Zeit der Klassentandems und Muffins

In der Bodelschwinghschule Murrhardt, sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum, hat sich der Alltag wie in anderen Bildungseinrichtungen durch Corona stark verändert. Die Selbstständigkeit der Schüler leidet, aber es ist auch wieder einiges möglich.

Zum Schulbeginn kamen die Bodelschwinghschüler in der Turnhalle zusammen. Damit alle den Gottesdienst erleben konnten, hat ihn Pfarrerin Judith Bergmann dreimal abgehalten. Unter anderem ging es auch um das Thema Abstand, bei dem sie die neuen Bedingungen für ihre Besucher spielerisch aufgegriffen hat. Foto: J.Fiedler

© Jörg Fiedler

Zum Schulbeginn kamen die Bodelschwinghschüler in der Turnhalle zusammen. Damit alle den Gottesdienst erleben konnten, hat ihn Pfarrerin Judith Bergmann dreimal abgehalten. Unter anderem ging es auch um das Thema Abstand, bei dem sie die neuen Bedingungen für ihre Besucher spielerisch aufgegriffen hat. Foto: J.Fiedler

Von Christine Schick

MURRHARDT. Anfang Juli hatte sich Sonderschulrektorin Miriam Kamm gewünscht, dass es im neuen Schuljahr wieder einen Regelbetrieb und ein gemeinsames Mittagessen gibt. Dies hat sich nicht gänzlich erfüllt. Von einem mit Vorcoronazeiten vergleichbaren Alltag kann man in der Bodelschwinghschule noch nicht sprechen. „Wir sind auf dem Weg zu einem Regelbetrieb, aber es gibt einfach auch noch viele Ausnahmesituationen“, sagt Miriam Kamm.

Die aktuelle Wegmarke: Alle Schüler können den Unterricht wieder besuchen. Das ist auch deshalb möglich, da die Klassen mit sieben Schülern per se relativ überschaubar sind. Gleichzeitig müssen Unterrichtshelfer und manchmal auch zwei Lehrer berücksichtigt werden, was die Situation dann räumlich wieder enger werden lässt. Damit aber beispielsweise ein Sport- oder anderer Fachunterricht stattfinden kann, organisiert sich die Schule nun in sogenannten Kohorten, die in der Regel aus zwei Klassen bestehen und eine feste Einheit bilden. Über diese im Alltag auch als Klassentandems bezeichneten Einheiten soll gewährleistet sein, dass die Kontakte übersichtlich bleiben und im Infektionsfall auch klar abgegrenzt werden können. Bei der Einteilung orientiert man sich jeweils an der Grund-, der Sekundar- und Berufsschulstufe. „Ein stärker übergreifendes Lernen kann zurzeit nicht stattfinden, aber so haben wir wenigstens ein klein wenig Heterogenität“, sagt Miriam Kamm.

Am augenfälligsten wird die Nicht-Normalität in den Pausenzeiten, die herausfordernd fürs Kollegium sind. „Eine Begegnung der Kleinen mit den Großen ist nicht möglich“, erzählt Miriam Kamm. Hinzu kommt der Bewegungsdrang vieler Schüler. Dann heißt es ein Auge darauf zu haben, dass die Fahrten auf dem Karussell oder die Tischkickereinsätze gerecht und kontaktsensibel verteilt werden. „Damit sind wir in der vierten Woche immer noch beschäftigt“, sagt Konrektorin Stefanie Drach-Minuth, „und haben für die Schüler auch noch mal extra Material gekauft.“ Das Schulgelände ist für die Pause aus diesem Grund in drei große und diese jeweils noch mal in drei Unterbereiche eingeteilt.

