Artenschutz in Baden-Württemberg
Neue Bedrohung für den schnellsten Vogel der Welt
Der Wanderfalke war im Südwesten beinahe ausgestorben, erholte sich dann aber gut – ein riesiger Erfolg des Artenschutzes. Doch jetzt mehren sich neue negative Zeichen.
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Die Zahl der Wanderfalken im Südwesten ist wieder im Sinkflug.
Von Thomas Faltin
Es ist Menschen wie Frank Rau zu verdanken, dass der Wanderfalke, der im Sturzflug 300 Kilometer pro Stunde erreichen kann und damit als schnellster Vogel der Welt gilt, heute noch in Baden-Württemberg beheimatet ist. Vor genau 60 Jahren gründete sich in Bad Urach die Arbeitsgemeinschaft Wanderfalke (AGW), deren Vorsitzender Frank Rau heute ist. Die Ehrenamtlichen hatten das Ziel, die Art zu retten und schafften dies auch: Am Tiefpunkt im Jahr 1972 lebten gerade noch 26 Brutpaare im Südwesten, Anfang des Jahrtausends waren es wieder fast 300.
Doch wenn diese Vogelschützer – insgesamt sind 150 Personen in der AG aktiv – am 8. November im Stuttgarter Museum am Löwentor zu ihrer Jahrestagung zusammenkommen und ihr Jubiläum feiern, werden sich Freude und Sorge mischen.
Ein Pestizid war schuld am Niedergang des Wanderfalken
Die Freude ist immer noch groß, dass der Wanderfalke vor dem Aussterben bewahrt werden konnte. In der Anfangszeit der Arbeitsgemeinschaft, die zum Nabu Baden-Württemberg gehört, wurden sogar Nester rund um die Uhr bewacht, um der Brut eine höhere Überlebenschance zu ermöglichen.
Der Durchbruch war um das Jahr 1970 aber die Erkenntnis des britischen Naturschützers Derek Ratcliffe, dass sich das Insektizid DDT in den Vögeln anreicherte – deren Eier wurden deswegen so dünn, dass sie beim Brüten zerbrachen. Das war der Hauptgrund für den Niedergang der Art. Die AGW-Mitglieder halfen damals fleißig beim Sammeln von Eierschalen zur Auswertung. In Deutschland wurde DDT im Jahr 1972 verboten.
Vorzeigeprojekt des Artenschutzes in Baden-Württemberg
Mitten im Aufwind kam Frank Rau im Jahr 1989 zur Arbeitsgemeinschaft, seit 36 Jahren beobachtet und betreut der 59-jährige Hydrologe aus Freiburg Wanderfalken, Uhus und Kolkraben. Er ist stolz auf das Erreichte, die Betreuung der Wanderfalken war und ist ein Vorzeigeprojekt des Artenschutzes. Damals hätten Ehrenamtliche schon Citizen Science, also bürgerschaftlich organisierte Forschung betrieben, als es den Begriff noch gar nicht gegeben habe. Bis heute läuft das Monitoring des Wanderfalken weiter: „Solche lückenlose Aufzeichnungen über 60 Jahre hinweg gibt es weltweit sonst nicht.“
Aber seit drei, vier Jahren wachsen die Sorgen: Die Zahl der Brutpaare ist nach einer langen Phase der Stabilität im Sinkflug, im letzten und diesem Jahr konnten nur noch rund 200 gefunden werden. Davon haben in diesem Jahr lediglich 128 Paare gebrütet. Und lediglich 215 Jungvögel könnten nachgewiesen werden – im Schnitt der letzten 20 Jahre waren es 330. Dass der Uhu wieder verstärkt präsent ist und manchmal Wanderfalken reißt, hat einen gewissen Einfluss. Dass die Zahl der vorhandenen Brutplätze begrenzt ist – Wanderfalken bauen keine eigenen Nester –, hemmt die Reproduktion ebenfalls. Manchmal gibt es auch Störungen durch Kletterer oder Windräder.
Aber der Hauptgrund für den erneuten Rückgang ist die Vogelgrippe. Da sind sich Frank Rau und seine Mitstreiter mittlerweile sicher. Im Frühjahr 2023 konnten auch im Südwesten erstmals tote Wanderfalken entdeckt werden, die mit dem Virus H5N1 infiziert waren. Die neue Bedrohung sei stark und weltweit hoch, sagt Frank Rau. Erstens sei das Virus von den ersten betroffenen Arten, die fast ausschließlich Wasservögel waren, auf andere Vögel und teils sogar auf Säugetiere übergesprungen. Und zweitens werde das Virus mittlerweile das ganze Jahr über übertragen. Der Wanderfalke, der sich zu fast 100 Prozent von anderen Vögeln ernährt, sei stark betroffen.
Eine unmittelbare Folge auch in Baden-Württemberg sei, dass viele Brutpaare, die eigentlich über viele Jahre zusammenblieben, zerbrächen, weil ein Tier stirbt. Manchmal würden jugendliche Wandervögel den Platz einnehmen und einen Nestplatz besetzen; der Bruterfolg stelle sich dann aber häufig nicht ein. „Gegen die Vogelgrippe können wir nicht viel machen“, sagt Frank Rau: „Und bei einer Art mit so wenigen Individuen wie beim Wanderfalken können die Folgen massiv sein.“
Umso wichtiger bleibt das Monitoring, um die Veränderungen zumindest zu erkennen. Überall in Baden-Württemberg werden noch Helfer gesucht: „Das ist keine Raketenwissenschaft, man muss zumindest am Anfang nicht viel Wissen über Vögel haben“, so Rau. Jeder Novize könne sich auf die Beobachtung eines Nestes beschränken. Einzige Aufgabe: im Frühjahr sollte man dort fünf bis 15 Mal vorbeischauen. Die Jahrestagung ist auch für alle Interessierten offen. Einer der Gründer der AGW, der fast 92-jährige Claus König, wird ein Grußwort sprechen.
