Ein Strauß sinfonischer Orgelfantasien

Samuel Kummer präsentiert die faszinierende Klang- und Stilvielfalt der Romantik beim 3. Orgelzykluskonzert in der Stadtkirche

Samuel Kummer hat sich vor seinem Konzert in der Stadtkirche intensiv mit der Murrhardter Mühleisen-Orgel beschäftigt. Foto: E. Klaper

Samuel Kummer hat sich vor seinem Konzert in der Stadtkirche intensiv mit der Murrhardter Mühleisen-Orgel beschäftigt. Foto: E. Klaper

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. „Mein Vater war Pfarrer, so kam ich sehr früh zur Orgel, die mich fasziniert“, erzählt Samuel Kummer. Ebenso die neue Königin der Instrumente in der Stadtkirche: Sie „hat die Kraft einer Domorgel“, betont der heutige Organist der Frauenkirche zu Dresden.

Er gestaltet das dritte Konzert des Murrhardter Orgelzyklus. Dazu „hat er sich etwa 24 Stunden mit der neuen Orgel beschäftigt“, berichtet Kantor Gottfried Mayer beim „Ohrenöffner“, der kurzen Einführung vor Beginn des Konzerts. Samuel Kummer fasziniert die große Zuhörerschar mit dem stilistischen und klanglichen Reichtum der Romantik. Dafür „hat dieses hervorragende Instrument alles, um die Klangfarben für Kompositionen des 19. Jahrhunderts“ zur Geltung bringen zu können; aber auch eine attraktive Obertoncharakteristik, die wunderbar für die Musik Johann Sebastian Bachs passe, findet der Organist.

Ohrenschmeichler mit erzählerisch-liedhafter Melodik

Im Zentrum des Programms, für das Kummer spezielle, überaus fantasievolle sinfonische Werke ausgewählt hat, stehen Tonschöpfungen von Felix Mendelssohn (1809 bis 1847). So die Ouvertüre aus dem Oratorium „Paulus“ Opus 36 mit dem Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ als Leitmotiv. Kummer bringt in der orchestralen Orgelfassung des britischen Orgelvirtuosen William Thomas Best ein prächtiges Panorama aus feierlichen Wohlklängen zur Entfaltung mit opulent ausgestalteten Melodie- und Harmoniebögen, virtuosen Läufen sowie ernst-monumentalen Kadenzen.

Wahre Ohrenschmeichler mit erzählerisch-liedhafter Melodik sind Präludium und Fuge Nummer 2 in D-Dur und Nummer 5 in f-Moll aus Mendelssohns Zyklus „Sechs Präludien und Fugen für Klavier“ Opus 35. Professor Christoph Bossert, einer von Samuel Kummers Lehrern, hat die ideen- und abwechslungsreichen Werke für Orgel bearbeitet. Voller Musizierfreude spielt der 51-Jährige mit der Fülle der Klangmöglichkeiten der Mühleisen-Orgel. Kummer erzeugt eine Vielzahl unterschiedliche Klangnuancen und Stimmungen.

Sie reichen von heiterem Optimismus über ernste Nachdenklichkeit bis zu dramatischer Spannung mit aufgewühlt wirbelnden Figurationen. Diese gestaltet er in ausgeklügelter Registrierung, die er mit dem treffenden Einsatz von Effekten verbindet. So erzeugt er mit dem Schweller verschiedene Lautstärken, wodurch die Illusion entsteht, dass die Orgel mal näher, mal weiter entfernt spielt. Und mithilfe der Schwebung bewirkt der Organist reizvolle, mystisch und überirdisch klingende Akkordkaskaden.

Fulminanter Höhe- und Schlusspunkt ist die grandiose, von Samuel Kummer selbst komponierte Fantasie über Martin Luthers Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“. „Es war ursprünglich eine Orgelimprovisation als Zugabe in einem Konzert“, so der Organist. Diese habe er aufgenommen und als „gelungene Form“ empfunden: „Die lohnt sich, in Noten zu setzen.“ Darum habe er sie noch etwas ausgestaltet und bereichert mit typischen Kompositionselementen großer Romantiker wie Franz Liszt oder Max Reger sowie des Impressionisten Maurice Ravel.

„Aus einzelnen Melodiefragmenten habe ich neue Themen geformt, doch gibt es einige Momente, in denen man die Choralmelodie klar heraushört“, stellt Kummer klar. Und auch im „dramatischsten Tumult“, wenn „der Fürst dieser Welt“ und „altböse Feind“ mit „groß Macht und viel List“ agiert, wie es im Text heißt, gebe es tröstliche, lichte Passagen. In der Fantasie entwickelt der Organist ein stilistisch facettenreiches, farbenprächtiges Klangpanorama. Majestätische, teils wie Fanfaren wirkende Klangfiguren preisen die Macht und Herrlichkeit Gottes. Sie stehen in hartem Kontrast zu wilden, dramatisch-bedrohlichen Läufen und Akkordkaskaden, die das Treiben des Bösen illustrieren, bis die Choralmelodie in der überwältigenden Schlusspassage im Tutti mit 100 Dezibel lautstark den Triumph über Tod und Teufel verkündet.

Triumph über Tod und Teufel wird mit 100 Dezibel verkündet

Originelle, innovative musikalische Ideen zeichnen die Passacaglia a-Moll Opus 40 mit Variationen über ein ganz schlichtes, ernst-meditatives Thema aus, die der aus Antwerpen stammende Autodidakt Gerard Bunk (1888 bis 1958) kreierte. Er war laut Kummer Organist an einer der größten Walcker-Orgeln Deutschlands in der Dortmunder St.-Reinoldi-Kirche. Fein differenziert setzt der Kirchenmusiker die Register ein, die er nach und nach fast alle zieht. So bringt er stimmungsvoll die kontinuierliche Steigerung zum Ausdruck von der Vorstellung des Themas in ganz zarten, leisen, geheimnisvollen Tönen über idyllisch verträumte, abwechslungsreich registrierte Melodien und Harmonien bis zur überwältigenden Kraft und Pracht des Tuttis.

In der Fuge as-Moll von Johannes Brahms (1833 bis 1897) veranschaulichen klagende, dunkle und schwere Harmonien eine tiefe Trauer. Diese balanciert Samuel Kummer durch sein wunderbar empfindsames Spiel aber aus mit sanft und tröstlich klingenden, hoffnungsvoll aufleuchtenden melodischen Wendungen in einer Kette aus immer wieder neuen, sich auseinanderentwickelnden Motiven.

Mit tosend-jubelndem Applaus zeigen die Zuhörer ihre Begeisterung über Samuel Kummers brillante Darbietungen. So motivieren sie ihn dazu, noch zwei Zugaben draufzusetzen: eine anmutige, freie Improvisation mit feinsinnig registrierten Nuancen und Stimmungen über ein Thema und im Stil von Franz Liszt, und eine idyllische, atmosphärischimpressionistische Fantasie über das Abendlied „Der Mond ist aufgegangen“.

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Erstellt:
5. Juni 2019, 06:00 Uhr

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