Wenn Erfahrung trägt und geschätzt wird

Gabi Eden und Sylvia Fritz arbeiten seit 20 Jahren bei der Diakonie ambulant – Was im Beruf wertvoll ist und hilft

Im Juni waren gleich drei Bundesminister – Jens Spahn (Gesundheit), Franziska Giffey (Familie) und Hubertus Heil (Arbeit) – angetreten, die ein gemeinsames Konzept präsentierten, um die Lage in der Pflege zu verbessern. Personalsituation und unterstützende Rahmenbedingungen sind für die Diakonie ambulant Gesundheitsdienste Oberes Murrtal schon lange Thema. Ein Gespräch mit Geschäftsführer Thomas Nehr und zwei langjährigen Mitarbeiterinnen zeigt, welche Faktoren wichtig sind, um den Beruf viele Jahre ausüben zu können.

Sylvia Fritz und Gabi Eden (von links) haben viel Erfahrung in ihrem Beruf gesammelt. Sie wissen um die Vorzüge und Belastungen sowie was ihnen dabei hilft, Abstand zu gewinnen und ihren Akku wieder aufzuladen. Fotos: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Sylvia Fritz und Gabi Eden (von links) haben viel Erfahrung in ihrem Beruf gesammelt. Sie wissen um die Vorzüge und Belastungen sowie was ihnen dabei hilft, Abstand zu gewinnen und ihren Akku wieder aufzuladen. Fotos: J. Fiedler

Von Christine Schick

MURRHARDT. Nach einer Reihe von Erhebungen bleiben Pflegekräfte laut Thomas Nehr durchschnittlich acht bis zwölf Jahre im Beruf. Die Hauptgründe sind für ihn die teils schwierigen Arbeitsbedingungen. Diakonie ambulant setzt sich seit Langem mit dieser Thematik auseinander. Insofern freut sich der Geschäftsführer sehr, dass im Juli eine Mitarbeiterfeier mit elf betrieblichen Jubilaren stattfand. Sie werfen insgesamt 175 Jahre Betriebszugehörigkeit und ein Durchschnittsalter von 55,6 Jahren in die Waagschale. Sechs Mitarbeiterinnen sind seit 20 Jahren, vier seit zehn Jahren bei der Diakonie ambulant tätig. Es gibt zudem ein Best-Ager-Team von vier Frauen, die weiterhin Dienste übernehmen, obwohl sie im Ruhestand sind. Den aktuellen Rekord hält Andrea Hansel, die seit 31 Jahren beim ambulanten Pflegedienstleister ist. Was macht die Diakonie ambulant also richtig? Die zweimalige Auszeichnung als familienbewusstes Unternehmen dokumentiert, dass es ein Auge darauf hat, die Rahmenbedingungen bestmöglich zu gestalten – sei es über das gemeinsame Programm Belev (gesundes Arbeiten) oder ganz praktische Dinge, wie geteilte Dienste (mit langer Pause dazwischen) fürs Team zu vermeiden, dem insgesamt rund 70 Mitarbeiter angehören.

Wie sehen diese ihre Situation selbst? Gabi Eden und Sylvia Fritz sind beide 58 Jahre alt und seit zwei Jahrzehnten bei Diakonie ambulant beschäftigt. Das, was sie berichten, lässt erahnen, dass es für die Treue zum Beruf nicht nur einen Grund gibt, sondern dabei einige Faktoren zusammenspielen. Sylvia Fritz hat als gelernte Kinderkrankenschwester zunächst in Kliniken wie dem Olgahospital in Stuttgart gearbeitet. Mit Heirat und Familiengründung war dies vom neuen Wohnort Sulzbach an der Murr aus aber schwierig und sie fing bei Diakonie ambulant an – zunächst geringfügig, heute hat sie eine 70-Prozent-Stelle. Ähnlich war der Weg für Gabi Eden. Die Krankenschwester kam vom Ruhrgebiet nach Süddeutschland und Murrhardt, begann dann in der stationären Pflege zu arbeiten, wo sie später Verantwortung in der Stationsleitung übernahm. Auch sie pausierte als Mutter von drei Kindern eine Zeit lang, bis Diakonie ambulant sie angeworben hat. Aus einer Teil- wurde schnell eine Vollzeitstelle. Heute möchte sie von den 80 Prozent wieder etwas abgeben, um familiären Aufgaben stärker nachkommen zu können, bei denen die Pflege ebenso privat Thema ist.

