Wie man die Fesseln der Angst loswird

Angelika Gmehling sprach im Murrhardter Heinrich-von-Zügel-Saal über Angsterkrankungen und ihre Behandlung

„Wenn Angst das Leben schwer macht – Wege in die Freiheit“, so war der Vortrag überschrieben, in dem Angelika Gmehling über Angststörungen, ihre Ursachen, Erscheinungsformen und Behandlungsmöglichkeiten referierte. Die Mut machende Botschaft: Angststörungen kann man behandeln, und die Betroffenen können selbst eine Menge zu ihrer Heilung beitragen.

Von Annette Hohnerlein

MURRHARDT. Alle Menschen haben Angst, immer wieder. Jeder kennt das Gefühl, wenn der Körper von Stresshormonen geflutet wird und innerhalb von Sekundenbruchteilen auf Alarmstufe Rot schaltet. Wenn sich die Angst jedoch verselbstständigt, wenn der Abbau der Stresshormone ausbleibt, dann kann die Angst krankhaft werden. Dass dieses Phänomen keine Randerscheinung ist, zeigte sich an der großen Resonanz – rund 65 Zuhörer hatten sich im Heinrich-von-Zügel-Saal zu dem Vortrag eingefunden, den der Krankenpflegeverein Murrhardt und der Deutsche Verein für Gesundheitspflege Murrhardt gemeinsam organisiert hatten.

Die Referentin, Angelika Gmehling, arbeitet als psychotherapeutisch tätige Ärztin mit Schwerpunkt Traumatherapie in eigener Praxis in Backnang und behandelt regelmäßig Patienten mit Angststörungen. „Angst gehört zum Leben, sie kann Leben retten“, sagte Gmehling zu Beginn ihres Vortrags. „Sie kann aber auch das Leben schwer machen, kann wie ein Käfig sein.“ Sie berichtete von einer Patientin, die unter einer so schweren Angststörung litt, dass sie zwei Jahre lang ihre Wohnung nicht verlassen konnte.

Angsterkrankungen sind ein Massenphänomen, rund 20 Prozent aller Deutschen leiden darunter. Eine Erscheinungsform der Angst ist die Panikattacke, auf die die Referentin als Erstes einging. Diese trifft den Erkrankten wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Herzrasen, Engegefühl in der Brust, Atemnot, Übelkeit und Schweißausbrüche – dies alles führt dazu, dass die Betroffenen oft unter Todesangst leiden. Auslöser können zum Beispiel überfüllte Räume sein, aber auch eine Autofahrt durch einen Tunnel oder ein Flug. Nach einer solchen Erfahrung meiden viele Betroffene die kritischen Situationen. Sie gehen nicht mehr ins Kaufhaus, ins Theater, benützen kein Auto oder Flugzeug mehr und schotten sich immer mehr ab. Dazu kommt die Angst vor der Angst, die wiederum weitere Panikattacken auslösen kann – ein Teufelskreis, der das Leben massiv beeinträchtigt.

Angelika Gmehling erläuterte die Vorgänge, die bei Angstgefühlen im Gehirn ablaufen. Die Sinnesorgane senden Reize an den Thalamus im Zwischenhirn, der diese an die Amygdala, den sogenannten Mandelkern, weiterleitet. Diese löst eine Stressreaktion im ganzen Körper aus; in Sekundenbruchteilen wird Adrenalin ausgeschüttet, das Herz beginnt zu rasen, der Blutdruck schießt in die Höhe. Wie wichtig dieser uralte Mechanismus ist, veranschaulichte Gmehling am Beispiel eines Neandertalers, der sich plötzlich einem urzeitlichen Bären gegenüber sieht. Um zu überleben, muss er sofort alle körperlichen Reserven mobilisieren, um zu reagieren: mit Kampf oder Flucht.

Beim modernen, angstgeplagten Menschen können die tieferen Ursachen für Panikattacken in belastenden Erfahrungen wie Trennung, dem Tod eines Angehörigen oder einem Gefühl des Gefangenseins am Arbeitsplatz, in einer Ehe oder einer Wohnung liegen. In etwa zehn Prozent der Fälle werden Panikattacken durch Drogenkonsum ausgelöst.

Bei der Behandlung derartiger Störungen haben sich zwei Methoden bewährt, erläutert Angelika Gmehling. Zum einen die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie, bei der die Patienten der Angst machenden Situation bewusst ausgesetzt werden. „Man lässt die Angst kommen wie eine Welle, die über einen hinweggeht und dann abebbt“, beschreibt die Ärztin diese Therapie. „Das ist sehr unangenehm, aber es hilft in vielen Fällen“, so ihre Erfahrung. Ein anderer Ansatz ist körperliche Aktivität. Die Referentin erzählte von einem jungen Patienten, dessen Therapie nur darin bestand, dreimal in der Woche zu joggen, und der damit seine Angststörung loswurde.

Eine andere Form einer Angsterkrankung ist die generalisierte Angststörung (GAS), an der rund drei Millionen Menschen in Deutschland leiden. Sie äußert sich in Ängsten und Sorgen, um die die Gedanken der Betroffenen mehrere Stunden am Tag kreisen. Diese Ängste können die Gesundheit, die Familie, aber auch gesellschaftliche oder politische Entwicklungen betreffen. „Sie haben eine ängstlich-sorgende Grundhaltung dem Leben gegenüber“, charakterisierte Gmehling den Personenkreis der GAS-Erkrankten. In der Folge komme es zu Ruhelosigkeit, Nervosität, Konzentrations- und Schlafstörungen bis hin zu Depressionen. Die Gründe könnten in der genetischen Veranlagung oder in Vorbildern von Eltern oder anderen Personen liegen („Angst kann erlernt werden.“). Zusätzliche Belastungen wie Krankheit, Trennung, Konflikte oder Probleme am Arbeitsplatz könnten weitere Gründe sein.

Auch hier ist regelmäßige sportliche Betätigung Erfolg versprechend: Walken, Radfahren, Schwimmen, Wandern, Gymnastik, in jüngeren Jahren auch Joggen. Ein anderer Ansatz sind Entspannungsübungen wie die progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder Atemübungen. Eine solche demonstrierte Gmehling ihren Zuhörern, indem sie mit ihnen eine Art meditativer Übung zum bewussten Atmen durchführte. Eine weitere Methode ist die direkte positive Konditionierung des Gehirns, das mentale Training. Gmehling nennt ein Beispiel: Ein Patient, der Angst vor dem Autofahren hat, nimmt sich jeden Tag 20 Minuten Zeit und sagt sich Sätze vor, die seine Angst ins Positive verkehren: „Ich liebe es, in meinem Auto durch die Gegend zu fahren, den Wind in meinen Haaren zu spüren, den Duft von Heu zu riechen.“ Dabei wird das Gehirn umprogrammiert, Negatives wird durch positive Bilder überschrieben.

An das Ende ihres Vortrags stellte die Referentin einen Satz, der allen Betroffenen Hoffnung macht: „Menschen müssen nicht in der Angst verharren, sondern sie können frei werden.“

Wie man die Fesseln der Angst loswird

© Jörg Fiedler

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Erstellt:
25. Juni 2019, 06:00 Uhr

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