Veranstaltung im Landtag

Wie Armut die Demokratie bedroht

Mit einem Gespräch im Landtag endet die Aktionswoche Armut in Baden-Württemberg. Im Mittelpunkt der Reden: die strukturellen Ursachen von Armut und ihre Folgen für die Demokratie.

Obdachlosigkeit ist einer der sichtbarsten Auswirkungen von Armut. (Symbolbild)

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Obdachlosigkeit ist einer der sichtbarsten Auswirkungen von Armut. (Symbolbild)

Von Valentin Schwarz

Eindrücklich schildert Roman Frei am Rednerpult des Landtags das Dilemma, mit dem er es zu tun hatte, als er vor einigen Jahren aus seiner Heimat Karlsruhe nach Nordrhein-Westfalen zog. Dort wollte der heute 29-Jährige Internationale Beziehungen studieren. Das Problem: Frei fand keine bezahlbare Wohnung. Auch der Kontakt zu Organisationen und Parteien änderte daran nichts. „Helfen konnte mir niemand”, erzählt Frei bei einem landespolitischen Gespräch zum Abschluss der baden-württembergischen Armutswoche.

So lebte er im Auto, in einer Notunterkunft und später im Hotel. Als das Geld alle war, musste er das Studium abbrechen und begann, Bürgergeld zu beziehen. Inzwischen wohnt Frei wieder bei seinen Eltern. In seiner Rede kritisiert er: „Wie soll Wohnraum auch bezahlbar und verfügbar sein, wenn er in unserem System als Ware gehandelt wird?“

Netzwerk widmet sich Thema Armut in Baden-Württemberg

Frei hebt damit auf die strukturellen Ursachen von Armut ab. Mit dieser Perspektive ist er bei dem von Jan Sellner, einem Redakteur unserer Zeitung moderierten Gespräch im Landtag nicht allein. „Armut ist kein individuelles Versagen, sondern ein gesellschaftlicher Auftrag“, sagt etwa Michael Karmann. Zusammen mit Roland Saurer ist er Sprecher der Landesarmutskonferenz (LAK), einem Netzwerk von Basisorganisationen, Sozialverbänden, Gewerkschaften und der Tafeln. Ihr gemeinsames Anliegen: die Bekämpfung von Armut in Baden-Württemberg.

Um diesem Thema mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, organisiert die Landesarmutskonferenz einmal jährliche die landesweite Aktionswoche Armut. Mit der Veranstaltung im Landtag, bei der die Abgeordneten Florian Wahl, Andreas Kenner (beide SPD), Oliver Hildenbrand (Grüne) und Ayla Cataltepe (CDU) anwesend waren, ist nun die 21. Ausgabe zu Ende gegangen. Einer der Programmpunkt war zuvor die Verleihung des Gregor-Gog-Literaturpreises, der in diesem Jahr an Klaus Vater ging. Sein ausgezeichnetes Werk „Kleine Furcht“ befasst sich mit dem Schicksal der Jenischen, einer vom NS-Regime verfolgten Volksgruppe.

Minderheiten leiden unter Ausgrenzung

Ausgrenzung, Entrechtung und Vernichtung – bei den Sinti und Roma haben die Verbrechen der deutsche Geschichte ebenfalls tiefe Spuren hinterlassen. „Aber wir müssen auch über das Heute sprechen“, sagt Jane Simon von einem Sinti-und-Roma-Netzwerk bei dem Gespräch im Landtag. Diskriminierung mache es Angehörigen dieser Minderheiten besonders schwer, prekäre Lebensumstände zu überwinden.

Ähnlich geht es vielen Geflüchteten. Für sie spricht die kurz nach dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine gekommene Olena Tutova: „Wir wurden durch unsere Flucht von selbstbewussten zu hilfsbedürftigen Menschen.“ Schutz und Unterstützung für diese Hilfsbedürftigen, das ist eine der 14 Wahlprüfsteine, die die Landesarmutskonferenz mit Blick auf die Landtagswahl im kommenden Jahr formuliert hat.

Armut und Demokratie

Die Themen reichen dabei von der Bildung über die Gesundheitspolitik bis hin zum Klimaschutz. Allesamt zielen sie darauf ab, das Leben der rund 1,5 Millionen Menschen zu verbessern, die in Baden-Württemberg derzeit von Armut betroffen oder bedroht sind. „Egal, wer die nächste Regierung stellen wird: Wir erwarten, dass sie die Armutsbekämpfung im Land konsequent fortführt“, appelliert LAK-Sprecher Roland Saurer. Michael Karmann ergänzt: „Armut grenzt aus, verhindert Teilhabe und untergräbt das Vertrauen in die Demokratie.“

Wozu das führen kann, weiß Roger Winterhalter. Der ehemalige Bürgermeister französischen Gemeinde Lutterbach ist im Rahmen der Zusammenarbeit der Landesarmutskonferenz mit Initiativen aus dem Elsass nach Stuttgart gekommen. Seine Diagnose der politischen Situation Frankreichs dürften die deutschen Gastgeber gut nachvollziehen können, wenn er sagt: „Perspektivlosigkeit führt zu Verzweiflung und die wird von reaktionären Kräften ausgenutzt.“

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Erstellt:
17. Oktober 2025, 18:10 Uhr

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