Wenn die Orgel zum machtvollen Orchester wird

Zum Start der diesjährigen Orgelzyklus-Konzertreihe gestaltet Klangfarbenspezialistin Sarah Kim virtuos Bearbeitungen und Originalkompositionen mit einer außergewöhnlichen Vielfalt harmonischer Nuancen vom 18. bis 20. Jahrhundert in der Murrhardter Stadtkirche.

Sarah Kim macht beim Konzert eine unglaubliche Bandbreite auf. Foto: Elisabeth Klaper

Sarah Kim macht beim Konzert eine unglaubliche Bandbreite auf. Foto: Elisabeth Klaper

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Sarah Kim, Konzertorganistin mit südkoreanischen Wurzeln, ist fasziniert von dem enorm großen Register-, Klangnuancen- und Effektspektrum der Mühleisenorgel in der Stadtkirche. Beim ersten Orgelzykluskonzert des Jahres schöpft die in Deutschland geborene Klangfarbenspezialistin, die zurzeit in Paris als Organistin tätig ist, diese Möglichkeiten voll aus. Dank ihrer ausgeklügelten, empfindungsvollen Spielkunst gelingt ihr das Kunststück, in adäquaten Transkriptionen von Orchesterkompositionen für Orgel die Fülle verschiedenster Klangfarben der Orchesterinstrumente auf der Orgel stimmig zu interpretieren.

Das Programm beginnt mit „Mars, der Kriegsbringer“ und „Venus, die Friedensbringerin“ aus der Orchestersuite „Die Planeten“ Opus 32 von Gustav Holst. Darin charakterisiert der englische Komponist die Planeten als Götterpersönlichkeiten wie in der antiken Mythologie. Voller Hingabe bringt Sarah Kim beide Tonkunstwerke, die in diametralem Gegensatz zueinander stehen, in ihrer ganzen Bandbreite zur Entfaltung. In „Mars“ erklingen auch die größten Orgelpfeifen in voller Lautstärke und bringen die Kirche zum Vibrieren. Aus den tiefsten Tiefen entwickelt die Konzertorganistin ein gewaltiges, aggressiv wirkendes, vielstimmiges Klang- und Rhythmusgewitter voller Dissonanzen und Obertöne, das den zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörern in den Ohren dröhnt. Die monumentale, fantasievoll ausgearbeitete Komposition mutet zwar wie eine Vision der modernen technisierten Kriegführung an. Holst schuf sie aber nicht als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg, sondern bereits mehrere Monate vor dessen Ausbruch.

In vollkommenem Kontrast dazu steht „Venus“, eine atmosphärische, den Ohren wohltuend schmeichelnde Klangfarbenmalerei aus filigranen Tönen und sanft dahinschwebenden, ineinander übergehenden Harmonien.

Mit dem Orgelkonzert d-Moll Opus 7 Nr. 4 von Georg Friedrich Händel demonstriert Sarah Kim ihre Meisterschaft in der Interpretation von Barockmusik. Laut Kantor Gottfried Mayer ist die Originalkomposition ein Konzert für Orgel und Orchester.

Händel komponierte mehrere Werke dieser Art für die Pausen bei den Aufführungen seiner Oratorien. In reizvollem Wechsel zwischen kunstreich ausgestalteten Koloraturen und melodisch eingängigen choralartigen Passagen imitiert die Organistin durch stimmige Registrierung unterschiedliche Blas- und Streichinstrumente. Im mitreißenden verspielten Allegro, das Händel ähnlich dem „Halleluja“ aus dem Oratorium „Der Messias“ ausarbeitete, lässt sie die Orgel in schnellem Tempo gleichsam tanzen und jubilieren.

Ein virtuoses Spiel mit verschiedenartigen Harmonien, Rhythmen und Registern, die wie diverse (Blas-)Instrumente klingen, ist der Satz „Lebhaft und ruhig bewegt“ aus Paul Hindemiths zweiter Sonate für Orgel. Im ersten temperamentvollen Teil überwiegen moderne Gestaltungselemente, wobei unterschiedliche Stimmen gegeneinander verlaufen, im zweiten, ruhigeren Teil dominiert die traditionelle Tonsprache.

Ein faszinierendes Hörerlebnis bereitet die Konzertorganistin mit der für Klavier geschriebenen und für Orgel bearbeiteten Toccata Opus 11 von Sergej Prokofjew. Das innovative, spannungsreiche und expressive Werk zeichnet sich durch große rhythmische Vitalität aus. Dessen Charakter bestimmt ein schneller, pulsierender Rhythmus, der von maschinellen Bewegungen und Prozessen inspiriert zu sein scheint. Zudem ist Prokofjews Toccata wohl das erste Werk der Musikgeschichte, in dem es keine Melodie gibt. Stattdessen existieren lediglich melodieartige Fragmente, gebrochene auf- und absteigende Akkorde aus chromatischen Tonleitern mit Wiederholungen und Gegenbewegungen sowie moderne harmonische und disharmonische Elemente. Den Abschluss bildet ein rauschender, aufwärts gleitender Tusch mit abruptem Ende.

Das Publikum ist so fasziniert von Sarah Kims grandiosem Orgelspiel, dass es sie mit tosendem Applaus noch zu einer Zugabe motiviert: So präsentiert sie eine von ihr selbst für Orgel bearbeitete romantisch verträumt wirkende Version der alten englischen Volksweise „Greensleeves“.

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Erstellt:
18. Mai 2022, 06:00 Uhr

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