Friedrich Merz

„Notlage“ oder nicht? Eine Einordnung

Verwirrspiel um Grenzschließungen und das Wort „nationale Notlage“, das CSU-Innenminister Dobrindt ins Gespräch gebracht hat. Beruft sich die Bundesregierung in der Migrationspolitik nun darauf oder ist die Sachlage anders?

Deutschland hat außerordentliche Grenzkontrollen zu allen Nachbarstaaten notifiziert. Gilt das als Notlage oder „nur“ als Ausnahmezustand?

© Marius Bulling/onw-images/dpa

Deutschland hat außerordentliche Grenzkontrollen zu allen Nachbarstaaten notifiziert. Gilt das als Notlage oder „nur“ als Ausnahmezustand?

Von Michael Maier

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat bei seinem Besuch in Brüssel bekräftigt, dass die Bundesregierung zur Begrenzung der irregulären Migration keine Notlage ausgerufen hat. Es habe da „einige Irritationen gegeben“, aber eine „Notlage“ sei nicht ausgerufen worden, sagte Merz am Freitag. An den deutschen Grenzen werde künftig „intensiver“ kontrolliert und „wir werden auch weiter zurückweisen, aber das ist alles im Einklang mit europäischem Recht“.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte am Mittwoch verschärfte Grenzkontrollen angekündigt, um die Flüchtlingszahlen zu senken. Dazu sollen mehr Bundespolizisten an der Grenze stationiert und fortan auch Asylbewerber zurückgewiesen werden. Egal, ob das unkooperativen Nachbarn wie Österreich oder der Schweiz nun passt, oder nicht. Österreich hat seinerseits übrigens die Grenze zu Ungarn teilweise wegen der Maul- und Klauenseuche geschlossen.

Nationale Souveränität vor EU-Recht

Dobrindt nannte als rechtliche Grundlage für die angekündigten Verschärfungen der Grenzregeln unter anderem Artikel 72 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV). Dieser sieht vor, dass für die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ von EU-Recht abgewichen werden kann. Regierungssprecher Stefan Kornelius wies schon am Donnerstag zurück, dass ein „Notstand“ ausgerufen worden sei. Tatsächlich kommt dieses Wort in Artikel 72 nicht vor.

„Dieser Titel berührt nicht die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“, heißt es in dem Artikel recht allgemein und ausgesprochen knapp formuliert.

Gemeint ist damit laut juristischen Kommentatoren, dass die nationale Souveränität bei Kernthemen wie Sicherheit und Migration im Zweifelsfall eben immer über dem Europarecht steht – auch, wenn das von „Grenzöffnungskanzlerin“ Angela Merkel (CDU) und später von der Ampel sicher ganz anders gelebt wurde.

Grenzkontrollen wie bei Fußball-EM

„Wir kontrollieren jetzt an den Grenzen intensiver, wir kontrollieren in etwa so wie während der Fußball-Europameisterschaft im letzten Jahr“, führte Merz in Brüssel aus. Bei den Zurückweisungen gebe es aber „keinen deutschen Alleingang“, versicherte er. Die Nachbarstaaten würden „vollumfänglich informiert“.

Außerordentliche Grenzkontrollen nach dem Schengen-Kodex sind von Deutschland bereits im September 2024 notifiziert worden, und zwar bis auf Weiteres für alle Nachbarstaaten.

Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz hatte damit auf die angespannte Sicherheitslage reagiert, obwohl dauerhafte Grenzkontrollen im Schengen-Raum nicht zugelassen sind. In medialen und juristischen Kommentaren war dabei durchaus auch von einer „Notlage“ die Rede. Ob man das Wort nun benutzen will oder nicht, ist somit reine Geschmackssache. Auch können die Kontrollen immer wieder verlängert werden – eventuell jahrelang. Bislang hat jedenfalls noch niemand dagegen geklagt.

Friedrich Merz, Notlage und Grenzschließungen

Nach innen kann es für Dobrindt also durchaus interessant sein, den harten Mann zu markieren, während Merz mit seiner Sprachregelung offenbar darauf abzielt, die EU-Partner nicht vor den Kopf zu stoßen. Die SPD hat diese Woche indes wissen lassen, dass sie „voll hinter CSU-Innenminister Dobrindt“ stehe.

Letzten Endes kann Deutschland seine Entscheidungen souverän treffen, und muss dann womöglich auch mit entsprechendem Gegenwind leben. Das letzte Wort über angekündigte „Grenzschließungen“ und die systematische Zurückweisung illegaler Migranten scheint hingegen noch nicht gesprochen (mit AFP-Agenturmaterial).

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Erstellt:
9. Mai 2025, 13:24 Uhr
Aktualisiert:
9. Mai 2025, 13:37 Uhr

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