Folgen des Klimawandels

Permafrost taut auf: Kommt es zum Klima-Kipppunkt?

Ist der Permafrost ein Kippelement im Klimasystem? Durch die globale Erwärmung taut der arktische Permafrost, wodurch Kohlendioxid und Methan in die Atmosphäre gelangen.

Gefrorene Tundra in Sibirien: Ist der Boden einmal getaut, lässt sich die Zersetzung des Kohlenstoffs darin nicht aufhalten, selbst wenn sich die globale Temperatur stabilisiert.

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Gefrorene Tundra in Sibirien: Ist der Boden einmal getaut, lässt sich die Zersetzung des Kohlenstoffs darin nicht aufhalten, selbst wenn sich die globale Temperatur stabilisiert.

Von Markus Brauer

Durch die globale Erwärmung taut der arktische Permafrost, wodurch Kohlendioxid und Methan in die Atmosphäre gelangen. Diese Veränderungen gelten als unumkehrbar und in einigen Fällen auch als abrupt. Deshalb wird diskutiert, ob der Permafrost ein sogenanntes Kippelement im Klimasystem ist.

Forscher haben das aktuell verfügbare Wissen zur Klimaantwort des Permafrosts zusammengetragen. Ihr Fazit: Die Veränderungen des Permafrosts sind auf globaler Ebene graduell, auf lokaler Ebene jedoch abrupt, und der Verlust von Kohlenstoff ist irreversibel.

Dominoeffekt des Weltklimas

Unter Kipppunkten versteht man in der Klimaforschung, wenn durch kleine Veränderungen ein Domino-Effekt ausgelöst wird, dessen Folgen unter Umständen nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Werden mehrere Kipppunkte überschritten, besteht zudem das Risiko eines katastrophalen Verlusts der Fähigkeit, Pflanzen für Grundnahrungsmittel anzubauen.

Das Konzept der Kipppunkte und damit verbundene Unsicherheiten werden unter Wissenschaftlern weltweit intensiv und zum Teil konträr diskutiert.

Arktis – Hotspot des Klimawandels

Die Arktis erwärmt sich fast viermal schneller als der Rest des Planeten. Hohe Temperaturen lassen schon heute den dauerhaft gefrorenen Boden – den Permafrost – auftauen. Der darin enthaltene Kohlenstoff gelangt dann in Form von Kohlendioxid oder Methan in die Atmosphäre und verstärkt die globale Erwärmung weiter.

Wissenschaftler vermuten, dass der Permafrost ein Kippelement sein könnte – also ein Teil des Klimasystems, der ab einer kritischen Temperaturschwelle in einen anderen Zustand übergeht. Doch was genau bedeutet das im Falle des Permafrosts?

Abrupter und unumkehrbarere Prozess?

In einer Übersichtsstudie haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Meteorologie (MPI-M) in Bremen gemeinsam mit ihren internationalen Kollegen untersucht, ob die Prozesse in der Arktis einerseits abrupt und andererseits unumkehrbar sind – zwei typische Kriterien für einen Kipppunkt.

Sie kommen zu dem Ergebnis, dass das großflächige Abtauen des Permafrosts mit steigenden Temperaturen allmählich erfolgt. „Ein plötzliches Kippen ist in Klimamodellen nicht zu erkennen“, sagt Victor Brovkin, Forscher am MPI-M und Erstautor der Studie, die in der Fachzeitschrift „Surveys in Geophysics“ erschienen ist.

Unumkehrbar sei dieser Verlust allerdings schon: Ist der Boden einmal getaut, lässt sich die Zersetzung des Kohlenstoffs darin nicht aufhalten, selbst wenn sich die globale Temperatur stabilisiert. Ein Kippen sei also zu einem späteren Zeitpunkt noch möglich.

Abruptes lokales Kippen

Auf lokaler Ebene können unumkehrbare Veränderungen durchaus auch abrupt verlaufen. Als Beispiel nennt das Team Thermokarst-Landschaften, die entstehen, wenn Permafrost-Böden absacken und sich in den Vertiefungen Seen bilden. Diese Seen transportieren Wärme tief in den Boden und beschleunigen so das Auftauen des Permafrosts und den Abbau des darin enthaltenen Kohlenstoffs.

Manchmal können plötzliche Veränderungen auch durch Extremereignisse wie Hitzewellen oder Überflutungen angestoßen werden. So könne ein Ökosystem lokal oder regional kippen. Eine die gesamte Arktis erfassende Kettenreaktion sei damit aber nicht zwangsläufig verbunden.

Beobachtung durch Satelliten

Wie die Forscher beispielhaft zeigen, lassen sich viele dieser Veränderungen durch die Erdbeobachtung erfassen. Beispielsweise können Satelliteninstrumente plötzliches Absacken und schwankende Wasserpegel aus dem All detektieren. Die Forscher verfolgen verschiedene Ansätze, aus diesen Daten mögliche Frühwarnsignale zu extrahieren, die auf ein Kippen hinweisen.

Diese Bemühungen könnten durch neue Satellitenprodukte unterstützt werden, wie die des kürzlich gestarteten Satelliten Sentinel-1C der Europäischen Weltraumorganisation Esa.

Globale Perspektive

Bisher zu kurz gekommen bei der Frage, ob der Permafrost ein Kippelement ist, ist nach Ansicht der Forschenden der Einfluss der veränderten Hydrologie auf das globale Klima. „Ob die Arktis feuchter oder trockener wird, hat Konsequenzen für die Wolkenbildung und dies wiederum wirkt sich auf die Energiebilanz des Planeten aus“, erklärt Philipp de Vrese vom MPI-M und Koautor der Studie.

Das kann dann auch andere Regionen der Erde beeinflussen – darunter das Amazonasgebiet und die Sahelzone, die ebenfalls als mögliche Kippelemente gelten.

Insgesamt gibt es keine eindeutigen Belege dafür, dass der Permafrost ein Kippelement ist. Ausgeschlossen werden kann diese Möglichkeit aber nicht. „So oder so sind die Veränderungen, die wir aktuell in der Arktis sehen, alarmierend“, erläutert Brovkin.

Im nächsten Schritt beteiligen sich die Forschenden am Tipping Point Modelling Intercomparison Project (TIPMIP), einer Vergleichsstudie, die von Ricarda Winkelmann, Direktorin am Max-Planck-Institut für Geo-Anthropologie in Leipzig, geleitet wird und die helfen soll, die Rolle des Permafrosts und weiterer möglicher Kippelemente noch besser zu verstehen.

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Erstellt:
27. Mai 2025, 12:28 Uhr

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