Ralf Nentwich spürt die Verantwortung

Seit gut einem Jahr vertritt Ralf Nentwich (Bündnis 90/Die Grünen) den Wahlkreis Backnang als direkt gewählter Abgeordneter im Stuttgarter Landtag. An seine neue Rolle als Vollzeitpolitiker hat sich der Murrhardter Stadtrat schnell gewöhnt.

Ralf Nentwich auf seinem angestammten Platz im Landtag von Baden-Württemberg. Mit 58 Abgeordneten stellen die Grünen hier die größte Fraktion. In seinem ersten Jahr hat der Backnanger Abgeordnete zwei Reden im Plenarsaal gehalten. Foto: Kornelius Fritz

Ralf Nentwich auf seinem angestammten Platz im Landtag von Baden-Württemberg. Mit 58 Abgeordneten stellen die Grünen hier die größte Fraktion. In seinem ersten Jahr hat der Backnanger Abgeordnete zwei Reden im Plenarsaal gehalten. Foto: Kornelius Fritz

Von Kornelius Fritz

Stuttgart/Murrhardt. Den Moment, als er zum ersten Mal die Treppe zum Plenarsaal im Stuttgarter Landtag hinaufgestiegen ist, wird Ralf Nentwich nicht vergessen. „Ich hatte das Gefühl, in die Herzkammer der Demokratie zu kommen. Das war schon ein bewegendes Erlebnis“, erzählt der 40-Jährige. Seitdem ist Nentwich noch viele Male diesen Weg gegangen, doch zur Routine sei das Politikgeschäft für ihn deshalb nicht geworden, erklärt der Abgeordnete: „Ich finde, ein Mandat zu haben, ist eine große Verantwortung. Das muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen.“

Seit gut einem Jahr sitzt der Murrhardter im Landtag. Ralf Nentwich ist der erste Grünen-Abgeordnete im Wahlkreis Backnang überhaupt. Bis dahin hatten hier immer die CDU-Kandidaten das Direktmandat gewonnen. Nach dem Rückzug des langjährigen Abgeordneten Wilfried Klenk gelang Nentwich bei der Landtagswahl im März 2021 jedoch der Coup: Mit 24,0 Prozent der Stimmen landete er knapp vor dem CDU-Bewerber Georg Devrikis (23,2 Prozent).

Der Wechsel vom Feierabend- zum Vollzeitpolitiker sei ihm nicht besonders schwergefallen, erzählt der Murrhardter Stadtrat: „Die Mechanismen sind eigentlich dieselben wie in der Kommunalpolitik“. Auch die Abläufe in einer Verwaltung waren ihm als ehemaligem Leiter des Kreismedienzentrums schon vertraut. Und noch eine Erkenntnis hat er in seinem ersten Jahr als Abgeordneter gewonnen: „Es kochen alle nur mit Wasser“.

Nentwich beklagt: Entscheidungen werden zu langsam umgesetzt

Den größte Unterschied zwischen Kommunal- und Landespolitik sieht Nentwich in der „Show“, die im Landtag dazugehört. Wenn Regierung und Opposition sich bei den Debatten mit markigen Worten beharken, sei das vor allem Effekthascherei. „Die eigentlichen Verhandlungen laufen schon vorher in den Ausschüssen.“

Ralf Nentwich konzentriert sich lieber auf die Sacharbeit. Als Sprecher der Grünen-Fraktion für digitale Bildung und für Ernährung ist er für zwei Bereiche zuständig, die ihm auch persönlich am Herzen liegen. So beschäftigt sich der studierte Realschullehrer für Deutsch und katholische Religion etwa mit der Frage, wie die Qualität des Essens in den Kantinen des Landes und den Schulmensen verbessert werden kann. „Denn gutes und gesundes Essen gehört für mich genauso zu einer guten Schule wie die Pädagogik.“ Deshalb freut es ihn besonders, dass Backnang als eine von vier Kommunen im Land für das Modellprojekt „Gutes Schulessen mit kommunalem Konzept“ ausgewählt wurde (wir berichteten).

Bei der Digitalisierung der Schulen setzt sich Ralf Nentwich dafür ein, dass die Kommunen mehr Unterstützung vom Land bekommen. „Wir sollten die Probleme in größeren Clustern lösen. Nicht jede Gemeinde muss das Rad neu erfinden“, sagt Nentwich.

Allerdings hat er in seinem ersten Jahr als Landtagsabgeordneter auch festgestellt, dass politische Prozesse Zeit brauchen. „Ich bin da manchmal zu ungeduldig.“ Etwa beim Ausbau der Windkraft, die im grün regierten Baden-Württemberg auch nicht schneller vorankommt als anderswo. „Das liegt aber nicht an der politischen Zielsetzung, sondern an der Umsetzung“, bemängelt der Abgeordnete. Die Planungsprozesse seien zu aufwendig, alles werde von den Behörden mit der typisch deutschen Gründlichkeit bis ins letzte Detail geprüft. „Da bräuchten wir mehr Pragmatismus“, fordert der 40-Jährige. Wenn ein Gebiet einmal als Windkraftstandort ausgewiesen sei, müsse man nicht bei jedem neuen Windrad alles wieder von vorne untersuchen.

70-Stunden-Woche erschwert das Familienleben

Insgesamt ist Ralf Nentwich mit seinem ersten Jahr als Landtagsabgeordneter aber zufrieden: „Die Arbeit macht mir Freude. Die Dinge, die ich gerne bewegen möchte, kann ich jetzt anstoßen.“ Auch den Kontakt zur Bevölkerung im Wahlkreis erlebt er als überwiegend positiv. Anfeindungen oder Beleidigungen habe er bisher kaum erlebt. Lediglich das Privatleben komme etwas zu kurz, erzählt der zweifache Vater. Eine 70-Stunden-Woche und viele Termine abends und an den Wochenenden erschweren das Familienleben. Nentwich hat sich das Ziel gesetzt, seine Frau und die beiden Kinder wenigstens einmal am Tag zu sehen, meistens beim Frühstück. Aber auch das gelingt nicht immer: In den Sitzungswochen übernachtet der Murrhardter manchmal in einem Stuttgarter Hotel.

Auch sein Hobby, die Imkerei, musste Ralf Nentwich zurückfahren. Statt ehemals 40 Bienenvölker hat er jetzt nur noch sieben. Dafür plant er aber zusammen mit vier Fraktionskollegen, die ebenfalls Imker sind, Bienenvölker auf einem Vordach am Haus der Abgeordneten zu halten. Vielleicht kann sich der Abgeordnete das stressige Politikerleben dann schon bald mit einem echten Landtagshonig versüßen.

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Erstellt:
10. Juni 2022, 06:00 Uhr

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