Abschied und Neuanfang in der VHS
Birgit Wolf, die die Geschicke der Murrhardter Bildungseinrichtung 14 Jahre geleitet hat und in den Ruhestand geht, übergibt an Kristina Mall. Die 32-jährige Sozialpädagogin hat sich schon im Studium mit Erwachsenenbildung beschäftigt und kennt die Volkshochschule auch als Dozentin.

Birgit Wolf (links) hat die Volkshochschule im Murrhardter Grabenschulhaus seit 2008 geleitet und kontinuierlich weiterentwickelt. Nun gibt sie den Stab an Kristina Mall (rechts) weiter, die sich sehr auf die Arbeit freut. Foto: Christine Schick
Von Christine Schick
Murrhardt. Birgit Wolf und Kristina Mall sitzen sich am Schreibtisch gegenüber. Noch sind einige Dinge zu besprechen und zu übergeben, aber für Birgit Wolf naht der Abschied. 14 Jahre hat sie die Murrhardter Volkshochschule geleitet, nachdem sie bereits 2003 zum Team gestoßen war und die Geschäfte 2008 von Klaus Herberts übernommen hatte. Die vergangenen Jahre haben ihr, den Mitarbeiterinnen sowie Dozentinnen und Dozenten – wie anderen auch – vor dem Hintergrund der Coronapandemie einiges abverlangt und Veränderungen eingeläutet. Mit Unterstützung von Verband, den anderen Volkshochschulen im Rems-Murr-Kreis, Kreismedienzentrum und nicht zuletzt aus dem eigenen familiären Umfeld hieß es, Kurse und Vorträge nach Möglichkeit digital anzubieten.
Nicht alle Dozentinnen und Dozenten und Teilnehmerinnen und Teilnehmer wollten oder konnten diesen Schritt mitgehen und so war auch die Unterstützung der Stadt wichtig, über die später Gesundheits- und Sportkurse teils in der Stadt- und Schulturnhalle stattfinden konnten. „Die Angebote von Hybrid- und Online-Kursen haben sich trotzdem positiv entwickelt“, sagt Birgit Wolf. Natürlich bedeuteten sie für den Dozenten einen größeren Aufwand. Aber Menschen, die beispielsweise wegen eigener oder der Krankheit von Familienangehörigen stärker ans häusliche Umfeld gebunden sind, haben so die Möglichkeit, Kurse zu besuchen, was Birgit Wolf wertvoll findet. Trotzdem sind in Zeiten der Lockdowns viele Kurse ausgefallen. „Wir mussten da auch unsere Rücklagen anbrechen“, sagt die 65-Jährige.
Digitalisierung und Integrationsarbeit
Am Thema Digitalisierung und mediale Modernisierung ist die Volkshochschule seitdem drangeblieben. Einer der Grundsteine wurde bereits 2008 mit Anschaffung von Schulungslaptops gelegt, die seither für die berufliche Bildung und Kurse im EDV-Bereich wichtig sind. In jüngerer Zeit hinzugekommen sind zwei Smartboards, über die beim Unterricht auch aufs Internet zugegriffen werden kann und verschiedene Medien eingebunden werden können, sowie weitere Ausrüstung für Online- und Hybridkurse.
Mit den Fluchtbewegungen hat auch die Sprach- und Integrationsarbeit an den Volkshochschulen deutlich mehr an Umfang gewonnen. Zurzeit laufen fünf Integrationskurse parallel und damit sind alle Raum- und Dozentenkapazitäten ausgeschöpft, berichtet Birgit Wolf, und dass es für Volkshochschule und Lehrende eine Herausforderung sei, gemeinsam den mal steigenden, mal wieder abnehmenden Bedarf auszutarieren. Mit Blick auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist es Birgit Wolf wichtig gewesen, Fördermöglichkeiten zu nutzen. In der beruflichen Bildung war und ist dies durch Gelder des Europäischen Sozialfonds möglich. Im Bereich der Gesundheits- und Sportkurse gibt es unter bestimmten Voraussetzungen Zuschüsse von Krankenkassen. Bedingung dafür ist, dass Kurse in die zentrale Prüfdatenbank aufgenommen werden. „Manchmal braucht es da auch noch zusätzliche Qualifikationen der Dozenten“, erläutert Birgit Wolf.
Einige Themen, die heute in der Volkshochschule vergleichsweise selbstverständlich dazugehören, wurden schon längere Zeit zuvor angepackt und ausgebaut: ein Semesterschwerpunktthema mit Seminaren und Vorträgen, der Anschluss ans Xpert-Business-Lernnetzwerk inklusive bundeseinheitlicher Prüfung bei der beruflichen Weiterbildung, die Zulassung für Integrationskurse und später ihr Angebot in Eigenregie sowie eine individuelle Weiterbildungsberatung. Genauso gab es unzählige Einzelthemen und -angebote wie beispielsweise die Schulung von Murrhardter Erzieherinnen auf dem Gebiet der Medienkompetenz oder den Talentcampus für Jugendliche.