Angesichts der beachtlichen Spanne stellt sich die Frage, was sich über die Jahre verändert hat. „Wir müssen mehr Schriftliches erledigen, die Dokumentation hat zugenommen“, sagt Sylvia Fritz. Ihre Kollegin nickt. „Im Alltag kommt die mobile Datenerfassung dazu, wir geben bei unseren Touren auch Dinge übers Smartphone ein, was man nicht vergessen darf.“ Gleichzeitig stehen mehr Hilfsmittel zur Verfügung wie beispielsweise Pflegebetten oder Lifter. Allerdings nicht ohne Grund. „Die Patienten kommen schneller aus der Klinik wieder nach Hause, teils sind sie nach wenigen Tagen wieder zurück“, berichtet Sylvia Fritz. Manchmal erleben sie eine schnelle Abfolge von Entlassung, Wiedereinweisung, erneute Entlassung. Die ambulanten Pflegekräfte müssen dann mit den Folgen beziehungsweise Nachfolgesituationen klarkommen, die von ungewaschenen Haaren über Wundstellen bis hin zu Problemen reichen, am Freitagnachmittag noch schnell Medikamente und Pflegematerial zu organisieren, erzählen die beiden. „Wir versuchen dann, schnell mit den Angehörigen Kontakt aufzunehmen“, so Eden. Es muss auch mal improvisiert werden, eine Infusion mangels Ständer ihren Platz an der Stehlampe finden.

Ambulanter Dienst heißt, bei einer

Entscheidung auf sich gestellt zu sein

Das macht letztlich auch die Herausforderung der Arbeit aus. „Ich muss die Lage selbst einschätzen und entscheiden, was zu tun ist, im Zweifelsfall, ob ich einen Notarzt hole oder nicht“, sagt Sylvia Fritz. Die Situationen sind immer wieder anders, Patienten und das Umfeld nie gleich. Aber genau das schätzen die beiden Frauen auch. Denn es heißt, bei der Pflege stärker auf den Einzelnen eingehen zu können und macht die Arbeit abwechslungsreicher. Hilfreich bei der Einschätzung der Lage ist, dass sie ihre Patienten oft über einen längeren Zeitraum kennen. Dies bedeutet allerdings auch, dass genau diese Begleitung bis zu den letzten Wochen, Tagen und Stunden angesichts von Schmerzen und Leiden schwer sein kann. „Je älter man selbst wird, desto näher kommt man dem Thema, das Leben ist endlich“, sagt Gabi Eden. Um abzuschalten und Abstand zu gewinnen, macht die 58-Jährige viel Sport, geht Joggen und Radfahren, mittlerweile gibt sie selbst Gymnastikkurse. Auch Sylvia Fritz hat ihre Oase, in der sie auftanken kann. Sie findet sich dann auf der Terrasse mit Strick- oder Häkelnadeln wieder, in einer Handarbeit versunken. Genauso wichtig ist aber der Austausch mit den Kollegen, stellen die beiden fest. Deshalb wissen sie auch um das Kommunikationsbedürfnis ihrer Patienten. „Manchmal sind wir ja die einzigen, die sie sehen“, sagt Sylvia Fritz. Bei einem kurzen, auf spezifische Leistungen beschränkten Zeitfenster keine ganz einfache Sache für beide Seiten. „Es gibt das Bedürfnis zu reden, aber eigentlich auch, mal berührt zu werden“, ergänzt Gabi Eden.

Im Alltag unterstützen können sogenannte Betreuungsleistungen. Über sie werden Kräfte finanziert, die sich auch mal Zeit für ein Spiel oder einen Blick ins Fotoalbum nehmen können. Dass ihre Patienten gerne etwas zurückgeben, merken die beiden Fachkräfte an kleinen Gesten. Dann liegt da ein Apfel oder es steht ein kleines Glas selbst gemachte Marmelade auf dem Tisch. Nicht jedem fällt es leicht, Hilfe anzunehmen. „Ich versuche, mich dann auch in die Patienten reinzuversetzen, mir zu überlegen, was es heißt, einen Schlaganfall zu haben. Wie würde es mir gehen?“, sagt Gabi Eden. Für ihre Kollegin ist klar: „Ich könnte mir beruflich nichts anderes vorstellen.“ Insgesamt sind beide mit den Rahmenbedingungen, dem Austausch im Team sehr zufrieden. Aus ihren Kommentaren klingt ebenso heraus, dass sie nicht allein die Arbeit, sondern auch das Gegenüber sehen. „Es geht nicht nur darum, dass die Menschen satt und sauber sind“, sagt Gabi Eden. Die Mitarbeiterinnen kennen ihre Patienten und ahnen bei Veränderungen, was los ist – auch das ist ein wichtiger Teil des Jobs.

Kleiner gut gelaunter Engel – wenn Sylvia Fritz sich entspannen will, macht sie Handarbeiten.

© Jörg Fiedler

Kleiner gut gelaunter Engel – wenn Sylvia Fritz sich entspannen will, macht sie Handarbeiten.

Info
Jahrzehntelange Treue

Seit 20 Jahren bei der Diakonie ambulant Gesundheitsdienste Oberes Murrtal sind Sylvia Fritz, Heike Löchner, Ruth Rokos, Gabi Eden, Edith Albrechts und Petra Rostek, seit 15 Jahren Thomas Nehr und seit 10 Jahren Monika Gräßl, Carla Bader, Gisela Krause und Claudia Eisemann.

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Erstellt:
2. August 2019, 06:00 Uhr

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