Ebenfalls bis vor Kurzem getüftelt hat das Team gemeinsam mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) an der Logistik für den Schultransport. Von den 108 Kindern und Jugendlichen kommen zurzeit 103 mit dem Bus in die Kreisschule. Zwar dürfen die Mädchen und Jungen der Grundstufe (Klasse eins bis vier) zusammen fahren und es gibt kein Abstandsgebot, anders sieht es aber bei den älteren Schülern aus. Je nach Einzelsituation kommt zudem eine Begleitperson hinzu. „Viele unserer Schüler haben im Bus auch ihre gewohnten Plätze, brauchen diese Konstanz und Struktur eigentlich“, erklärt Miriam Kamm. Deshalb sei es nicht immer ganz einfach gewesen, das für alle passend hinzubekommen, letztlich habe man aber eine akzeptable Lösung gefunden – mit Unterstützung des DRK und mithilfe der jungen Leute, die zurzeit ihren Bundesfreiwilligendienst an der Schule machen. Im Hintergrund greifen auch hier die Klassentandems beziehungsweise feste Kohorten für die Schüler. 20 Busse sind jeden Morgen zur Schule unterwegs, vier von ihnen zu den Außenklassen in Murrhardt, Fornsbach, Aspach und Maubach, und nach Schulende Retour.

Die Coronaschutzmaßnahmen bedeuten eine stärkere Individualisierung im Alltag.

Allmählich hat sich auch ein neuer Schulalltag eingestellt – Maske im Bus und beim Gang durchs Schulhaus (solange es für Schüler keine gesundheitlichen Einschränkungen gibt), Maske in speziellen Kontexten wie Hauswirtschaftsunterricht, das Abholen vom Bus, der Unterricht in kleineren Einheiten und das Essen in den Klassenzimmern. Letzteres ist nicht im großen Verbund möglich. „Jetzt bringen die Erwachsenen Teller oder Tablett an den Tisch“, sagt Miriam Kamm. „Früher haben die Schüler, wenn es ging, selbst ihre Portionen genommen, auch um die Menge abschätzen zu lernen. Die Eigenständigkeit leidet, wird durch die Situation ausgebremst.“ Auch beim Hauswirtschaftsunterricht ist beispielsweise die große gemeinsame Schale Obstsalat vielen kleinen Schälchen für jeden Einzelnen gewichen und Lehrer sowie Eltern werden in Bezug auf liebevolle Extras kreativ. „Zurzeit werden beispielsweise Unmengen an Muffins gebacken“, sagt Miriam Kamm mit einem Lächeln. Sie und Stefanie Drach-Minuth haben den Eindruck, dass ihre Schüler den neuen Alltag erstaunlich gut bewältigen. So gut wie alle sind auch im Unterricht. Zwei Schüler werden wegen eines gesundheitlichen Hintergrunds und auf Wunsch der Eltern über Homeschooling, sprich Videokonferenzen sowie Aufgaben, betreut. Das Kollegium konnte in Bezug auf den Fernunterricht und digitale Medien im Vorfeld wertvolle Erfahrungen sammeln.

Die meisten Eltern haben sich jedoch entschieden, ihr Kind wieder zur Schule zu schicken, unter ihnen auch Schüler mit Mehrfachbehinderung. Nach den Beobachtungen des Leitungsteams waren die Eltern zuvor durch die Situation stark belastet. In der ersten Phase nach dem Lockdown war der Kontakt und Austausch sehr intensiv. „Ich denke, sie haben dann die Erfahrung gemacht, dass ihre Kinder nicht automatisch krank werden, wenn sie in die Schule kommen“, sagt Stefanie Drach-Minuth. Miriam Kamm ergänzt: „Und Sie dürfen natürlich auch den Aspekt der Isolation der Kinder und Jugendlichen nicht vergessen.“ Schule bedeutet soziale Kontakte.

Auch wenn größere Feiern, Treffen oder übergreifende Projekte wie das Kioskprojekt (Schüler organisieren für Schüler Essensversorgung außer der Reihe) noch eine ganze Weile nicht möglich sein werden, und das für alle auch emotionale und soziale Einschränkungen („Unsere Schüler sind ja auch Herzensmenschen“, sagt Miriam Kamm) bedeutet, versucht das Kollegium mit den rund 50 Lehrkräften, das Beste aus der Situation zu machen. Der Schulanfangsgottesdienst beispielsweise wurde in die Turnhalle verlegt und hat dreimal stattgefunden, damit alle teilnehmen konnten. Pfarrerin Judith Bergmann hat dabei auch das Thema Abstand ganz selbstverständlich mit eingebaut – anschaulich mit Zollstöcken, die besagte Sicherheitszone begreifbar machten, sich zwischendrin aber auch zu Herz und Stern verwandelt haben.

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Erstellt:
15. Oktober 2020, 06:00 Uhr

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