Bürgerschaftliches Engagement
Birgit Wolf hat eine weitere lange Liste an Projekten, die sie begleitet hat, und zwar als Leiterin der Koordinationsstelle Bürgerschaftliches Engagement. „Das war eine tolle Ergänzung“, sagt sie zu ihrer Doppelfunktion, die sich jeweils etwa zur Hälfte auf beide Positionen aufteilte. Zum einen haben Beteiligte beider Bereiche durch Kommunikation und Kontakte voneinander profitiert, zum anderen gab es durch die Projekte auch inhaltliche Synergien. Ein paar Beispiele: Über Projekte wie Sprachcafé oder Nähwerkstatt konnte die Integrationsarbeit gefördert und vertieft werden und das interkulturelle Kochtöpfle hat dies schon zu einem früheren Zeitpunkt auf eine breite Basis gestellt. Ins Leben gerufen wurden die PC-Werkstatt, das Senioren-Internetcafé, die essbare Stadt, das offene Bücherregal und der Marktstand, der sich später zum Tafelladen weiterentwickelt hat. Teilortsprojekte beispielsweise in Kirchenkirnberg, eine Ehrenamtsmesse oder Breakdance- und Graffitiworkshops sind ebenso zu nennen wie umfangreichere Projekte rund um das Thema Demenz. Nach dem Start mit „lokale Allianzen für Menschen mit Demenz“ setzte Birgit Wolf in Kooperation mit dem Demenzfachberatungsteam des Kreises die Arbeit fort – mit dem Anker-Projekt und einer neutralen Kontaktstelle für Angehörige von Demenzkranken sowie einem Quartiersprojekt, aus dem unter anderem das Bürgermobil und der Seniorenrat entstanden sind. Auch den lebendigen Adventskalender hat Birgit Wolf seit Anbeginn koordiniert. Sie geht davon aus, dass die Arbeit der Koordinationsstelle fortgeführt werden soll.
Freiheit und eigenes Engagement
Wie fühlt sie sich nun bei der Übergabe an ihre Nachfolgerin Kristina Mall? „Ich freu mich darauf, meine Zeit jetzt ganz frei einteilen zu können“, sagt die 65-Jährige. Dazu gehört, auch mal eine späte Dokumentation im Fernsehen anzuschauen und spontan zu entscheiden, ob sie sich der Gartenarbeit, einem neuen Rezept für einen Gemüseaufstrich oder einem eigenen ehrenamtlichen Projekt widmen möchte. Da gibt es nämlich schon Ideen – beispielsweise beim Deutschlernen und Lesenüben unterstützen oder Kontaktarbeit im Altersheim.
Perspektivwechsel: Für Kristina Mall heißt es jetzt, durchzustarten. Die 32-Jährige steht der Murrhardter Bildungseinrichtung nun als neue Leiterin vor, gleichzeitig verbindet sie schon heute vieles mit der Volkshochschule Murrhardt. Als gebürtige Murrhardterin hat sie bereits in Jugendjahren selbst Seminare im Grabenschulhaus besucht – ob Tanz- oder Selbstverteidigungskurs. Nach ihrem Abitur hat Kristina Mall ihr Freiwilliges Soziales Jahr beim Kreisjugendring gemacht, der damals auch eine Außenstelle in Murrhardt hatte. Im Anschluss ging es zum Pädagogikstudium an die Technische Universität Chemnitz. „Einer meiner Schwerpunkte war damals die Erwachsenenbildung“, erzählt sie. Neben der Thematik eines lebenslangen Lernens hat sie sich im Studium auch mit interkultureller Pädagogik befasst.
Dies mündete für Kristina Mall beim Berufseinstieg in die Flüchtlingsarbeit und zwar in heimatlichen Gefilden. Sie war von 2015 bis 2019 für das Landratsamt des Rems-Murr-Kreises in Waiblingen tätig. Dabei betreute sie Geflüchtete vor allem in Schorndorfer Gemeinschaftsunterkünften. Neben der Unterstützung bei organisatorischen und alltäglichen Fragen ging es auch um Hilfe bei verschiedenen Anträgen.
Von der Dozentin zur Leiterin
Schließlich trat das eigene Familienprojekt auf den Plan: Kristina Mall wurde Mutter, heute sind ihre beiden Jungs vier und zweieinhalb Jahre alt. Vor einiger Zeit meldete sich der Wunsch, wieder ins Berufsleben einzusteigen. „Also musste ich überlegen, wie könnte ich starten, was könnte mir Spaß machen und wo könnte ich arbeiten?“, erinnert sich die 32-Jährige. Sie entschied sich für eine Ausbildung im Prager Eltern-Kind-Programm (Pekip), bei dem Babys in ihrer Entwicklung über Spiel- und Bewegungsanregungen unterstützt werden und ein Austausch der Eltern untereinander gefördert wird. Als Pekip-Dozentin hat sie im Herbst 2021 auch Kurse an der Volkshochschule Murrhardt gegeben. „Egal mit wem ich bei der VHS in Murrhardt zu tun hatte, ich hab mich immer sehr willkommen gefühlt“, sagt sie. Und dieser gute Kontakt lässt bei ihr die Idee entstehen, vielleicht sogar mal über weitere berufliche Möglichkeiten ins Gespräch zu gehen. Als sie die Stellenausschreibung zu einem Zeitpunkt sieht, zu dem sie auch vom Umfang her wieder mehr arbeiten möchte, muss sie nicht lange überlegen und bewirbt sich. Nun heißt es, sich einzuarbeiten und sich mit dem Team vertraut zu machen.
„Ich finde es sehr spannend, zu überlegen, welche Trends kristallisieren sich heraus, wie müssen wir uns von den Angeboten her aufstellen und wie können wir eine Bildung für alle ermöglichen“, sagt sie. Um die Menschen zu erreichen, braucht es eine gute Öffentlichkeitsarbeit und ein Sichtbarwerden und -bleiben auch in den sozialen Medien. Im Rahmen ihrer knapp 60-Prozent-Stelle betreut sie die neben der Leitung die Fachbereiche Gesellschaft und Allgemeinbildung, Gesundheit sowie EDV und Beruf. Nun ist sie einfach gespannt auf die Arbeit und hofft auf regen Austausch von Lehrenden und Lernenden – auch was die künftigen Angebote anbelangt.