Die Nato auf schmalem Grat
Das westliche Bündnis braucht robuste Antwortenauf die Provokationen Wladimir Putins.
Von Eidos Import
Was tun, wenn der raufsüchtige Nachbar ständig provoziert? Wenn er zuerst laufend sein Auto vor unserer Einfahrt parkt, dann seinen Müll über den Gartenzaun wirft und schließlich eine Scheibe in unserem Haus einwirft? Im übertragenen Sinne steht die Nato vor exakt dieser Frage. Der russische Präsident Wladimir testet seit Jahren die Verteidigungsbereitschaft des atlantischen Bündnisses und wird dabei immer dreister. Bisheriger Höhepunkt war das Eindringen der 19 Drohnen in den polnischen Luftraum.
Der Westen hat sich trotz aller Provokationen des Kremls nicht zu unüberlegten Reaktionen hinreißen lassen – und das ist gut so. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine wurde die Nato-Ostflanke militärisch deutlich verstärkt und die EU hat wirtschaftliche und politische Sanktionen gegen den Aggressor verhängt. Das alles scheint Wladimir Putin allerdings nicht zu beeindrucken, er sucht nicht einmal im Ansatz nach einer friedlichen Lösung. Im Gegenteil, Putin überzieht die Ukraine mit immer schwereren Angriffen auf zivile Ziele.
Zu dieser Eskalationsstrategie zählen auch die militärischen Provokationen gegenüber der Nato. Der Kreml-Herrscher glaubt aus zwei Gründen, sich dies erlauben zu können. Zum einen sind den warnenden Worten des Westens militärisch bisher keine Taten gefolgt. Zum anderen hat der Vorfall in Polen offenbart, dass das Bündnis im Moment weder vorbereitet noch in der Lage wäre, massive Drohnen-Angriffe abzuwehren. Beides muss sich schnellstens ändern, denn Putin versteht nur die Sprache der Härte.
Die Nato betritt hier einen schmalen Grat, denn es besteht die Gefahr der Eskalation einer bereits überaus explosiven Situation. Also muss dem Kreml-Herrscher von der Nato ultimativ klargemacht werden, dass solche Provokationen klare militärische Folgen haben werden. Das bedeutet, dass alle gegnerische Drohnen, die den Luftraum des Bündnisses überfliegen, sofort abgeschossen werden. Wesentlich schwieriger wird die Lage, wenn russische Kampfjets erneut die Grenzen eines Nato-Staates verletzen – ein Abschuss ist für die Nato in diesem Fall keine Option. Die Gegner müssen aber schneller und konsequenter gestellt und aus dem eigenen Luftraum herausbegleitet werden.
Polen allerdings hat bereits angekündigt, dass alle russischen Militärmaschinen abgeschossen werden, die die Grenzen des Landes überfliegen. Das ist eine gefährliche, aber auch sehr deutliche Warnung, die Wladimir Putin verstehen wird.
Der Kreml-Herrscher gibt sich zwar als starker Mann, doch er steht mit dem Rücken zur Wand. Aus dem für drei Tage geplanten Überfall auf die Ukraine ist ein seit fast vier Jahren andauernder Stellungskrieg geworden. Auch die wirtschaftlichen Daten sind schlecht und die Aussichten mehr als düster: über Jahrzehnte lebte Russland vom Verkauf von Gas und Öl an den Westen, jetzt ist die Kriegsproduktion das wichtigste Standbein – im Fall eines Friedensschlusses wäre beides weg. Putin braucht also den Konflikt, um sein politisches Überleben zu sichern. Inzwischen wird deutlich, dass für ihn der Krieg in der Ukraine längst nur Teil eines größeren Planes ist: die Zerstörung des westlichen, demokratischen Gesellschaftsmodells.
Für das freie Europa sind das bittere Aussichten, denn die Friedensdividende ist endgültig aufgebraucht. Solange Putin an der Macht ist, wird die Auseinandersetzung mit Russland selbst nach einem möglichen Friedensschluss zwischen Moskau und Kiew keinesfalls enden. Die Demokratien müssen sich auf diese neue, feindliche Umwelt einstellen. Wollen sie die Bedrohung überstehen, müssen sie beweisen, dass sie nach innen und außen wehrhaft sind, ohne den Kern einer offenen Gesellschaft zu zerstören.