1918 noch einmal deutlich verstärkt worden sei – durch eine allgemeine Unzufriedenheit und die Vorstellung, der Kaiser sei ein Friedenshindernis.
„Das führt dann zur Revolution 1918, mit einer noch einmal gesteigerten Radikalisierung.“ Mit gravierenden Folgen: Insbesondere habe es am Ende der Weimarer Republik keine Chance für eine Einheitsfront gegen die Nationalsozialisten gegeben.
„Traumatische Erfahrungen“
Diese Spaltung hat bis heute Folgen, sind Historiker überzeugt. Peter Hoeres, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Würzburg, spricht von „traumatischen Erfahrungen“, die bis heute wirkten. „Man denke nur an den Spruch der Linken: „Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten. Und dann später in der DDR die Zwangsvereinigung mit der KPD. Das ist eine Urerfahrung in der SPD. Das ist im kollektiven Gedächtnis schon noch präsent.“
In vielen europäischen Ländern sind Populisten auf dem Vormarsch. Auch in Deutschland führen Umwälzungen im Zuge von Globalisierung und Digitalisierung zu Zukunftsängsten. Es bildet sich zunehmend ein Vielparteiensystem heraus, das Regierungsbildungen und Regieren erschwert.
„Das verändert die politische Situation insgesamt und macht sie instabiler und anfälliger“,erläutert Wirsching. Er sei relativ sicher, dass Deutschland eine stärkere Rechts-Links-Polarisierung erleben werde.
„Deutliche Parallelen“ zum Antisemitismus der Weimarer Republik
Der Extremismusforscher Steffen Kailitz vom Hannah-Arendt-Institut an der TU Dresden sagt, eine der mittlerweile dominanten Strömung in der AfD propagierte antimuslimische Haltung weise „deutliche Parallelen“ auf zum Antisemitismus der Weimarer Republik.
Historikern sehen die Entwicklungen vor allem am rechten Rand mit Sorge. Die Rechte leide am „Identitätswechsel“ der Deutschen und versuche, diesen rückgängig zu machen, resümiert der Historiker Andreas Rödder von der Universität Mainz. Das Problem: die gesellschaftliche und politische Mitte setze dem zu wenig dagegen.
Es gebe eine „Wiederanknüpfung“ an Traditionen von Weimar, ergänzt Wirsching. „Das ist ideologisch bei Teilen der AfD oder auch rechts davon der Fall. Es gibt die Wiederauflage der alten Vorstellung eines biologischen Volkskörpers, der in sich widerspruchsfrei ist, der keine Pluralität kennt, und auch keine Konflikte. Der aber in der verfassungsgemäßen demokratischen Willensbildung angeblich nicht wirklich repräsentiert sei.“ Deswegen würden alle anderen etablierten politischen Kräfte gebrandmarkt. „Wir müssen wachsam sein, was unsere Gegenwart betrifft.“
Gefahr für die Demokratie in Deutschland
Schwierig werde es dann, wenn sich größere Gruppen komplett abgehängt fühlten, unterstreicht Hoeres – sei es ökonomisch, kulturell oder politisch –, und sich nicht repräsentiert fühlten. Jede Proteststimmung brauche ein Ventil. „Das Rezept ist eher, das Gespräch zu suchen. Ein Ausgrenzen der AfD ist undemokratisch und verstärkt dort die Fundamentalopposition.“
Dennoch: Aus Sicht von Historikern ist die Gefahr für die Demokratie in Deutschland heute viel geringer als zur Weimarer Zeit. „Der Hauptgrund sind die guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen“, meint Kailitz. „Allerdings stimmt es sehr nachdenklich, dass gerade in einer guten wirtschaftlichen Zeit die AfD sich radikalisiert und dabei Wählerstimmen gewinnt. Die Frage ist: Was passiert eigentlich, wenn es einen Wirtschaftscrash gibt?“