München will von Stuttgart lernen
Das 178. Cannstatter Volksfest ist zu Ende. 4,2 Millionen Besucher kamen, weniger als im Vorjahr. Dafür hatte die Polizei mehr Arbeit.

© Lichtgut/Mxa Kovalenko
Hoch hinaus ging es in den zwei Wochen auf dem Wasen.
Von Frank Rothfuß
Stuttgart - Es ist ein großes Abschiednehmen. Zuvorderst natürlich vom 178. Cannstatter Volksfest, das am Sonntag zu Ende gegangen ist. Aber auch von etlichen Hauptdarstellern, die lange dieses Fest geprägt haben.
Dinkelacker-Wirt Werner Klauss und sein Bruder Dieter übergeben ihr Zelt an Familie Weller. Jörg Schiebe, der Leiter des Reviers Bad Cannstatt und der Wasenwache, ist zwar noch fürs nächste Frühlingsfest verantwortlich, aber 2025 war sein letztes Volksfest. Er geht in den Ruhestand. Ebenso wie Andreas Kroll, Chef der Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart. Er ist offiziell schon in Rente, aber weil man keinen Nachfolger fand, hat er weitergemacht. Nun ist aber endgültig Schluss. Nach 20 Jahren sagt er Servus.
Er kann sich beruhigt verabschieden. Das Fest ist in einem guten Zustand. Trotz durchwachsenem Wetter kamen 4,2 Millionen Besucher zum Wasenrummel. „Ein herausragendes Ergebnis“, findet Kroll. Denn es sind zwar 400.000 Menschen weniger als im Vorjahr gewesen. Aber da war der 3. Oktober an einem Donnerstag, was allein schon die Differenz erklärt. In diesem Jahr war der Tag der Deutschen Einheit an einem Freitag, und der Andrang so groß, dass die Verantwortlichen den Platz sperrten, weil 75.000 Menschen da waren. Das ist die Grenze, dann wird zugemacht. Das löste Kritik aus von Besuchern, die trotz Reservierung nicht ins Zelt kamen und von Schaustellern, die fanden, der Platz sei nicht übermäßig voll gewesen, und ihnen sei ein richtig gutes Geschäft zunichte gemacht worden. Insgesamt habe man, so sagen Wirtesprecher Werner Klauss und Schaustellervertreter Mark Roschmann, auf dem Niveau des Vorjahres gelegen. Und sei damit „sehr zufrieden“, sagte Klauss.
Am Samstag war der Andrang wieder groß, aber man habe die Besucher so gesteuert, dass dieses Mal das Gelände nicht habe gesperrt werden müssen. Man lerne dazu und bessere nach, soll das heißen. Und das beste Argument für ihr richtiges Handeln, so finden sie, liefern ausgerechnet die Münchner. Nachdem es beim Oktoberfest wegen zu vieler Menschen auf der Theresienwiese Chaos gab und Panik, werde man sich nun am Stuttgarter Sicherheitskonzept orientieren. Von Stuttgart lernen, heißt Sicherheit lernen. So empfinden sie das zumindest auf dem Wasen.
In puncto Sicherheit sind insbesondere die Männer und Frauen von Jörg Schiebe gefordert. Dieses Jahr hatten sie mehr zu tun als im Vorjahr. Gut tausend Einsätze, darunter ungefähr 650 Straftaten, verzeichneten sie. Damit ist man etwas unter dem Niveau der Vorjahre, nachdem 2024 ein ungewöhnlich ruhiges Jahr gewesen ist mit rund 500 Straftaten. „Alle, die auf dem Wasen arbeiten, haben Rechte und Pflichten“, sagt er. Das gelte aber auch für die Besucher. Auffällig sei dieses Jahr gewesen, dass manchen offenbar die gute Kinderstube fehlt. Zumindest, wenn sie viel getrunken haben.
„Sie haben mir gar nichts zu sagen!“, hätten seine Leute oft gehört. Gefolgt von nicht zitierfähigen Beleidigungen. Übrigens eine Straftat. Besonders oft geäußert, wenn die Bars in den Zelten sich leeren. Aber insgesamt sei es „ein schönes Volksfest“, sagt Schiebe, „wir sind handlungsfähig. Hier kann man sicher feiern.“
Dazu trägt auch die Wasenboje bei. Noch. Die Anlaufstelle vornehmlich für Frauen und Mädchen verzeichnete 250 Fälle, rund ein Fünftel davon seien kritisch, sagt Projektleiter Marc Reinelt. Sexuelle Gewalt, Trunkenheit, K.-o.-Tropfen, mehr als in den Vorjahren. Das heiße nicht, dass es mehr Fälle gebe, sagt er, „wir hellen ein Dunkelfeld auf“. Dadurch, dass es eine Anlaufstelle gibt, trauen sich Betroffene, sich zu melden. Noch. Denn womöglich steht auch der Wasenboje ein Abschied bevor. Die Stadt muss sparen, und ob sie sich den hohen fünfstelligen Betrag fürs nächste Jahr noch leistet, ist ungewiss.