Pflaster statt Panzer

Aufrüsten, um verteidigen zu können? 4108 Tage nach Putins Ukraine-Überfall wird geredet, kaum gehandelt.

Von Eidos Import

Stuttgart. - Stell Dir vor, es ist Krieg – und die Verbündeten in NATO und EU schicken nur Pflaster und Mullbinden. Keine Panzer, keine Flugabwehr, keine Jagdbomber. Pflaster und Mull. Das ist möglich, wie ein Blick in den Artikel 5 des Nordatlantikvertrags zeigt. Demnach ist jedes Land verpflichtet, die Maßnahmen zu treffen, die es „für erforderlich erachtet“. Und das kann eben auch nur Pflaster sein.

Ernster nimmt es die EU mit der Verteidigung. Immerhin muss jedes Mitglied „Hilfe und Unterstützung mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln“ leisten und dem Angegriffenen zu Hilfe eilen. Bitte, hören Sie auf zu schmunzeln: Womit denn? Gerade nachdem die wohl weltweit beste Armee, die des Vereinigten Königreichs, am 31. Januar 2020 zusammen mit dem Brexit aus der EU verschwunden ist – und eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen zwischen Großbritannien und der EU immer noch nur diskutiert wird.

Zumal überhaupt in Europa die Sache mit der Verteidigung auch 4108 Tage, nachdem Putin die Ukraine 2014 überfiel, ein Thema für Arbeitsgruppen und Gespräche statt für konkrete Ergebnisse ist: Als Frankreich im November 2015 den Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrages nach den schrecklichen Terrorangriffen in Paris aktivierte und die Union um Hilfe bat, schickten gerade einmal sechs der damals 28 Mitgliedsstaaten ihr Militär. Seien wir ehrlich: Was sollte Deutschland denn auch schon groß schicken? Jetzt, nachdem es seine Kampftruppenverbände in der Heimat plündert, damit die prestigeträchtige Panzerbrigade 45 ausgestattet werden kann. Sie soll ab 2027 an der NATO-Nordostflanke in Litauen das Bündnisgebiet mit verteidigen. Die bislang aus dem Sondervermögen bezahlten Rüstungsaufträge dienen allenfalls dazu, die Einsatzbereitschaft dieser Brigade sicherzustellen. Die 123 bestellten Kampfpanzer Leopard 2A8 sind genau die, die für die beiden Panzerbataillone der Brigade 45 gebraucht werden.

Dabei hatte Deutschland am 31. Dezember 1990 noch 4662 Kampfpanzer in seinen Kasernen. Aus denen bis zum 31. Dezember 2009 gerade noch 254 wurden. Obwohl Wladimir Putin seit 2000 deutlich macht, dass er weniger Frieden, dafür mehr Eskalation im Sinn hat. Für jeden klar erkennbar spätestens seit seiner Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2007. Für Deutschland und Europa war der Frieden ausgebrochen – dessen Dividende kräftig eingefahren und ausgegeben wurde – nur nicht für Verteidigung und Sicherheit.

Nicht überliefert ist, dass dem im Bundestag zwischen 1998 und 2009 der Abgeordnete Friedrich Merz nur einmal widersprach. Es mutet wie Comedy an, dass die Parteien, deren allen Warnhinweisen zum Trotz von Wunschträumen geprägte Analysen seit 1990 zu einem Desaster im Hier und Jetzt, zu einer risikoreichen, teuren Sicherheitspolitik führten. Dass CDU und SPD den Karren, den sie bis zum Rand im Dreck versenkten, jetzt wieder rausziehen wollen.

Wissenschaftler des Londoner Instituts für Strategische Studien warnen im gerade erschienen Aufsatz „Europas Verteidigung ohne die USA: Kosten und Konsequenzen“, dass sich das Zeitfenster schließt, um Deutschland und Europa verteidigungsbereit zu machen: „Trotz aller Herausforderungen könnte Russland bereits 2027 eine erhebliche militärische Herausforderung für die NATO-Verbündeten, insbesondere die baltischen Staaten, darstellen.“

Das treibt deutsche und europäische Politiker nicht zum raschen Handeln an. Oder gar zu Reformen bestehender Streitkräftestrukturen. Man schwätzt eben mal. Über das wie, was und ob. Am Ende wird es so kommen: Stell’ Dir vor, der Putin greift an – und wir kriegen und verschicken Pflaster.

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Erstellt:
25. Mai 2025, 22:08 Uhr
Aktualisiert:
26. Mai 2025, 21:57 Uhr

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